Linda Große

Liebe, gut gekühlt


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meiner Nichte.“ Mühsam zog sich Theo aus seiner Wohlfühltrance heraus. Frau Müller-Schlomkat hatte angefangen zu erzählen, was ihr auf dem Herzen lag. Er unterbrach sie nicht, obwohl ihm der Anfang entgangen war.

      „Sie ist meine einzige Verwandte, mein Mann und ich haben keine Kinder. Ulrike ist die Alleinerbin meines nicht unbeträchtlichen Vermögens. Sie ist 38 Jahre alt, lernt einen Mann kennen, der macht ihr bereits nach vier Wochen einen Heiratsantrag und das im 21. Jahrhundert! Da stimmt doch was nicht!“

      „Kennen Sie ihn?“

      Meine Nichte kommt jeden Sonntag zum Essen. Sie hat ihn nach dem Antrag eingeladen. Natürlich mit meiner Zustimmung. Er war nur ein einziges Mal dabei. Die letzten beiden Sonntage war er jedes Mal verhindert. Das ist doch kein Zufall! Der Kerl gefällt mir nicht!“

      Zu Theos Fragen lieferte sie leider keine nennenswerten Einzelheiten und er fragte sich, ob sie sich vielleicht mehr Sorgen um ihr Geld machte als um ihre Nichte. Er verdrängte diesen Gedanken jedoch sofort wieder und ließ sich die Informationen geben, die er benötigte um die erwünschten Nachforschungen anzustellen. Dann stellte sie ihm die Frage nach dem wie viel.

      „200 pro Tag, plus Spesen.“

      „Wie lange werden Sie brauchen?“

      „Normalerweise nur ein paar Tage.“

      Sie zückte ihr bereitliegendes Scheckbuch, schrieb den Scheck aus und überreichte ihn Theo.

      „Sechshundert fürs erste. Falls ich recht habe, ist mir das eine Erfolgsprämie wert.“

      Beglückt verstaute Theo den üppigen Scheck in seiner Brieftasche. Da hätte ich Victor gar nicht anpumpen müssen, dachte er. Während er mit wohligem Behagen die Zigarre rauchte, fing die alte Dame an von ihrem verstorbenen Gatten zu erzählen. Als Theo sich eine halbe Stunde später verabschiedete, tätschelte sie seine Hand als wären sie alte Freunde.

      Kapitel 7

      Die Reste eines Tiefs hingen als Filzdecke über Aachen. Diese übliche homogene Wolkenmasse, die nicht den kleinsten Sonnenstrahl hindurch ließ, lediglich eine diffuse Helligkeit. Max Rahn war gebürtiger Aachener, er liebte seine Stadt. Alles an ihr, bis auf das Wetter und den Karneval. Wenn irgend möglich verbrachte er die Tage von Fettdonnerstag bis Aschermittwoch außerhalb der Stadt. Leider war das Wetter im Gegensatz zum Karneval ganzjährig. Wie oft hatte er es erlebt, wenn er die Autobahn Richtung Heimat fuhr, überall blauer Himmel und Sonnenschein, auch noch in Köln. Aber hinter Frechen sah man dann diese Wolkenmatte am Nordrand der Eifel festhängen, ganz Aachen überschattend. Er erinnerte sich an den Sommer, als zwei Monate lang, Juni und Juli dieser Filzhimmel über Aachen klebte, der nicht mal ahnen ließ, wo die Sonne stand. Kein Tropfen Regen in diesen langen Wochen, aber auch kein Sonnenstrahl, während sich ganz Deutschland über einen Jahrhundertsommer freute. Und trotzdem, er wollte nirgendwo anders leben. Er hatte geglaubt, auch Jeanne liebe Aachen, zumal es so nahe bei ihrer ursprünglichen Heimat in Limburg lag.

      Der Schmerz um ihr Verschwinden zuckte in seinem Bewusstsein. Doch er wollte nicht daran erinnert werden, nicht jetzt, nicht heute, am liebsten gar nicht mehr. Seit dieser Detektiv aus Berlin angerufen hatte, fiel ihm das Verdrängen wieder schwer. Alle diese Gefühle und Zweifel. Irgendetwas sagte ihm, das sie einfach abgehauen war, verschwunden aus einem Leben, das sie zusehends langweilte. Es war schließlich nicht das erste Mal. Ihren Eltern hatte sie mit fünfzehn Jahren dasselbe zugemutet. Trotzdem verschwieg er seine Vermutungen, lieber lebte er mit dem Mitleid in seinem Freundeskreis als mit der Verachtung. Niemand hatte ein Problem mit Frauen, die verlassen wurden, sowas passierte halt, doch ein Mann, den seine Ehefrau hat sitzen lassen, das war ein willkommener Anlass negative Sichtweisen zu manifestieren. Bachman und Hanni würden zu ihm stehen, davon war er überzeugt. Aber seine anderen Bekannten, da hegte er heftige Zweifel. Die wenigstens Künstler die er persönlich kannte waren verheiratet, das passte einfach nicht in ihre Vorstellung von einer Lebensweise, die nur von ihrer Kunst bestimmt wurde.

      Max löste sich vom Fenster. Das Wetter machte ihn heute sehr melancholisch. Dabei freute er sich auf die Einladung bei seinen persischen Freunden. Hanni würde sein Lieblingsgericht Imam Bayildi kochen: Das Essen bei dem der Imam in Ohnmacht fiel. Irgendwo lag das Rezept herum. Sie hatte es eines Tages für Jeanne aufgeschrieben. Jeanne kochte gerne und gut. Sehr gerne. Das erste, was sie damals in der Provence für ihn gekocht hatte, war algerisches Couscous gewesen. Er wollte nicht an Jeanne denken! Warum war der Imam in Ohnmacht gefallen? Er versuchte, sich an Hannis Erklärung zu erinnern. Eine Legende besagte, er habe das Bewusstsein verloren, als ihm der Wohlgeruch der gefüllten, geschmorten Auberginen in die Nase stieg. Eine weniger feine Version behauptete, er habe sich an dem Leckerbissen völlig würdelos bis zum Kollaps überfressen. Nach der dritten Legende sollen ihn die Sinne verlassen haben, weil ihm sein Lieblingsgericht aus irgendwelchen Gründen verweigert wurde.

      Er schüttelte unwillkürlich den Kopf. Auch nicht gerade aufmunternd. Er musste irgendetwas tun um sich abzulenken. Es waren noch einige Stunden bis zu der Einladung. Unschlüssig trat er an seine Staffelei, nahm einen Pinsel zur Hand, starrte auf das angefangene Bild und legte nach kurzem Zögern den Pinsel wieder ab. Nein, seit Jeannes Verschwinden musste er selbst beim malen an sie denken. In seinem ruhelosen Zustand wäre ein ausgiebiger Spaziergang wahrscheinlich das Beste. Er ging entschlossen in den Flur, suchte seine bequemen Segelschuhe in den Schuhkippern, überlegte einen Moment, ob er sicherheitshalber einen Regenschirm mitnehmen sollte und verließ die Wohnung.

      Wohlüberlegt ging er nicht Richtung Stadtmitte, Aachen war einfach zu klein, dort traf man unweigerlich Bekannte. Und er wollte jetzt niemanden treffen. Das Selbstmitleid zerrte zu sehr an seiner Selbstbeherrschung. Wer auch immer ihm heute über den Weg lief, es bestand die Gefahr, dass er sich als verlassener Ehemann outen würde!

      Als Max den Elleterberg hinaufstieg geriet er außer Atem und lehnte sich keuchend gegen einen Baumstamm. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er das Gillesbachtal weit hinter sich gelassen hatte, ohne es überhaupt wahrzunehmen. Er konnte sich auch nicht daran erinnern die Adenauerallee und die Monschauer Straße überquert zu haben. Jeanne hatte ihn voll im Griff! Seine Gedanken kreisten ausschließlich um sie und sein Gehirn ließ die Erinnerungen als Film vor seinem inneren Auge abspulen.

      Dieser aufregende, lange Sommer in der Provence. Er war mit dem Zelt unterwegs gewesen. Das Ende einer langjährigen Beziehung weckte in ihm wieder Abenteuerlust und Erlebnishunger. Er war damals mit seiner alten Campingausrüstung ins Auto gestiegen und Richtung französische Mittelmeerküste gefahren, ohne ein bestimmtes Ziel. Hinter Lyon übernachtete er das erste Mal bei Weinbauern, Camping a la ferme. Das Ehepaar war in seinem Alter, Mitte Dreißig und sie verbrachten einen feuchtfröhlichen Abend in der Scheune. Sein Französisch reichte aus für ein Gespräch über die Tücken der Weinherstellung. Sie ließen ihn sogar ihren größten Flop verkosten und gaben ihm einen ganzen Karton mit auf den Weg, weil er ihn gar nicht so schlecht fand. Danach wechselten sie zu den besseren Sorten und hörten auf, Striche auf dem Rechnungsblock zu machen. Er erzählte ein wenig von seiner Kunst und kritzelte ein paar Karikaturen in seinem Skizzenblock für die beiden. Im Laufe des Abends trudelten noch einige Leute aus der Nachbarschaft ein und die deutsch-französische Völkerverständigung endete mit dem Versprechen, zur Weinlese wieder zu kommen. Er hatte das wirklich ernst gemeint, zumal sie ihn überreden wollten noch ein paar Tage zu bleiben. Aber ihn trieb es nach Süden, denn über den Weinbergen hing ein nicht weichen wollender Nieselregen. Fast wie Aachener Wetter. Seine zweite Zwischenstation lag in der Provence, St. Remy du Provence.

      Jeanne lief ihm schon beim einchecken über den Weg. Oder besser gesagt, saß vor ihm, hinter dem Tresen der Rezeption. Eine braungebrannte, faszinierende blonde Schönheit. Botticellis Venus. Er hätte sie am liebsten sofort gemalt. Von Anfang an blieb er ihretwillen länger auf dem Campingplatz. Es wurden fast zwei Monate daraus. Das Mittelmeer lief ja nicht davon. Aber bei solch einer Frau konnte man nie wissen. Dabei hatte er fürs erste die Nase voll von festen Beziehungen. Trotzdem fuhr er am Ende mit einem Heiratsversprechen nach Aachen zurück.

      Sie war ein frühreifes Früchtchen, ohne Hemmungen verführte sie ihn und war so abgebrüht,