Andreas Model

Die schönsten Märchen aus Südafrika


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dass niemand sehen konnte, was für einen 'Vogel' er darin hatte.

      Als die Mädchen nach Hause kamen, erzählten sie dem Häuptling, dass sich seine Tochter, die ins Alter des Ntonjane gekommen sei, mit einer anderen zusammen in einer Hütte aufhalte. Der Häuptling glaubte die Geschichte, schlachtete einen großen Ochsen und rief die Leute zum Essen. An diesem Tag aßen sie fettes Rindfleisch und waren sehr lustig. Die Jungen holten sich Fleisch und aßen es weit vom Dorf entfernt. Der Menschenfresser, der nicht wusste, dass der Vater des gefangenen Mädchens in jenem Dorf Häuptling war, kam dazu. Er sagte den Jungen, für ein wenig Fleisch ließe er seinen Vogel für sie singen. Also gaben sie ihm Fleisch, und er befahl: "Sing, mein Vogel." Der Bruder des Mädchens war auch dabei. Ihm schien, der Vogel sänge wie seine Schwester, aber er fürchtete sich, den Menschenfresser darum zu bitten, ihm den Vogel zu zeigen, sondern riet ihm, ins Dorf zu gehen, dorthin wo die Männer waren, und er erzählte ihm, dass es dort Mengen von Fleisch gäbe. Da lief der Menschenfresser ins Dorf und ließ dort seinen Vogel singen. Der Häuptling wünschte sehr, den Vogel zu sehen, aber der Menschenfresser wollte den Sack nicht öffnen. Einen Ochsen bot ihm der Häuptling für den Vogel, aber der Menschenfresser schlug das Angebot aus.

      Da dachte sich der Häuptling einen Plan aus. Er bat den Menschenfresser, ein bisschen Wasser zu holen und versprach ihm bei seiner Rückkehr eine Menge Rindfleisch. Der Menschenfresser war einverstanden zu gehen, wenn sie versprachen, in seiner Abwesenheit den Sack nicht zu öffnen. Alle versprachen, den Sack nicht anzurühren. Dem Menschenfresser gaben sie für das Wasser ein Gefäß mit einem Loch, so dass er lange fort sein würde. Sobald er außer Sicht war, öffnete der Häuptling den Sack und zog seine Tochter heraus. Zuerst konnte er es nicht glauben, dass es wirklich seine Tochter war, er dachte doch, dass sie das Ntonjane einhalte. Aber als er erkannte, wie sehr ihn die anderen Mädchen getäuscht hatten, forderte er, sie alle müssten sterben. Und so wurden sie getötet. Dann steckte der Häuptling Schlangen und Kröten in den Sack und band ihn wieder zu.

      Als der Menschenfresser zurückkam, beschwerte er sich über das löchrige Gefäß, aber sie gaben ihm eine Menge Fleisch, um ihn zu beruhigen, und er nahm seinen Sack über und ging fort. Er wusste ja nicht, was inzwischen geschehen war. Als er sich seiner Hütte näherte, rief er seiner Frau zu: "Bereite alles zum Kochen vor!" Und dann ließ er alle anderen Menschenfresser zu einem Festschmaus einladen. Sie erschienen und erwarteten, etwas Gutes zu bekommen. Ein Weilchen ließ er sie warten, damit ihr Hunger wuchs. Dann öffnete er seinen Sack und wollte das Mädchen herausholen, aber er fand nur Schlangen und Kröten darin. Die anderen wurden darüber so böse, dass sie ihn töteten und aus ihm ihren Festschmaus bereiteten.

      Das Honigrohr

      Während einer Hungersnot nahm ein Mann Pfeil und Bogen und ging hinaus, um für die Seinen zu jagen. Unterwegs sah er einen Bienenstock. Er nahm die Waben heraus und fand, dass sie viel Honig enthielten. Zu Hause angekommen, stellte er fest, dass niemand daheim war. Er nahm seinen Topf, schüttete den Honig hinein, ging hinters Haus, grub ein Loch und vergrub den Topf sehr sorgfältig, damit keine Erde in den Honig fiel. Vorher hatte er noch ein Rohr in den Topf gesteckt, dessen Spitze aus der Erde ragte. Als nun die Familie am Abend nach Hause kam und das Essen fertig war, wollte man ihm auftun. Er aber sagte: "Gebt nur den Kindern. Was mich angeht, so will ich, dass die Kinder, wenn sie gegessen haben, mitgehen und mir hinter dem Haus mein Lied singen." Er ging mit den Kindern hinaus und lehrte sie ein neues Lied, und das lautete so: "Es möge ertönen, es soll auf mich zufließen." Während die Kinder sangen, beugte sich der Mann nieder und sog so lange Honig aus dem Rohr, bis er vollkommen satt war. So tat er es alle Tage. Als er aber eines Tages nicht zu Hause war, sprachen die Kinder untereinander: "Kommt, lasst uns gehen und das Lied unseres Vaters singen." Und während die anderen sangen, versuchte ein Kind, an dem Rohr zu saugen, wie es der Vater immer tat. Es merkte: Das Lied war außerordentlich süß! Auch die anderen Kinder kosteten den süßen Honig. Schließlich riefen sie ihre Mutter. Die Mutter erkannte, dass in der Erde Honig vergraben war und fand auch bald den Topf. Sie grub ihn aus, schüttete den Honig in ihren Topf und goss in den anderen Wasser hinein. Darauf vergrub sie den Wassertopf wieder sorgfältig im Boden, denn der Vater durfte nichts merken. Den Honig trug sie ins Haus und aß davon mit ihren Kindern. Nachdem der Vater am Abend heimgekehrt war, sang er wie immer mit den Kindern das Lied. Als er aber an dem Rohr sog, merkte er, dass er nur Wasser schluckte. Er probierte noch einmal und fand, dass es tatsächlich so war. Da ging er mit den Kindern betrübt ins Haus. Sie aber verrieten ihm nichts. Nun aßen die Kinder Honig und gaben dem Vater nichts - wie er es mit ihnen getan hatte.

      Das Huhn und der Falke

      Als das Huhn einmal ein Tier getötet hatte, besaß es nichts, um es zu zerschneiden. Da sah es den Falken vorbei fliegen und rief: "Kamerad, leihe mir dein Messer!" Der Falke zog sein Messer heraus und gab es dem Huhn. Er flog weiter, um Futter zu suchen. Als er nach einer Weile zum Huhn zurückkehrte, hatte das Huhn das Messer des Falken verloren. Da sprach der Falke: "Such weiter, ich werde wiederkommen, um mir mein Messer zu holen!" Das Huhn suchte und suchte, konnte das Messer aber nicht finden. Als der Falke wiederkam und das Huhn ihm das Messer nicht geben konnte, sprach er: "Nun, es ist gut. Von jetzt an werde ich deine Kinder essen, damit ich für mein verloren gegangenes Messer Schadenersatz bekomme." Seit dieser Zeit hassen Huhn und Falke einander. Und wenn ein Huhn einen Falken kommen sieht, bringt es seine Kinder in Sicherheit.

      Das Mädchen Pelo

      Einst hatte eine Frau keine Töchter, die verheiratet werden konnten, und deshalb wurde sie von ihrem Mann verstoßen. Sie ging zu einem Medizinmann und erbat ein Mittel, um Töchter zu bekommen. Der Medizinmann schlachtete eine Ziege und sprach zu ihr: "Nimm eine Tonscherbe!" Dann legte er die Eingeweide der Ziege darauf und fuhr fort: "Wenn du nach Hause kommst und isst, nimm etwas Brei und schleudere ihn auf die Tonscherbe!" Die Frau tat, wie ihr der Medizinmann gesagt hatte. Am übernächsten Tag, als sie wieder etwas Brei auf die Scherbe warf, bemerkte sie, dass sich die Eingeweide in Mädchen verwandelt hatten. Die Frau sprach zu ihnen: "Meine Kinder, ihr dürft euch nicht draußen herumtreiben!" Da fragten die Kinder: "Warum denn, Mutter? Du gehst doch auch hinaus, weshalb dürfen wir es nicht?" Und sie liefen in der Mittagszeit zum Fluss. Als sie eben Wasser schöpften, kamen zwei junge Männer daher. Sie baten die Mädchen um Wasser. Die erste schöpfte und verschüttete das Wasser, die nächste schöpfte und verschüttete es ebenfalls. Da kam die dritte herbei und schöpfte Wasser. Sie hieß Pelo und war sehr schön. Die Jünglinge nahmen das Wasser und tranken. Als sie getrunken hatten, sagte der eine zu Pelo: "Ich will dich haben, komm mit mir!" Das Mädchen war einverstanden. Der Jüngling setzte sie auf einen Ochsen, um mit ihr nach Hause zu gehen und sie zur Frau zu nehmen. Als sie unterwegs waren, hielt er an, um den Tieren Wasser zu geben. Pelo blieb zurück. Als sie so saß und wartete, kam ein kleiner wilder Hund und sagte zu ihr: "Gib mir alles, was du anhast. Ich will sehen, ob es mir steht." Pelo gab ihm, was sie hatte. Der Hund schenkte ihr seinen Schwanz und sprach: "Geh zu jener Grube dort und koch den Brei, der auf dem Feuer steht." Pelo ging zur Grube und tat, wie ihr geheißen. Als der junge Mann vom Fluss zurückkam, fragte er den Hund: "Du bist doch wohl Pelo?" Da stellte sich der Hund beleidigt und sprach: "Wie kannst du nur zu mir sagen: 'Du bist doch wohl Pelo?' Da kannst du mich gleich zu meiner Mutter zurückbringen. lass mich, ich will zu meiner Mutter zurück!" Der Jüngling lenkte ein und sagte: "Das heißt doch nicht, dass wir zu deiner Mutter gehen wollen." Sie gingen zu den Verwandten des Jünglings. Das Mädchen Pelo aber folgte ihnen. Um die Mittagszeit kam sie bei den Verwandten des Jünglings an und bat um etwas Korn, damit sie es mahlen könne. Man gab ihr Korn, und sie mahlte es. Daraufhin nahm Pelo Lehmerde und glättete den Boden im Haus. Als der Jüngling hereinkam, fragte er: "Wer hat denn hier den Boden geglättet?" Man antwortete ihm, dass es ein wunderschönes fremdes Mädchen gewesen sei. Da befahl er: "Wenn sie wiederkommt, dürft ihr sie nicht fortlassen!" Als Pelo wiederkam, hielt man sie zurück. Der junge Mann erkannte, wer die wirkliche Pelo war, und jagte den Hund weg. Bald darauf heiratete Pelo den Jüngling.