Zsóka Schwab

Die Brücke aus Glas


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erwartete. „Ich muss gehen …“

      Zoé machte ein langes Gesicht.

      „So schnell? Ach bitte, bleib noch ein bisschen! Ich habe so viel von dir gehört und möchte mich wirklich gern mit dir unterhalten.“

      Jana sah zuerst sie und dann Thorsten auf eine Weise an, als wäre dies nicht das beste Argument, um sie zum Bleiben zu bewegen. Thorsten erhielt sogar einen besonders feindseligen Blick, zu dem ihm bestimmt ein passender Kommentar eingefallen wäre, hätte Zoés Anwesenheit bestimmte Äußerungen nicht unterbunden. Da mein Kumpel sich also in eisiges Schweigen hüllte, wandte meine Schwester sich hilfesuchend an mich:

      „Komm, Gabo, jetzt sag du doch auch mal was! Ihr wart doch alle damit einverstanden, dass wir sie fragen.“

      Bei diesen Worten zuckte Janas Kopf in die Höhe. Doch statt sich zu erkundigen, was wir denn von ihr wollten, starrte sie mir ins Gesicht.

      „Gabo?“, wiederholte sie mit einem schwer zu deutenden Unterton. „Du heißt Gabo?“

      „Gabriel, genau genommen“, erklärte ich.

      „Erinnerst du dich gar nicht an ihn?“, schaltete sich Thorsten wieder ins Gespräch ein. „Oder erkennst du ihn bloß nicht ohne die Schminke?“

      Er grinste über beide Ohren, der Idiot, doch Jana beachtete ihn gar nicht. Sie musterte immer noch mein Gesicht – auf eine verstörend eindringliche Weise. Nach einer Weile fiel mir in meiner Verwirrung nichts Besseres mehr ein, als es Thorsten gleichzutun und ein blödes Grinsen aufzusetzen.

      „Ähm … also, ich hoffe, deine Stiefel leben noch, hehe …“

      Fantastisch! Ein dämlicherer Spruch hätte dir wohl nicht einfallen können?

      Aber ich konnte nichts dafür. Diese silbergrauen Augen machten mich fertig – erst recht, als das unschuldige Silber sich plötzlich in ein brodelndes, äußerst beunruhigendes Nachtgewittergrau verwandelte.

      „Du …?“

      Ich öffnete den Mund, um irgendetwas zu sagen. Da es aber bestimmt nichts Konstruktives gewesen wäre, war ich meiner Schwester sehr dankbar, als sie mir das Reden abnahm.

      „Wenn du kurz Zeit für uns hast, Jana, würde ich dir gerne erklären, weshalb ich mit dir sprechen wollte. Wir hätten nämlich eine Bitte an dich.“

      Glücklicherweise hörte Jana auf, mich mit ihren Lanzenblicken zu durchspießen.

      „Eine Bitte? Ich wüsste nicht, was ich für euch tun könnte.“

      „Wie solltest du auch?“ Zoé lächelte freundlich. „Ich schlage vor, wir setzen uns doch für einen Moment hin, lernen uns kennen, und dann erzähle ich dir alles.“

      So wurde es dann auch gemacht. Zoé, Thorsten und ich ließen uns auf unseren alten Plätzen nieder, während meine Schwester für Jana einen neuen Stuhl zwischen ihren eigenen und den von Melanie schob.

      „Also“, begann sie, sobald sie unsere ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, „mein Name ist Zoé und das hier ist Melanie. Thorsten und meinen Bruder Gabriel kennst du ja schon. Wir studieren alle hier an der Uni, Thorsten und Gabo Medizin, Melanie Physik und ich Kunst.“

      Während Jana ihr lauschte, betrachtete sie uns einen nach dem anderen: Thorsten nur ganz kurz, Melanie schon etwas länger – vielleicht weil sie mit ihrem Stuhl auffällig nahe an mich herangerückt war, als Jana sich neben sie setzte. Zum Schluss war dann erneut ich an der Reihe … und bekam schon wieder den unfreundlichsten Blick von allen ab.

      Allmählich begann es mich wirklich zu ärgern: Was hatte ich diesem Mädchen getan, dass ich diese Sonderbehandlung verdiente? So teuer konnten diese verflixten Stiefel doch gar nicht gewesen sein …

      „Kurz gesagt, geht es uns um Folgendes“, fuhr meine Schwester fort. Sie erklärte Jana, was wir vorhatten und welche Rolle sie in ihrem Plan spielte. Jana hörte ihr aufmerksam zu und taute am Ende sogar genug auf, um eine Gegenfrage zu stellen:

      „Woher wisst ihr eigentlich, dass ich Klavier spiele? Oder dass ich für eure Zwecke gut genug bin?“

      Zoé streifte mich mit einem schnellen, verlegenen Blick.

      „Nun ja … nachdem du ihre Halloweenparty besucht hast, haben Thorsten und Gabo sich ein wenig über dich schlau gemacht. Im Internet steht wohl ziemlich viel über dein Talent.“

      „Eigentlich haben wir nur einen Artikel überflogen … ich meine, eine Artikelüberschrift!“, beeilte sich Thorsten mit kühler Miene, unsere angekratzte Würde wiederherzustellen.

      „Irgendwas mit Jugendmusik … stimmt’s, Gabe?“

      „Hm“, machte ich und senkte vor lauter Unbehagen den Blick auf die Tischplatte – schwerer Fehler!

      „Was ist denn mit dir los?“ Mit ihren perfekt manikürten Händen streichelte Melanie meine Schulter. „Du bist schon den ganzen Tag so in dich gekehrt. Hast du Kummer?“

      Ich bemühte mich um ein Lächeln, doch es fiel wohl recht armselig aus. Warum musste Melanie ausgerechnet jetzt wieder mit dem Mist anfangen, wo ich doch wirklich genug andere Sorgen hatte?

      Als Zoé das Internet zur Sprache brachte, war mir nämlich mit siedender Hitze etwas klargeworden: Dort neben meiner Schwester saß ein Mädchen, mit dessen Freund ich schon seit Wochen einen regen E-Mail-Wechsel betrieb – und zwar in der virtuellen Gestalt einer Frau!

      Dass mein Mailpartner wirklich Basti Maurer war und nicht irgendein dubioser Typ namens Marian, hatte für mich immer außer Frage gestanden. Schließlich hatte ich mich von Zoés Foto distanziert, da war es nur verständlich, dass auch er seine wahre Identität leugnete.

      Aber selbst wenn es natürlich nie meine Absicht gewesen war, Jana ihren Basti auszuspannen, war es doch nicht sehr fair gewesen, ihn mit meinem Pseudo-Geflirte durcheinander zu bringen. Fernbeziehungen waren schließlich auch ohne solche Störsender schon kompliziert genug. So gesehen hatte ich Janas böse Blicke sogar verdient, selbst wenn sie unmöglich wissen konnte, weshalb …

      „Also, was meinst du?“, unterbrach Zoé meine selbstrügenden Gedanken. „Hast du Lust, mitzumachen?“

      Jana zögerte. Inzwischen wirkte sie weder sauer noch kämpferisch, sondern einfach nur erschöpft.

      „Ich … kann das jetzt noch nicht sicher sagen. Gebt ihr mir ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken?“

      Zoé schenkte ihr ein herzliches Lächeln.

      „Natürlich. Bis zum ersten Dezember haben wir noch zwei Wochen, um alles einzustudieren, dafür brauchen wir dich auch nicht von Anfang an. Ich denke, es reicht, wenn du bei den letzten beiden Proben dabei bist.“

      „Das heißt?“

      Zoé blickte in die Runde.

      „Ich würde sagen, am Freitag, den 30. November, gegen sechs Uhr abends zur Generalprobe, und dann zur Aufführung am Samstagnachmittag. Oder was meint ihr?“

      Wir nickten zustimmend.

      „Thorsten ist sicher so nett, dir eine Kopie des Skripts vorbeizubringen. Dann kannst du dir die Sache noch mal in Ruhe ansehen und dir überlegen, ob es etwas für dich wäre. Wenn ja, kommst du einfach am 30. in Gebäude 45 A Saal 5 im Keller zur Probe. Dieser Raum ist für die Theater-AG reserviert.“

      „Und ihr braucht diese Begleitung wirklich unbedingt?“, hakte Jana nach.

      „Das nicht. Aber es wäre ein absolutes Plus, und du würdest uns einen großen Gefallen tun. Und natürlich auch den kranken Kindern …“

      Jana seufzte leise. „In Ordnung. Ich werde es mir überlegen.“

      Sie stand auf, schulterte ihren Rucksack und nickte uns kurz zu. Dann verschwand sie in der drängelnden Studentenmenge.

      ~ 10 ~

      „Was ist eigentlich los