Zsóka Schwab

Die Brücke aus Glas


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lächelte und tätschelte Janas Hand. „Komm, jetzt lass mal den Kopf nicht hängen. Ein Weilchen bleibe ich dir schon noch erhalten.“

      Da Jana ihrer Stimme nicht traute, nickte sie nur.

      „Ich denke, ich werde mich jetzt ein wenig hinlegen.“

      Schwerfällig erhob sich Oma von ihrem Stuhl.

      „Du kannst, wenn du möchtest, auf den Dachboden gehen und Klavier spielen – ich habe gern ein wenig Einschlafmusik zu meinem Nickerchen, und den Abwasch können wir auch später machen.“

      Sie zwinkerte ihrer Enkelin zu und schlurfte leicht schwankend in Richtung Wohnzimmer, das sie seit Opas Tod auch als Schlafzimmer nutzte. Sie hatte Jana einmal anvertraut, dass sie dies tat, weil sie es nicht mochte, nachts im Ehebett aufzuwachen und zu begreifen, dass niemand mehr neben ihr lag:

      „Eine Couch ist zwar vielleicht nicht ganz so gemütlich, aber sie ist ein klassisches Singlemöbel. Und das bin ich ja jetzt wieder, nicht wahr? Ein Single …“

      Ach, Oma …, dachte Jana traurig. Wie sie so alleine in der Küche stand und aus unbestimmten Gründen darauf wartete, dass im Wohnzimmer das Licht ausging, spürte sie zum ersten Mal seit langem, wie sehr ihr Basti fehlte. Es mochte ja nicht immer alles eitel Sonnenschein gewesen sein zwischen ihnen, aber war das nicht in jeder Beziehung so? Und dass Basti sich keine Mühe gegeben hätte, konnte sie ihm nicht vorwerfen. Im Gegenteil …

      Ich hätte ihm mehr zuhören sollen, als er von seinen Geigenbauerplänen erzählte …, dachte sie mit einem intensiven Gefühl der Reue. Ich hätte mich mehr für seine Bedürfnisse interessieren müssen! Doch die Einsicht kam zu spät. Jetzt musste sie eben nach vorne schauen und weitermachen, so gut es ging.

      Mit diesem Gedanken schleppte sich Jana die zwei Stockwerke zum Dachboden hinauf, um sich an ihr Klavier zu setzen – neben dem kleinen Hocker das einzige Möbelstück dort. Es war ein altes Mahagoni-Steinwaypiano aus dem Jahre 1923, das direkt neben der Eingangsluke stand – an einem Ort, den der Lichtkegel der Dachgaube niemals erreichte.

      Zu seinen Glanzzeiten hatte das Klavier sich eines Ehrenplatzes im Wohnzimmer erfreuen können. Doch als Omas Finger zu steif geworden waren, um auf ihm zu spielen, hatten Janas Großeltern es hier hinauf transportieren lassen. Oma hatte Jana geraten, wenigstens abends zum Spielen eine Standlampe aufzustellen, doch Jana hatte bisher darauf verzichtet. Ein guter Pianist muss auch spielen können, ohne die Tasten oder seine Hände zu sehen. Eine sinnvolle Übung war es also allemal.

      Jana legte die Finger auf die Klaviatur, erfühlte die Taste g1, an deren rauem Rand sie sich immer orientierte, und begann mit Chopins Nocturne Nr. 20 in Cis Moll.

      Während sie spielte, schrumpften wie gewohnt alle Sorgen des Alltags zu einem leichten, dumpfen Bauchschmerz, den sie kaum mehr wahrnahm. Es war, als unterhalte sie sich mit einem alten Freund, der ebenso lebendig war wie sie. Im Gegensatz zu den Menschen war auf das Klavier Verlass: Jede Taste, jeder Ton hatte seinen Platz. Das Klavier war immer da, harrte still und geduldig Janas Rückkehr und wies sie niemals zurück.

      Aber es hatte keinen Herzschlag, fühlte keinen Schmerz und keine Einsamkeit. Und es konnte nicht sterben …

      Mitten im Stück hob Jana die Hände von den Tasten – und katapultierte die Welt in Schockstarre. Mit einem Mal war es still – so vollkommen still, als hätte jemand den dünnen Faden durchschnitten, an dem ihre Seele hing. Jana riss die Augen auf. Hastig klappte sie den Klavierdeckel zu und stolperte blind in die andere Ecke des Raumes.

      Das Notebook lag noch genau dort, wo sie sich erinnerte, es hingelegt zu haben. Sie schaltete es an und wartete, bis das blendend helle Hintergrundbild, das sie mit ihren Großeltern auf einer Sommerwiese zeigte, erschien. Laut Batterieanzeige reichte der Akku noch für eine halbe Stunde.

      Gerade genug.

      ~ 11 ~

      13.11.2007, 18:54 Uhr

      [email protected] an [email protected]

      Betreff: Eine Bitte

      Liebe Zarah,

      danke für deine nette Mail und das Angebot, dass ich dir medizinische Fragen stellen darf. Ich habe darüber nachgedacht, und möchte aus aktuellem Anlass gleich darauf zurückkommen:

      In meinem Bekanntenkreis gibt es eine ältere Dame, die an Kopfschmerzen leidet. Ganz weggehen tun sie nie, am heftigsten ist es aber nach dem Essen, sodass sie sich kaum noch traut, etwas zu sich zu nehmen. Sie ist schon ganz abgemagert. Zum Arzt gehen will sie aber auf gar keinen Fall, egal wie gut wir ihr zureden.

      Als junges Mädchen hatte sie Migräneanfälle, darauf führt sie alles zurück, aber wir machen uns trotzdem große Sorgen, weil es immer schlimmer wird. Sie ist übrigens achtundsiebzig Jahre alt und war vor ihrer Berentung Gymnasiallehrerin.

      Ich weiß, Zarah, dass du keine Ärztin bist, und dem, was du schreibst, entnehme ich, dass du auch nicht Medizin studierst. Aber du schreibst, dass du dich ein bisschen auskennst, also hast du vielleicht eine Idee, was das sein könnte? Wirklich Migräneanfälle? Oder gar ein Gehirntumor?

      Ich würde dich nicht damit belästigen, wenn mir jemand anderer einfallen würde, an den ich mich wenden könnte. Die alte Dame ist wirklich eine enge Freundin der Familie, sie ist praktisch wie eine Großmutter für mich. Also falls dir vielleicht etwas dazu einfallen würde, wäre ich dir unheimlich dankbar.

      Ansonsten hoffe ich, dass es dir gut geht? Die drei Fragezeichen sind eine sehr gute Buchreihe, ich mochte besonders den „Lachenden Schatten“.

      Viele Grüße, Marian

      P.S.: Ich kaufe mir nie Schuhe mit Klettverschluss. Das laute Geratsche beim Ausziehen geht mir schrecklich auf den Geist.

      16.11.2007 16:36 Uhr

      [email protected] an [email protected]

      Betreff: Re: Eine Bitte

      Hallo Marian,

      ohne deine Bekannte gesehen zu haben, kann ich wenig sagen. Kopfschmerzen können viele Ursachen haben. Man müsste ihre Krankengeschichte erfragen, ihr Blut untersuchen und eventuell ein CT oder ein MRT von ihrem Kopf machen. Wenn sie sich aber weigert, zu einer Untersuchung zu gehen, ist nichts zu machen.

      Gruß, Zarah

      17.11.2007 20.40 Uhr

      [email protected] an [email protected]

      Betreff: Re: Re: Eine Bitte

      Hallo Zarah,

      danke für deine Stellungnahme. Entschuldige, dass ich dich damit belastet habe, es wird nicht wieder vorkommen.

      Marian

      17.11.2007 22:11 Uhr

      [email protected] an [email protected]

      Betreff: Missverständnis

      Lieber Marian,

      es tut mir leid, dass ich gestern so kurz angebunden war. Die Sache ist bloß die, dass es da im Moment etwas gibt, das mir im Kopf umhergeht, und ich nicht wirklich weiß, wie ich damit umgehen soll. Ging es dir auch schon einmal so? Es hat indirekt mit dir zu tun, aber du kannst nichts dafür. Bitte glaub mir also, dass ich dich nicht vor den Kopf stoßen wollte.

      Tatenlos zuschauen zu müssen, während es einem kranken Menschen, der einem sehr nahe steht, schlecht geht, ist nicht einfach. Ich weiß das.

      Vielleicht könntest du mir ein bisschen über diese Dame erzählen?

      Welche Qualität haben ihre Kopfschmerzen (stechend, dumpf, pochend?) und wo genau sind sie lokalisiert? Wann haben sie angefangen bzw. wann sind sie schlimmer geworden?

      Gab es irgendeinen möglichen Auslöser, vielleicht irgendeine schwere Belastung in ihrem Leben? Wie viel trinkt sie am Tag? Geht sie öfter spazieren oder sitzt sie vornehmlich zu Hause? Wurde ihr Haus vielleicht vor kurzem renoviert? Und gibt es andere Gelegenheiten oder Tageszeiten,