Zsóka Schwab

Die Brücke aus Glas


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du gerade hereingekommen bist, dachte ich, es gehört vielleicht dir?“

      Sie hielt dem Mädchen ihren eigenen Bibliotheksausweis vor die Nase.

      „Nein“, entgegnete Zarah, nachdem sie die blaue, nur mit Text bedruckte Plastikkarte inspiziert hatte. „Das gehört mir nicht. Am besten gibst du es vorne an der Ausleihtheke ab.“

      „Du heißt also nicht Jana Bergmann?“, unternahm Jana einen letzten, verzweifelten Versuch.

      Das Mädchen schmunzelte.

      „Nein, ich heiße Zoé Wiegand. Trotzdem vielen Dank.“

      „Ah, okay … dann, äh, bringe ich die Karte mal nach vorne …“

      Jana wich so schnell zurück, dass sie beinahe über ihre eigenen Füße stolperte. Dann sah sie zu, dass sie Land gewann. Erst im dämmrigen Flur jenseits der Lesesaaltür kam sie wieder ein wenig zur Ruhe. Was für ein schrecklicher Auftritt! Aber wenigstens hatte sie jetzt die gewünschte Information.

      Zoé Wiegand … Z.W. …

      Ja, sagte sich Jana, so muss es sein.

      Zarah war das Mädchen auf dem Foto und hieß in Wahrheit Zoé. Sie hatte Jana angeschwindelt, sowohl was ihren Vornamen als auch das Bild betraf. Das nahm sie ihr allerdings nicht übel, denn an ihrer Stelle hätte sie es genauso gemacht. Allein die Vorstellung, jemand würde ein Foto von ihr unter einen anzüglichen Text setzen und an einen wildfremden Mann schicken … Brrr!

      Plötzlich hielt sie inne. Es war ja gar kein wildfremder Mann gewesen – zumindest nicht für Jana. Zoé kannte Basti nicht, aber Jana war einmal mit Basti zusammen gewesen, was dieser nicht gerade verheimlicht hatte. Jana und Zoé wiederum hatten gemeinsam, dass Jana von hier stammte, während Zoé wohl zumindest im Moment hier lebte.

      Da muss es eine Verbindung geben!, dachte Jana grimmig.

      Es war wie bei einem Puzzle, dem noch ein letztes Teil fehlte: ein Teil, welches sie mit Zoé verband. Ein Teil, das zumindest sie, Jana, nicht mochte und dem es bestimmt eine Freude bereiten würde, in ihrem Leben Verwirrung zu stiften.

      Und Jana brauchte nicht lange, um den Namen dieses gemeinen, hinterhältigen Teils zu erraten …

      ~ 9 ~

      „Muss das wirklich sein, Zoé?“

      Thorsten war von der Hartnäckigkeit meiner Schwester derart überrumpelt, dass er sogar aufhörte, in seinem halbsynthetischen Kartoffelbrei herumzustochern. Eines musste man unserer Mensa lassen: In der Kunst, besonders widerliches Essen zu kreieren, erfand sie sich immer wieder neu.

      „Aber wieso denn nicht?“ Zoé nagelte unseren gemeinsamen Freund mit ihrem Enthusiasmus förmlich an den Stuhl. „Ihr habt es doch schon an meinem Geburtstag gemacht. Und ich verspreche euch, diesmal habt ihr ein noch dankbareres Publikum.“

      „Hm, ich weiß nicht, ob die Zeit noch ausreicht. So ein Bühnenstück muss immerhin gründlich einstudiert werden.“

      Dass ich dies sagte, hatte wenig damit zu tun, dass Thorsten und ich uns vor über einer Woche versöhnt hatten. Der springende Punkt war, dass Zoés Plan auch mich miteinbezog – und ich wenig Lust hatte, mich vor der ganzen Universität zu blamieren. Dass es darauf hinauslief, war ziemlich sicher, wenn man bedachte, von was für einem Stück hier die Rede war …

      Im Grunde war es nicht einmal ein komplettes Stück, sondern eine Szenensammlung, die anderthalb Jahre zuvor im Laufe einer durchfeierten Nacht entstanden war.

      An diesem bedeutungsvollen Tag lümmelten Thorsten, ich und einige Kumpels auf der Wohnheimcouch vor dem Fernseher herum und zappten uns durch die Kanäle. Da wir blau waren wie die Strandhaubitzen, fanden wir alles – wirklich alles! – was lief, unendlich komisch und inspirierend. Irgendwann, als der Morgen schon graute, blieben wir dann am Kinderkanal hängen – und waren begeistert, festzustellen, dass eine Folge von Tom und Jerry lief.

      „Muhaha, guckt ma’, was für krass große Ohren der Tscherry hat!“, rief jemand.

      „Un’ der Tom hat voll den stylishen Katzenschwanz!“

      Nach ausgiebigem, aber unproduktivem Gegröle wurde dann auch zur Tat geschritten: Thorsten, der schon damals eine Schwäche für einfallsreiche Verkleidungen hatte, zauberte sich aus Tesafilm und ungekochten Spaghetti Schnurrhaare und steckte sich hinten einen pinkfarbenen Stoffgürtel in die Hose. (Wo er den plötzlich herhatte, weiß ich bis heute nicht und möchte es auch nie erfahren). Mir als seinem damals schon „liebsten Kolleschen!“ verpasste er ein Paar fettfleckige Papptellerohren. Anschließend malte er mir mit wasserfestem Edding einen schwarzen Mäuseknopf auf die Nase, den ich eine knappe Woche lang nicht aus dem Gesicht bekommen sollte. Den Rest der Zeit bis zu unserem Rauswurf durch den Hausmeister verbrachten wir damit, Szenen aus Tom und Jerry im Stile des modernen Tanztheaters nachzuspielen.

      Einige Tage darauf sahen wir uns die entsprechenden Fotos und Kameraaufnahmen während einer langweiligen Vorlesung unter den Schreibbänken an – und gerieten in so ernste Erstickungsgefahr, dass der Dozent uns empfahl, außerhalb des Hörsaals frische Luft zu schnappen.

      Allerdings muss man uns zugutehalten, dass wir etwas daraus machten. Noch am selben Abend setzten Thorsten und ich uns zusammen und schrieben einige unserer besonders gelungenen Ideen in ein Heft.

      Das Heft verschwand danach, tauchte aber ein Jahr später wieder auf, als Thorstens Mutter ihn zwang, auch unter seinem Bett Staub zu saugen.

      Er brachte es zur Uni mit, wir suchten und fanden die dazugehörigen Bilder in seinem Handyspeicher und wurden fast wieder aus der Vorlesung geschmissen.

      Da wir nicht wollten, dass unser Meisterstück noch einmal in Vergessenheit geriet, bastelten wir uns Kostüme und überraschten Zoé an ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag mit einer kleinen Stummfilmeinlage.

      Der Erfolg bei den Partygästen war größer als wir es uns je hätten erträumen können. Genau genommen war er sogar ein bisschen zu groß.

      Zoé, die eine sehr emsige Präsidentin der Uni-Theater-AG war, setzte sich nämlich an diesem Tag in den Kopf, uns bei der diesjährigen Weihnachtsbenefizveranstaltung einen großen Auftritt zu verschaffen – einem Event, das sich jedes Jahr etwa fünfhundert Besuchern erfreuen konnte. Organisiert war es derart, dass jede Fakultät und die meisten AGs mindestens ein Projekt vorbereiteten, welches am Samstag vor dem ersten Advent zwischen zehn Uhr vormittags und fünf Uhr nachmittags aufgeführt wurde. Da auf diese Weise mehrere Veranstaltungen zur selben Zeit liefen, konnten die Besucher frei über den Campus schlendern und sich ansehen, was ihnen gerade gefiel.

      Zum Bezahlen wurde niemand gezwungen, aber Spendenkästen gab es an jeder Ecke, und meist kam auch eine schöne Stange Geld zusammen.

      „Denk nur an die armen Kinder, die Weihnachten nicht zu Hause feiern dürfen“, appellierte Zoé an unser Gewissen. Dabei attackierte sie Thorsten und mich mit einem Gesichtsausdruck, neben dem der Kater aus Shrek mit seinem billigen Bettelblick einpacken konnte.

      „Möchtet ihr nicht dazu beitragen, dass sie wenigstens ein neues Spielzimmer bekommen?“

      „Es ist doch wirklich nichts dabei. Am Ende wird es euch bestimmt Spaß machen“, gab Melanie, die ihre blaue Partymähne nun wieder kinnlang und hellblond trug, meiner Schwester Rückenwind. Ich hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, aber auf irgendeine Weise hatte sie sich mit ihrem Stuhl genau zwischen Zoé und mich platziert. Nun warf sie mir unter ihren langen, getuschten Wimpern Blicke zu, die auch einem völlig Unterbelichteten verklickert hätten, dass hier ordentlich mit dem Zaunpfahl gewunken wurde. Blicke, die bei mir regelmäßig eine Art emotionalen Totstellreflex auslösten.

      Wirklich, ich mochte Melanie – aber nicht, wenn sie so war wie jetzt. Und das war sie seit der Halloweenparty leider ständig.

      „Ihr müsstet euch nicht einmal um Kostüme und Kulissen kümmern“, wiederholte jetzt meine Schwester zum gefühlt hundertsten Mal. „Das würden alles wir