Rolf-Dieter Meier

Ernteplanet


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reserviert.“

      „Genau das habe ich vor“, brummelte er, immer noch enttäuscht, dass das Vorspiel, wie er es sich vorgestellt hatte, so ein jähes Ende genommen hatte.

      Sie ignorierte seinen Missmut.

      „Was möchtest du anziehen? Ich könnte dir das dann schon raus legen.“

      Sie stand an der Schlafzimmertür, den Kopf leicht nach links geneigt. Sie war die Frage in Person und wartete auf seine Antwort.

      Himmel, sie war verdammt attraktiv. Und sie hatte ein Kleid an, das neu sein musste. Es war rot und trotz der auffälligen Farbe im Übrigen schlicht und elegant, mit einem dezenten Dekolleté.

      „Schickes Kleid!“

      „Ach, hast du es doch bemerkt“, stellte sie schnippisch fest.

      „Wie kann man das übersehen“, versuchte er zu retten was zu retten ist. „Wenn du dich so festlich gekleidet hast, werde ich mich dem entsprechend anpassen. Ich nehme den dunkelblauen Nadelstreifenanzug und ein hellblaues Hemd.“ Und er fügte noch an: „Lassen wir also die Sau raus!“

      Es war 20:40 Uhr als sie Händchen haltend gemeinsam das Haus verließen. Das Restaurant, eines von der edleren Sorte, war fußläufig gut erreichbar, sodass sie auf den fahrbaren Untersatz verzichten konnten. Außerdem war klar, dass sie sich zur Feier des Tages nicht auf Wasser beschränken wollten; das eine oder andere Glas würde es schon werden. Beide verspürten inzwischen einen merklichen Hunger, hatte er doch zuletzt am Vormittag beim Empfang einige Tapas zu sich genommen, aber wie gesagt, nur einige, da das Frühstück reichhaltig ausgefallen war. Auch sie hatte am Mittag nur eine Kleinigkeit gegessen, um am Abend richtig schlemmen zu können. Sie wollte schließlich ihre formvollendete Figur noch so lange wie möglich behalten. Als sie nach einem kurzen Fußmarsch in der kühlen Abendluft das Restaurant betraten, beglückwünschte sich Kirstin, dass sie in weiser Voraussicht, schließlich war es ja Wochenende, einen Tisch reserviert hatte, denn wie es aussah, waren fast alle Tische besetzt. Schon eilte Antonio, der Chef des Etablissements, herbei, um seine Stammgäste freudig zu begrüßen und sie dann an den für sie vorgesehen Tisch zu geleiten. Er nahm ihnen die Mäntel ab und brachte sie zur Garderobe, während sie Platz nahmen. Sie hatten sich gerade eingerichtet und einen neugierigen Blick in die Runde geworfen, um herauszufinden, ob ein bekanntes Gesicht unter den Gästen weilte, als Emilio, einer der Kellner, an den Tisch trat, um ihnen die Speisekarte zu reichen. Erik Stendahl orderte gleich einen weißen Martini als Aperitif für beide, um sich anschließend der Auswahl der angebotenen Speisen zu widmen.

      Die Lokalität gehörte zu der gehobeneren Sorte seiner Art, was sich nicht nur in der überschaubaren Speisenkarte mit kunstvollen Namensgebungen für die täglich neu komponierten Gerichte widerspiegelte, sondern auch im Preis. Eine umfangreiche Weinkarte und natürlich der übliche Katalog an Spirituosen und anderen Getränken rundete das Bild ab. Schließlich wurde damit das meiste Geld verdient; das Essen war nur das Lockmittel. In dem gesamten Raum überwog die Farbe Weiß; Tische, Stühle, Tischdecken, die Wände und die Theke, alles in Weiß. Im Gegensatz dazu trugen die Ober, alles Männer, schwarze Westen, Hosen und Schürzen. Gedämpftes Licht, Kerzen auf den Tischen, eine dezente Musik im Hintergrund und farbenfrohe Bilder junger Künstler, die hier die Gelegenheit bekamen, sich in wechselnden Ausstellungen zu präsentieren, schafften trotz des kühlen Ambientes eine warme Atmosphäre. Eigentlich war das Interieur nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, waren doch schrillere Farben angesagt, trotzdem hatte das Haus noch genug Liebhaber, die diese Form der Vergangenheit schätzten und somit für ein Auskommen von Antonio und seinen Angestellten sorgten.

      Der Martini wurde mit einem fragenden Blick serviert.

      „Einen Moment noch, wir können uns nicht entscheiden“, beantwortete Erik die stumme Frage.

      „Lassen sie sich ruhig Zeit“, sagte der Ober und begab sich an den Nachbartisch, um nachzufragen, ob denn alles zur vollsten Zufriedenheit sei.

      Nach einer Weile angestrengten Studierens der Speisenkarte fragte Kirstin: „Na, hast du schon etwas für dich gefunden?“

      „Ja, wir müssen uns aber noch für einen Wein entscheiden, wenn wir eine Flasche nehmen wollen.“

      „Ich habe Fisch, ich würde gerne einen Riesling dazu nehmen. Und du?“

      „Ich habe zwar keinen Fisch, würde aber trotzdem einen Weißen bevorzugen. In Madrid habe ich vorwiegend Roten getrunken, deshalb schließe ich mich dir an. Wir nehmen eine Flasche von dem Riesling.“

      Antonio näherte sich bereits ihrem Tisch und deshalb konnte die Bestellung zügig abgewickelt werden.

      Auf dem Weg zum Restaurant hatte Kirstin bereits Erkundigungen über seine Reise eingeholt. So wollte sie wissen, wie das Hotel war, das Wetter und das Essen, wobei letzteres dazu führte, dass Erik zugeben musste, dass er zur Zeit drei Kilo mehr auf die Waage brachte. „Trotz des Stresses“, wie er betonte. Während sie also auf das Essen warteten, nahm Kirstin den Faden wieder auf.

      „War euer Mandant denn mit dem Ergebnis eurer Arbeit zufrieden?“

      „Er war von dem Ergebnis sehr angetan. Kirstin, du kennst doch meine Meinung. In den meisten Fällen wissen doch die Mandanten, was und wo es in ihren Unternehmen nicht richtig läuft. Aber die Feststellungen eines unabhängigen Dritten lassen sich besser verkaufen. Eine moderne Form des Ablasshandels, der entsprechend belohnt wird.“

      „Und wie viel müssen diesmal daran glauben?“

      Erik war klar, jetzt wurde es kritisch.

      „Du weißt, dass ich Dir darüber nichts sagen darf.“

      „Ach komm, morgen steht es im Wirtschaftsteil. Mehr als hundert?“

      „Viel weniger.“

      „Fünfundsiebzig? Fünfzig?“ Sie ließ nicht locker.

      Er nickte. „Ja, in etwa so viel Mitarbeiter müssen nach unseren Empfehlungen das Unternehmen verlassen, um die notwendigen Kosteneinsparungen zu erreichen.“

      Sie hob missbilligend die linke Augenbraue. Er hatte damit gerechnet, dass ihr das nicht gefallen würde. Das war bei ihr immer ein wunder Punkt. Deshalb schob er eine positive Darstellung nach: „Wir haben alles getan, um die Mitarbeiter zu schonen. Es war die geringstmögliche Anzahl. Fünfzig von mehr als zwölftausend, das sind weniger als ein halbes Prozent!“

      „Das macht die Sache nicht viel besser“, antwortete sie spitz und sah ihn dabei prüfend an.

      „Wenn ich nicht wüsste, dass du es in dieser Hinsicht ehrlich meinst, hätte ich mich nicht mit dir eingelassen.“

      Aber sie lächelte schon wieder.

      „Gottseidank“, dachte Erik, „die schlimmste Hürde war genommen.“

      Das folgende Schweigen an ihrem Tisch wurde durch ein heftiges Gelächter am Nebentisch unterbrochen. Fast gleichzeitig schauten sie zu ihren Nachbarn hinüber; drei Pärchen, so etwa um die vierzig, die sich augenscheinlich prächtig amüsierten. Da Emilio mit dem Wein an den Tisch trat und Erik die obligatorische Probe vornehmen musste, wurde der Nachbartisch wieder zur Nebensächlichkeit. Emilio erwartete gelassen das Urteil, wohl wissend, dass es keine Beanstandung geben würde, da nur die wenigsten der Gäste wirkliche Weinkenner waren, selbst wenn sie es vorgaben. Er hatte sich im Laufe der Jahre einige wirklich bemerkenswerte Kenntnisse angeeignet und war von Antonio, der diese Fähigkeit zu schätzen wusste, mit der Pflege des Weinkellers beauftragt worden. Die meisten der Gäste waren mit der Qualität der angebotenen Weine sehr zufrieden, weil er ihnen einfach schmeckte. Letztendlich gehörte auch Erik zu denen, die kein Vermögen für eine Flasche Wein ausgeben und trotzdem nicht auf einen guten Tropfen nach eigenen Qualitätsmerkmalen verzichten wollten. Entsprechend fiel sein Urteil aus: „Ausgezeichnet!“

      Nachdem Emilio beide Gläser aufgefüllt hatte, prosteten sich Kirstin und Erik zu und nahmen dann einen kräftigen Schluck.

      „Wirklich gut“, bestätigte sie Eriks Einschätzung und setzte hinzu: „Jetzt habe ich aber wirklich Hunger!“

      „Den kannst du gleich stillen, da kommt schon unsere Vorspeise“, entgegnete Erik, der Emilio mit zwei großen Tellern