Rolf-Dieter Meier

Ernteplanet


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wieder leer war. Er umrundete die kleine Rabatte und bemerkte, dass den Rosen ein kräftiger Duft entströmte, der sich jedoch verflüchtigte, als er abbog, um dem Weg in Richtung Teich zu folgen. Zunächst gerade, begann er nun wieder einen kurvigen Verlauf zu nehmen, sodass er den Teich, den er hier und da schon zwischen den Bäumen schimmern sah, erst viel später erreichte, als man es erwarten konnte.

      Endlich war ich da und steuerte auf den Steg zu, der vom Ufer aus in den Teich ragte. Ein Weg über das Wasser, der zu einer großzügig angelegten Plattform führte. Alles war mit einem dem Teakholz nachempfundenen Kunststoff beplankt, was wohl der Umwelt und der leichteren Pflege geschuldet war. Die Planken waren dicht aneinander gelegt, so dass man auch als Rollstuhlfahrer keine Probleme hatte. Die Steganlage und die Plattform waren mit einem relativ niedrigen Geländer aus dem gleichen Material eingefasst, so niedrig, dass ich bequem darüber hinweg schauen konnte. In der Mitte der Plattform stand ein kleiner Pavillon, der nicht nur Schutz vor der Sonne bot, sondern auch Platz für eine runde Sitzbank, die zum Verweilen einlud. Da ich mit einer eigenen Sitzgelegenheit angereist war, schenkte ich ihr jedoch keine weitere Beachtung. Allerdings war ich dankbar dafür, dass das Dach des Pavillons ausreichend groß war, um mir ein schattiges Plätzchen zu bieten. Die Sonne war mittlerweile hoch in die Himmelskuppel gestiegen und es begann recht warm zu werden. Der Teich war relativ groß, bis zum gegenüberliegenden Ufer waren es aus meiner Warte sicherlich an die 100 Meter. Linker Hand war das Ufer relativ nah, nicht mehr als 50 Meter, während er sich zu meiner Rechten lang hinstreckte, schätzungsweise 300 Meter. Um den Teich herum war ein Uferweg angelegt, der immer neue Ausblicke auf den Teich und den Park gewährte. In der Tat, ich konnte mich glücklich schätzen, dass es mir vergönnt war, meine letzten Tage an einem solchen Ort verbringen zu können. Und ich genoss es, atmete in tiefen Zügen die von dem gestrigen Regen gereinigte Luft ein und spürte, wie sich mein Körper entspannte. Gerade landete eine Gruppe von Enten vor mir und begann mit viel Geschnatter das Wasser nach etwas Fressbaren abzusuchen. Mir fiel der Kinderreim ein: „Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh“. Nicht weit davon entfernt strebte eine Schwanenfamilie auf das gegenüberliegende Ufer zu, wo einige mächtige Weiden standen, deren Zweige tief bis zum Wasser hinab hingen. Um nicht weiteren Ablenkungen ausgesetzt zu sein, schloss ich die Augen. Ich wollte mich auf das konzentrieren, was der Grund für mein Herkommen war.

      Es war mehr als eine Stunde vergangen, die Sonne stand bereits im Zenit, als der alte Mann, der bis dahin fast regungslos in seinem Rollstuhl gesessen hatte, so als wäre er eingeschlafen, seinen Oberkörper aufrichtete und die Arme nach oben streckte. Dann erhob er sich von seinem Sitz und ging ein paar Schritte zu einem der Pfähle, die das Dach des Pavillons trugen. Er sollte und musste sich häufig bewegen, er war den Ratschlägen der Ärzte weitestgehend gefolgt. Aber die Ausnahme bestätigt die Regel, so auch heute. Er hatte das Laufen vernachlässigt, hielt das aber für vertretbar. Nach einer kurzen Verschnaufpause machte er sich auf, den nächsten Pfahl anzusteuern. Auch hier verweilte er einen Moment, um sich anschließend wieder zu seinem Rollstuhl zu begeben. Er nahm Platz, löste die Bremsen und machte sich auf den Rückweg. Er spürte die Wärmestrahlung, die von dem Steg reflektiert wurde und empfand sie jetzt als unangenehm. Zeit nach Hause zu kommen. Er verspürte Durst, er musste etwas trinken. War die Fahrt zum Teich fast gemächlich gewesen, schien er jetzt von großer Eile getrieben. Der Verzicht auf das Einschalten des kleinen Elektromotors erfüllte ihn mit Genugtuung. Er fühlte sich stark genug, auch den Weg zurück aus eigener Kraft zu bewältigen. Bald hatte er die Venus von Milo vor sich, die ihm die kalte Schulter zeigte. Er lächelte bei der Absurdität dieses Gedankens, denn mit Sicherheit hätte man auf ihr ein Spiegelei braten können, so, wie sie da in der prallen Sonne stand. Er passierte den Duft der Rosen und rollte kurz darauf wieder im Schatten der mächtigen Bäume. Bis auf das gelegentliche Rufen oder Zwitschern eines Vogels, das aufkommende und wieder abebbende Summen eines größeren Insektes und das Knirschen der Räder auf dem Kies war kein weiteres Geräusch vernehmbar. Kein Blatt raschelte, da auch die leichte Brise des Morgens der Vergangenheit angehörte. Zügig durchfuhr er das Waldstück und erreichte den Platz mit dem kleinen Wasserfall, der unverändert sein Rauschen von sich gab. Vor ihm lag die Seniorenwohnanlage, in der sich auch seine Heimstatt befand. Schlichte weiße Bungalows, die jeweils zwei Wohneinheiten beherbergten. Sein Bungalow befand sich von ihm aus gesehen ganz rechts, nur durch eine niedrige Hecke von der Straße getrennt, die dank der elektrobetriebenen Fahrzeuge die Ruhe der Anlage nicht störten. Links von seinem Bungalow schlossen sich weitere neun gleichartige Gebäude an. Das gesamte Ensemble bestand aus zehn Reihen dieser Bungalows. Es war nicht gerade hässlich, war doch der einzelne Bungalow für sich betrachtet durchaus nach seinem Geschmack, über den man bekanntlich streiten kann, aber diese Gleichförmigkeit störte ihn dann doch. Er hielt an, sein Blick glitt hinüber zu der gegenüberliegenden Straßenseite, wo äußerst farbenfreudige dreistöckige Wohnhäuser durch großzügig geschnittene und gepflegt aussehende Vorgärten auf Abstand von der Straße gehalten wurden. Dahinter, einige Straßen weiter, gab es eine Fußgängerzone mit diversen kleinen Geschäften, Cafés und Restaurants, wo man, wie er fand, gut und abwechslungsreich essen konnte. Dies war seine kleine Welt, im wahrsten Sinne des Wortes. Er seufzte und setzte dann seine Fahrt fort.

      Als ich die kleine Rampe zu meiner Terrasse hinauffuhr, musste ich mir eingestehen, dass mich der Rückweg doch mehr beansprucht hatte, als ich dachte. Ich war gespannt, ob man mir das Aufnahmegerät gebracht hatte. Ich fuhr durch die weit geöffnete Terrassentür ins Wohnzimmer, den Blick auf den Tisch gerichtet, auf dem ein kleines Kästchen stand. Das musste es sein! Es war eine kleine Schachtel, weiß, ohne jeden Aufdruck, der auf den Inhalt hingewiesen hätte. Ich hob den Deckel an und legte ihn dann beiseite. Da war es, eingebettet in eine Hartplastikform, die das Gerät vor unsachgemäßer Behandlung schützte. Ich entnahm es der schützenden Hülle. Es hatte die Größe einer Scheckkarte, allerdings etwas dicker. Die Oberfläche war völlig eben und wies keinerlei Hinweise auf die Funktion auf. Als ich mich nach einem Aufnahmegerät erkundigt hatte, wurde ich auf dieses Gerät verwiesen. Man nannte es das „SuperOhr“, ein Aufnahmegerät der Spitzenklasse: aus einem organischen Material, dass aus jeder Position das gesprochene Wort aufnahm und es als solches sowie als schriftliches Dokument speicherte. Es wurde durch mündliche Befehle gesteuert und lieferte auf Wunsch auch einen Ausdruck über eine externe Druckerstation. Ich verkniff es mir, es sofort auszuprobieren und legte es wieder zurück auf den Tisch. Das Durstgefühl hatte sich wieder zurückgemeldet. Zudem verspürte ich wieder einen Appetit, den ich nach dem reichhaltigen Frühstück nicht so bald erwartet hätte. Den Tisch auf der Terrasse hatte man etwas mehr zum Haus geschoben und die Markise geöffnet. Man erwartete wohl, dass ich mein Mittagsmahl draußen einnehmen würde und ich wollte sie nicht enttäuschen. Also gab ich meine Bestellung auf: einen Salat mit Putenbruststreifen. Dazu Wasser und zur Feier des Tages ein Glas eines leichten Roséweins. Ich musste nicht lange warten und das Gewünschte stand auf dem Tisch.

      Nachdem der alte Mann gegessen hatte, blieb er noch ein wenig sitzen, um noch den Rest des Glases Wein zu leeren. Er nutzte die Zeit, um sich zu überlegen, wie er seine Geschichte beginnen sollte. Der Gedanke, sie niederzuschreiben, war ihm erst vor kurzem gekommen. Er hatte die Idee jedoch gleich wieder als absurd verworfen; wer sollte das lesen? Wer sollte sich dafür interessieren? Doch der Gedanke war zurückgekehrt und hatte sich immer energischer gegen die Nichtbeachtung gewehrt. Und tatsächlich, er konnte sich immer mehr mit diesem Gedanken anfreunden; es wäre sein Lebenswerk, ein letztes Aufbäumen gegen das Unabänderliche. Schließlich hatte er den Entschluss gefasst, er würde es tun. Da er auch während seiner Berufstätigkeit viel diktiert hatte, stand fest, dass er sich eines Aufnahmegerätes bedienen würde. Das Schreiben hätte zu viel Zeit beansprucht und er wusste ja nicht, wie viel Zeit er noch hatte. Das Glas Wein war geleert und er fühlte sich beschwingt. Er war dem Alkohol nie abgeneigt gewesen, ein gutes Glas Wein hatte er immer geschätzt. Ehrlich gesagt, meistens waren es zwei. Aber in den letzten Jahren, hatte das Verlangen nachgelassen. Er trank nicht mehr regelmäßig, eher sporadisch; kurz gesagt: er trank regelmäßig sporadisch. Deshalb war er den Alkohol nicht mehr so gewöhnt, vielleicht lag es aber auch an der Wärme dieses Sommertages. Es wird Zeit, dachte er und stellte das geleerte Glas zu dem übrigen Geschirr auf das Tablett. Er nahm nur noch unbewusst wahr, dass sich das Tablett mit seiner Fracht auf den Weg in die Küche machte, da sich alle seine Sinne auf das Kommende richteten. Er erhob sich aus dem Stuhl, um sich wieder in seinen Rollstuhl zu setzen. Ohne weitere Verzögerung fuhr