Linda Große

Liebe, gut gekühlt


Скачать книгу

von Bens Vater eingeladen, fragte sie sich. Schließlich waren die zwei jetzt schon wieder einen Monat zusammen. Rechnete man die Zeit vor Coras Verschwinden dazu, kannten sie sich fast ein Jahr. Eigentlich lange genug für einen Familienanschluss. Oder doch nicht? Aber vielleicht war eine kleine Zahnarzthelferin nicht standesgemäß für den Sohn eines erfolgreichen Unternehmers.

      Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie beide zusammen Ben kennen gelernt hatten, es war in der Studentenkneipe gewesen, in der sie ab und an kellnerte. Ben war mit einigen Studienkollegen aufgetaucht und schmiss ein paar Runden. Er studierte mal dies, mal das und schleppte ständig neue, sogenannte Freunde an. Deshalb war er für Sabrina kein Unbekannter mehr. Aber an jenem Abend tauchte Cora auf um sie abzuholen und natürlich fiel sie Ben auf. In der Freizeit wirkte sie fast wie ein Abziehbild von Heidi Klum mit ihrer tollen Figur und ihren langen, echtblonden Haaren. Das sympathische an Cora war, das sie sich ihrer Wirkung überhaupt nicht bewusst war und einen Vergleich mit diesem Supermodell eher als Beleidigung empfunden hätte. Sie legte sehr viel Wert darauf, authentisch zu sein.

      Wie Ben es bewerkstelligte, sie beide an seinen Tisch zu bekommen, war Sabrina nie so richtig klar geworden. Aber vielleicht hatte es eben daran gelegen, dass er Cora keine Komplimente über ihr Aussehen machte.

      Jedenfalls wurde die Initialzündung, komischerweise, damals durch Bens Handy ausgelöst. Es meldete sich mit Coras Lieblingssong. Wie Ben, und das war wirklich das einzige, was ihm einen menschlichen Anstrich verlieh, stand Cora auf Musik aus den Siebziger und Achtziger Jahren. Dummerweise, oder eher glücklicherweise, vergeudete er den Anfangsbonus durch das unentwegte Präsentieren seiner Vielzahl an Statussymbolen, alle von Papa bezahlt. Es war nicht lange gelaufen mit den beiden. Cora hatte sich schon damals überlegt, ob Daddy seinen Sohn dieserart beschäftigt hielt, weil er noch keinerlei Lust verspürte, seinem Sohn die Firma zu übergeben.

      Plötzlich tauchte Cora auf, fiel ihr um den Hals und drückte sie, so als würde sie sich riesig über einen gemeinsamen Abend mit ihr freuen. Sabrina dachte an Biggis Überlegung, schob ihren Arm unter Coras Arm und zog sie Richtung Warteschlange.

      Natürlich hatte Cora nach dem Kino das Restaurant ausgesucht. Sie wollte unbedingt chinesisch essen. Obwohl Sabrina das schon lange satt hatte, stimmte sie dem widerspruchslos zu. Biggis mahnende Worte bezüglich Coras Amnesie ließen sie partout nicht los. Sie wollte auf die Freundschaft nicht verzichten, also musste sie die Geduld aufbringen, sie neu entstehen zu lassen. Biggi hatte recht, eigentlich war sie für Cora eine Fremde geworden durch den Gedächtnisverlust. Allerdings wurde ihre Geduld durch Bens ständige Anrufe ganz schön auf die Probe gestellt. Es erinnerte sie erneut daran, wie anders Cora sich verhielt, seitdem sie in der Praxis aufgetaucht war nach ihrem wochenlangen Verschwinden. Früher wäre sie niemals ans Handy gegangen während des Essens in einem Restaurant. „Wenn es wichtig ist, ruft derjenige später wieder an.“ Das war immer ihr Standardsatz gewesen. Komisch, das der überhaupt nicht mehr kam. Für einen Moment zweifelte Sabrina ihr eigenes Erinnerungsvermögen an. Doch das, was Cora dieses Mal nach Bens viertem oder fünftem Anruf ins Handy säuselte, holte sie ganz schnell in die Gegenwart zurück.

      „Wir sind beim Chinesen, wann kannst du hier sein?“

      Oh nein, das darf nicht wahr sein, dachte Sabrina geschockt. Scheinbar war Ben lange genug bei Papas Geburtstag, jetzt durfte der brave Junge wieder auf Tour gehen.

      „Ben wird in einer halben Stunde hier sein!“, teilte Cora nach Beendigung des Telefonats freudestrahlend mit. Wir wollen in diese Underground Disco in Prenzelberg gehen. Warst du da schon mal? Ist echt geil.“

      Während Sabrina überlegte, wo es am Prenzlauer Berg eine Disco gäbe, die Cora mit Underground Disco meinen könnte, suchte sie gleichzeitig nach einer Ausrede, Ben aus dem Weg zu gehen. Grässliche Vorstellung, Cora und Ben mit ihr als fünftes Rad am Wagen. Dieses Wortbild half ihrem Gehirn, Abteilung Ausreden, auf die Sprünge. Bens Sportflitzer war ein kompromissloser Zweisitzer, kein Plätzchen für einen Anstandswauwau.

      Scheinbar war Cora wirklich enttäuscht, dass Sabrina nicht mit wollte und suchte nach Möglichkeiten, sie zu überreden, bot ihr sogar an, das Taxi für sie zu bezahlen. Das freute Sabrina, änderte aber nicht ihre Meinung.

      „Und wie soll ich heute Nacht vom Prenzlauer Berg nach Hause kommen? Außerdem habe ich morgen früh eine Verabredung zum Frühstück.“

      „Mit wem denn?“, wollte Cora prompt wissen.

      Für einen Moment verspürte Sabrina den Drang, ihre Freundin einfach anzulügen. Dann hätte sie ihre Ruhe. Aber ihr war klar, nur ein Männername würde von Cora akzeptiert werden. Leider gab es zurzeit weit und breit kein entsprechendes Exemplar. Also erklärte sie wortreich, das ihre WG mal wieder vollständig anwesend wäre und den Sonntag gemeinsam verbringen wollte.

      Überraschenderweise gab Cora ihre Überredungsversuche daraufhin sofort auf, verzog allerdings die Mundwinkel zu einer abschätzigen Miene:“ Na, wenn du das brauchst.“

      In diesem Fall siegte die Wahrheit unerwartet prompt, allerdings mit unangenehmem Beigeschmack. Diese Mimik kannte sie von ihrer alten Cora und wusste auch um deren Bedeutung. So reagierte ihre Freundin auf Langweiler, meistens auf Männer. So hatte sie mal auf Ben reagiert. Und jetzt das. Kein guter Start für eine erneute Freundschaft.

      „Du bist doch immer gern zu unseren Brunchs gekommen!“, versuchte sie Cora zu erinnern, doch die guckte sie nur an, als käme sie von einem anderen Stern. Bens Auftauchen wurde dadurch zu einer willkommenen Erlösung.

      Schon von der Straße aus konnte sie sehen, dass in Biggis Zimmer Licht brannte. Sehr leise öffnete sie die Wohnungstür. Von sozialen Kontakten hatte sie für heute genug. Alles war so kompliziert geworden. Sie wollte nur noch ins Bett und schlafen. Aber für Biggi schlich sie nicht leise genug durch den Flur. Ihre Zimmertür öffnete sich plötzlich, warf einen breiten Lichtstrahl auf Sabrina und konfrontierte sie mit der Frage: “Wieso machst du dir kein Licht?“

      Das Flurlicht flammte auf und Sabrina fühlte sich wie ein begossener Pudel. Glücklicherweise gehörte zu Biggis vielfältiger beruflicher Verantwortung auch die Menschenführung. Sie kam einen Schritt auf Sabrina zu, hakte sich ein und schleppte sie in ihr Zimmer. Auf dem Tisch stand eine angebrochene Flasche Wein mit zwei Gläsern, eines davon unbenutzt.

      „Setz dich“, sagte sie und fügte dann noch hinzu, „mach es dir gemütlich. Ich habe dir was Interessantes zu erzählen. Habe im Internet unter Amnesie nachgeforscht. Hochspannend. Und Chris hat eine Cousine deren Tante Psychiaterin ist, wusste ich übrigens gar nicht, der haben wir eine E-Mail geschickt. Die Antwort kam heute Abend. Chris ist übrigens nicht da, macht heute Nacht mit ihrer Clique eine Tour durch die Kneipen. Lässt dich grüßen und dir ausrichten, dass wir sie zum Brunch aus dem Bett schmeißen sollen, will unbedingt dabei sein.“

      „Wo dabei sein?“, echote Sabrina, Biggis Wortschwall unterbrechend.

      Die lachte amüsiert auf, tätschelte Sabrinas Arm, schenkte ihr Weinglas voll und ließ sich auf den Sessel neben dem Sofa sinken. Sie hob ihr Glas in Sabrinas Richtung und erklärte feierlich: „Ich bin dir sehr zu Dank verpflichtet. Eigentlich wollte ich nur rumhängen, mal abschalten. Dienstag fliege ich in die Staaten, muss dabei sein, wenn die Produktion aufgenommen wird. Wenn alles gut läuft, nehme ich mir danach eine Woche frei. Will mal wieder ausgiebig shoppen in NY. Egal, die Amnesie deiner Freundin ist wirklich irre, total anregend, mal ganz was anderes als eine neue Marmeladenproduktion im Ausland zu organisieren.“

      „Stopp, stopp! Du bist sowas von aufgedreht. Da komme ich mitten in der Nacht nicht mehr mit.“

      „Okay, ganz langsam von vorne!“

      Sie stand auf, ging zu ihrem Computer und holte einige bedruckte Seiten. Sabrina sah die handschriftlichen Randbemerkungen und fragte sich, was da wohl kommen würde. Was sollte denn an Amnesie derart spannend sein?

      „Du hast doch erzählt, deine Freundin hatte nur eine leichte Gehirnerschütterung. Sowas löst aber keine Amnesie aus!“

      „Und sie hatte einen blauen Fleck am Oberarm!“, ergänzte Sabrina spontan und ärgerte sich gleich über diese dumme