Linda Große

Liebe, gut gekühlt


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Samt und Seide. So wie vor zwei Jahren, als diese Yacht auftauchte und draußen vor der Bucht die Anker fallen ließ. Nichts Außergewöhnliches eigentlich. Bis die Geräusche eines heftigen Gelages in der Nacht ungebremst über die Fläche des stillen Meeres in die Häuser der Dorfbewohner schlitterten. Laute Touristen waren wahrlich nichts neues, aber das brach alle Rekorde. Urania hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Stavros, der Glückliche übertönte mit seinem üblichen, lauten Schnarchen gnädiger Weise jede nächtliche Ruhestörung in seinen eigenen Ohren. Sogar diese!

      Irgendwann nach Sonnenaufgang war der Lärm abgeflaut und sie hatte wenigstens noch etwas schlafen können. Auf der Yacht blieb es mucksmäuschenstill. Den ganzen wunderschönen Tag lang. Bis am Nachmittag das Beiboot vollbesetzt an den Strand tuckerte und eine, schon wieder sehr ausgelassene Menge ausspuckte. Einige wagten sich in das, um diese Jahreszeit noch recht kalte Wasser und tobten ausgiebig herum. Die meisten jedoch wanderten zielstrebig zur Bar von Christos. Seine Espressomaschine lief fast heiß an diesem Tag, während die Russen ihre angewärmten Gedärme anschließend prompt mit Strömen von Ouzo und Metaxa kühlten.

      Christos machte an diesem Tag das Geschäft seines Lebens und fuhr gleich am nächsten Morgen mit Stavros in die Stadt um seine Regale mit einer neuen Batterie Alkoholika jeder Art aufzufüllen. Er mochte die Russen. Selbst die zerschlagenen Gläser minderten seine Sympathie kaum. Nur seine Frau war nicht glücklich darüber, am nächsten Tag all die Scherben aus dem Sand fischen zu müssen.

      Das Gejohle der Yachtbewohner nahm mit sinkendem Sonnenstand sehr schnell wieder unerträgliche Dimensionen an. Die Handvoll Engländer, die es um diese Jahreszeit hierher verschlagen hatte, versuchte mit stoischer Gelassenheit die Präsenz dieser, in ihren Augen neureichen Proleten zu ignorieren. Doch dieses Mal kapitulierten sogar sie sehr schnell, packten die Badeutensilien zusammen, schwangen sich auf ihre gemieteten Motorroller und fuhren zurück zu den Quartieren.

      Zur Freude aller, mit Ausnahme von Christos, legte die Yacht am nächsten Tag um die Mittagszeit ab. Nur einer blieb zurück. Greg. Er mietete sich in Christos Bar ein, in einem winzigen Verschlag mit Bett, das während der Hochsaison einer Aushilfe als Unterkunft diente. Und schon in der nächsten Nacht schloss Stavros mit ihm das Geschäft für die Nutzung des verfallenden Häuschens ab, das Uranias Großeltern bewohnt hatten.

      „Männer!“ Wutschnaubend landete der Teigklumpen erneut mit klatschendem Geräusch auf der Unterlage.

      Sophie schreckte hoch und stimmte ein verhaltenes Geheul an. Urania hörte es nicht. Männer! Eine gemeinsam durchsoffene Nacht und schon waren sie die dicksten Freunde!

      Der Ärger über ihren Untermieter, wie sie Greg insgeheim nannte, wollte einfach nicht abebben. Mittlerweile färbte sich ihr Gesicht puterrot; Stavros würde bei diesem Anblick einen Herzinfarkt befürchten, aber Stavros war nicht da. Heute war er mit Christos nach Igoumenitsa gefahren, das taten sie immer einmal im Monat. Sie fuhr schon lange nicht mehr mit, die Stadt war ihr zu laut, zu unruhig. Selbst die wöchentlichen Einkäufe in Korfu-Stadt erledigte Stavros in der Regel alleine. Ab und zu hatte Greg ihn schon begleitet, nachdem er einmal mit seinem Motorrad eingesprungen war, als ihr Auto in die Werkstatt musste. Er suchte offenkundig Familienanschluss! Dabei hatte er doch Familie in Russland. Das Foto war ihr nach wie vor gut in Erinnerung. Er hatte es ihnen wohl als vertrauensbildende Maßnahme präsentiert, bevor er mit Stavros per Handschlag den Mietvertrag besiegelte (Eingeweiht wurde er mit russischem Wodka von Greg, Moussaka von ihr, wozu ihr Mann sie mit Nachdruck überreden musste, sowie Rotwein in Strömen).

      Obwohl Urania der Begriff Körpersprache fremd war, blieb dieses irritierende Familienfoto in ihrem Gedächtnis haften: Greg hockte zwischen seinen beiden Söhnen, die Arme um ihre Schultern gelegt, ein jungenhaftes Lachen enthüllte seine strahlendweißen Filmstar-Zähne, während die Jungen sehr selbstbewusst in die Kamera schauten (Den Begriff cool kannte Urania ebenfalls nicht). Aber seine Frau zeigte nur ihr abgewandtes Profil, der Körper neigte sich zum Bildrand, so als wolle sie aus dem Foto herausfallen. Es verwunderte sie also nicht, dass er seine Frau in den zwei Jahren noch niemals mit hierher gebracht hatte. Aber seine Söhne auch nicht, obwohl er sie regelmäßig besuchte.

      Er konnte gut mit Jungen umgehen, das musste sie widerwillig anerkennen. Während der Sommerferien ihres Enkels hatte Greg ihn mehrmals auf seinem eigenartig aussehenden Motorrad mitgenommen. Leider hatte er Stavros um Erlaubnis dafür gefragt!

      Und nun brachte er das erste Mal nach zwei Jahren jemanden mit, eine Frau, eher ein Mädchen, jedenfalls nicht seine Ehefrau!

      Urania klatschte die zerteilten, runden Teigklumpen auf die vorbereiteten Backbleche und bedeckte sie mit den Küchentüchern. Dann hob sie einen Zipfel ihrer Schürze hoch und rieb sich über ihr erhitztes, feuchtes Gesicht. Mit einem erleichterten Aufseufzen stellte sie den Küchenwecker und nahm ihn mit hinaus auf die Veranda. Sophie verließ ihren Platz unter dem Feigenbaum und trottete freudig zu ihrer Herrin, die sich schweratmend in ihren Liegestuhl sinken ließ.

      „Ich bin fast fertig“, sagte sie zu der Hündin und tätschelte den Kopf des Tieres. „Hätte er nicht Brot auf die lange Einkaufsliste schreiben können, die er Stavros mitgegeben hat?“

      Kapitel 5

      Den linken Fuß auf der durchgetretenen Kupplung, spielte der rechte mit dem Gaspedal seines Porsches. Ben genoss diesen satten Sound ebenso wie das erschreckte Zusammenzucken der Fußgänger. Seine Welt glich einer Scheibe und sie war wieder voll in Ordnung! Nicht das sie jemals wirklich in Unordnung geraten wäre. Oh, nein! Nicht wirklich. Nachdem Cora vor ein paar Wochen so abrupt ihre Beziehung beendete, war er sich ganz sicher gewesen, sie würde zu ihm zurückkommen. Reumütig zurückkehren! Zu fabulous, exciting Ben! Ihre Amnesie steigerte sein wahrscheinlich hauptsächlich horizontal ausgerichtetes Selbstbewusstsein ins Unendliche. Zum zweiten Mal hatte sich Cora in ihn verliebt! Das war die gelungenste Quadratur des Kreises überhaupt, die vollendete Drehung um 360°, der verdiente Neuanfang. Seine Fantasie vollführte übermütige Purzelbäume auf der endlos weiten Ebene seiner so übersichtlichen Weltanschauung. Jedenfalls hatte Sabrina ihn von Anfang an nicht leiden können, und jetzt würde sie ihn am liebsten auf den Mond schießen!

      Er pfiff leise vor sich hin, California dreamings, obwohl der CD-Player gerade Pat Benaters Love is a battlefield spielte. Sabrina entging seine gute Laune nicht, obwohl sie in Gedanken heftig mit Cora schmollte. Sie rutschte noch etwas tiefer in den Beifahrersitz, so als könne sie dadurch dem musikalischen Wirrwarr ausweichen, um in Ruhe wegen des Verhaltens ihrer Freundin grübeln zu können. Sie verstand das einfach nicht. Wie hatte Cora, als Ben völlig unerwartet im Krankenhaus auftauchte, bloß so heftig mit ihm flirten können? Dabei konnte sie sich an ihn genauso wenig erinnern wie an sie, ihre beste Freundin seit Jahren, Sabrina Sommer. Amnesie, meinten die Ärzte. Aber erstaunlicherweise hatte die flirtende Cora plötzlich sehr lebendig gewirkt, sehr gesund. Aber angeblich blieben erworbene Reflexe auch bei einer Amnesie erhalten. Cora würde demnach sogar ihren Beruf als Zahnarzthelferin weiter ausüben können.

      Ben lenkte den Wagen geschickt in eine Parklücke, griff mit der Hand über Sabrina hinweg und öffnete die Beifahrertür.

      „Katze füttern“, forderte er sie auf.

      Gehorsam kletterte Sabrina aus dem tiefliegenden Porsche und kramte in ihrer Handtasche nach Coras Hausschlüssel. Zu ihrem Erstaunen stieg Ben ebenfalls aus. Offensichtlich wollte er mit in die Wohnung. Das war ihr ziemlich unangenehm, schließlich hatte ihre Freundin vor der Amnesie Schluss mit ihm gemacht. Zu Recht, wie Sabrina fand. Sie hatte Coras Abneigung gegen Ben voll verinnerlicht. Und nun das! Sie verstand die Welt nicht mehr. Schließlich war die Beziehung zwischen beiden sehr schnell wieder zu Ende gewesen, eigentlich schon bevor sie richtig begann. Cora empfand Ben bereits nach kurzer Zeit als Langeweiler schlechthin. Während ihrer Dates klebte er ständig mit einem Ohr an seinem Handy um belangloses Zeug mit irgendjemand auszutauschen. Vergeblich versuchte Cora ihm das abzugewöhnen. Doch ihr endgültiger Ausflipp kam, als sein Vater ihm den neuesten Porsche spendierte. Er holte sie stolz damit ab, führte sie in ein teures Restaurant aus, extra zur Feier des Tages und baute dann seinen Laptop auf zwischen Champagnergläsern und Porzellangedeck, nur um das Modell,