Zsóka Schwab

Die Brücke aus Glas


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      01.11.2007, 21:28 Uhr

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      Betreff: Musik

      Hallo Basti,

      ich habe mir die Angelegenheit gründlich durch den Kopf gehen lassen und beschlossen, dir noch einmal zu verzeihen. Im Grunde sind wir wohl beide Opfer dieses Dummjungenstreiches geworden (welchen der „dumme Junge“, von dem hier die Rede ist, nicht wiederholen wird, dafür wurde gesorgt.)

      Wie du dir ein Musikprojekt mit mir vorstellst, verstehe ich allerdings nicht.

      Wir kennen uns doch überhaupt nicht, du weißt nicht einmal, wer ich bin – falls dies also ein Vorwand sein soll, mich zu treffen, weil dir meine Bikinifigur gefällt, muss ich dich enttäuschen. Zum einen treffe ich mich nicht mit fremden Männern, und zum anderen bin das auf dem Foto gar nicht ich. Als ich in meiner ersten E-Mail „mein Foto“ schrieb, meinte ich nämlich nicht ein Foto von mir, sondern ein Foto aus meiner Kamera. Das Mädchen auf dem Bild ist mir unbekannt. Mein großer Bruder hat sie vergangenen Sommer am Baggersee entdeckt und meine Kamera geklaut, weil er unbedingt ein Bild von ihr haben wollte. Wie Jungs halt so sind. ;-P

      So sieht es aus. Ich schreibe dir das deshalb, lieber Basti, weil ich nicht möchte, dass du am Ende enttäuscht bist, wenn aus uns beiden nichts wird. Ich hoffe, dir damit nicht zu nahe zu treten?

      Gruß, Zarah

      02.11.2007, 17:45 Uhr

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      Betreff: Re: Musikprojekt

      Liebe Zarah,

      zunächst einmal vielen Dank, dass du mir deinen Vornamen verraten hast. Das beweist, dass du mich vielleicht doch nicht mehr so schrecklich findest wie zu Beginn, worüber ich sehr erleichtert bin.

      Zum zweiten: Nein, du trittst mir absolut nicht zu nahe – im Gegenteil, ich fürchte, dass ich dir zu nahe getreten bin.

      Du wirst lachen, aber ich habe in meinem Leben sehr viel Zeit mit einer Frau verbracht, die mir beigebracht hat, wie man sich in euch hineinversetzt. Du bist über mein Angebot, etwas gemeinsam zu unternehmen, ziemlich erschrocken, richtig? Du denkst wahrscheinlich, ich wäre ein Perverser oder verzweifelt „auf der Suche“. Nun, das bin ich nicht. Ich habe auch nicht vor, mich mit dir zu treffen – ob du nun eine tolle Bikinifigur hast oder nicht. Ich suche einfach bloß ein Thema, worüber ich mit dir reden kann, weil du mir ein intelligenter Mensch zu sein scheinst und ich mich gerne mit solchen unterhalte.

      Musik ist ein Gebiet, auf dem ich mich auskenne, aber du kannst auch gerne etwas anderes vorschlagen. Der „dumme Junge“, den du erwähnt hast, schrieb zum Beispiel, du würdest Medizin studieren. Ist das wahr? Dann reden wir darüber. In welchem Semester bist du? Zu was willst du dich später spezialisieren?

      Ich verspreche hoch und heilig, mehr als derartige Gespräche erhoffe ich mir nicht aus unserer „Bekanntschaft“ (die ja eigentlich keine ist, wie du selbst schon sagtest).

      Das kannst du mir jetzt glauben oder nicht, genauso wie es bei mir liegt, dir die Geschichte mit dem fremden Mädchen vom Baggersee abzukaufen.

      Damit du nachempfinden kannst, wie schwer mir das fällt, mache ich dir auch ein Geständnis: Ich bin überhaupt nicht Bastian Maurer. Ich bin nur ein Freund, den er damit beauftragt hat, seine Internet-Accounts zu verwalten, während er im Urlaub ist.

      Somit wären wir wieder bei null angelangt: Du weißt nichts über mich, ich weiß nichts über dich – nur, dass du Zarah heißt und einen Bruder hast. Und damit du dich auch in diesem Punkt nicht benachteiligt fühlst: Ich heiße Marian und bin Einzelkind. Angenehm, dich kennen zu lernen. :-)

      03.11.2007, 20:11 Uhr

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      Betreff: Wie jetzt?

      Lieber Marian,

      ich bin verwirrt. Heißt du nun wirklich so, oder wolltest du mir mit dieser Geschichte nur demonstrieren, wie unglaubwürdig meine war?

      Ich fürchte, so wird das nichts mit uns, nicht einmal auf Gesprächsebene. Ein Mindestmaß an Vertrauen setzt selbst das Internet voraus, sonst bleibt einem nicht einmal die Illusion, dass man es mit einem besonderen und ehrlichen Menschen zu tun hat, der sogar mutig genug ist, mit einer wildfremden Person offen über sein (Gefühls-)Leben zu reden.

      Ich hätte allerdings einen Vorschlag, wie wir die Sache vielleicht retten könnten (*Trommelwirbel*):

      Die Wahrheit des Tages.

      Das Ganze funktioniert folgendermaßen: Am Schluss einer E-Mail schreiben wir als Postskriptum immer einen Satz über uns, der zu hundert Prozent wahr ist. Das heißt natürlich nicht, dass der Rest gelogen sein soll. Aber dieser eine letzte Satz soll unser unumstößlicher Vertrauens-Ankerpunkt sein – ohne Grauzonen und Doppeldeutigkeiten.

      Was hältst du von der Idee?

      Gruß, Zarah

      P.S.: Meine Lieblingseissorte ist Pfefferminz.

      06.11.2007, 19:40 Uhr

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      Betreff: Wahrheit des Tages

      Hallo Zarah,

      ich habe über deinen Vorschlag nachgedacht und bin damit einverstanden. Allerdings kann ich nicht versprechen, dass das bei mir funktioniert. Ich erzähle nämlich nicht so gerne Dinge über mich.

      Marian

      P.S.: Ich bin leider kein besonders ehrlicher Mensch.

      07.11.2007, 21:32 Uhr

      [email protected] an [email protected]

      Betreff: Ich bin beeindruckt

      Lieber Marian,

      ich habe es zwar schon im Betreff geschrieben, aber es ist so wahr, dass ich es noch einmal schreibe: Ich bin beeindruckt.

      Zuerst lässt du mich drei Tage lang warten, sodass ich schon dachte: „Der hat bestimmt kalte Füße gekriegt.“

      Dann auf einmal schickst du mir vier Sätze, unter ihnen die angeblich lupenreine Wahrheit, dass du leider kein besonders ehrlicher Mensch bist – dies ist ein Paradoxon, mein Lieber. Eine kognitive Brezel. Entweder bist du ein ehrlicher Mensch, der dieses eine Mal lügt, oder ein Lügner, der dieses eine Mal ehrlich ist. Bedenkt man nun, dass du mir diese Offenbarung im Postskriptum machst, müsste Letzteres zutreffen.

      Da aber deine „Einverständniserklärung“ zur Wahrheit des Tages nicht im Postskriptum steht, könnte sie theoretisch gesehen auch gelogen sei – woraus wiederum folgt, dass dein „Ich bin leider kein besonders ehrlicher Mensch“ nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss, da du die Regeln der Vereinbarung in Wahrheit ja nicht anerkennst. In diesem Fall wärst du allerdings eben doch ein ehrlicher Mensch, der bloß im Postskriptum gelogen hat, dass er es nicht sei. Um also das Mysterium mit einer Frage auf den Punkt zu bringen: Was bist du nun, ein ehrlicher Weiß- oder ein verlogener Schwarzfußindianer? (Falls du die Geschichte nicht kennst, erzähle ich sie gern.)

      P.S.: Hatte ich schon erwähnt, dass ich beeindruckt bin?

      09.11.2007, 18:34 Uhr

      [email protected] an [email protected]

      Betreff: Re: Ich bin beeindruckt

      Liebe Zarah,

      danke für das Kompliment, ich gebe es postwendend zurück: Es ist wirklich beeindruckend, wie viele Gedanken man sich über vier Sätze machen kann, ohne auf die Idee zu kommen, einfach nachzufragen, was genau mit ihnen gemeint war.

      Ja, ich kenne die Geschichte von den wahrheitsliebenden Weißfußindianern und den verlogenen Schwarzfußindianern. Und soll ich dir auch sagen, was ich bin? Ich bin der Graufußindianer, der in seiner Hütte sitzt und einfach den Mund hält. Ich hoffe, das beantwortet deine Frage.

      P.S.: