Linda Große

Liebe, gut gekühlt


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Physiotherapeutin Inga, bei der er seit einem Autounfall in Behandlung war, endlich etwas für seine Fitness zu tun. Seit Jeannes Verschwinden schob er es vor sich her, bei seinem Arzt ein neues Rezept für die nächsten sechs Anwendungen zu holen. Inga war unübersehbar scharf auf ihn und witterte ihre große Chance, sich ihn jetzt zu angeln. Max witterte dagegen den Alkohol in ihrem Atem, wenn sie sich bei der Massage seiner Schultergelenke über ihn beugte, trotz Pfefferminz, vermischt mit Wolken von Parfüm. Sie war eine Spiegeltrinkerin, niemals würde man sie betrunken erleben. Max hatte sie als Alkoholikerin erkannt, als er eines Tages den ersten Termin am Morgen zur Behandlung bei ihr wahrnahm. Er war nach der Betätigung des Türöffners wohl schneller die vier Treppen hochgestiegen, als sie von ihm erwartet hatte. Blitzschnell ließ sie das kleine Fläschchen verschwinden, dessen Inhalt sie in ihre Kaffeetasse geschüttet hatte.

      Das kannte er von Onkel Erich, dem Lebensgefährten einer seiner verwitweten Tanten. Onkel Erich startete den Tag genau wie Inga mit Schnaps im Kaffee. Er war ebenfalls Spiegeltrinker, trotzdem kletterte er mit seinen siebzig Jahren sicher die Leiter rauf und runter, als er in Max Atelier den mit Heftpflaster verbundenen Klingeldraht durch richtige Elektroleitungen ersetzt hatte. Den Staub, den das Aufstemmen der Wände erzeugte, spülte er mit einer ganzen Kiste Bier herunter. Die mitgebrachten Proviantpakete verspeiste der alte Mann mit großem Appetit, was wiederum jedes Mal ein Verdauungsschnäpschen nötig machte. Im Gegensatz zu Inga spielte Onkel Erich nicht Versteck, sondern soff fröhlich und mit Überzeugung. Auf einen ahnungslosen Menschen wirkte er stocknüchtern. Wie Inga auch.

      Max schaute auf seine Armbanduhr. Es wurde Zeit umzukehren, wenn er nicht verspätet bei Hanni und Bachman auftauchen wollte.

      Es roch schon im Treppenhaus fantastisch lecker. Leider erzeugte der appetitliche Geruch bei Max erneut die depressive Stimmung. Er vermisste Jeanne. Er vermisste sie, obwohl sie in letzter Zeit ständig unzufrieden gewesen war, über alles mögliche nörgelte, sogar über Dinge, die sie früher schön fand oder sogar aufregend. Aufgemotzt Vernissagen besuchen, die Aufmerksamkeit der Besucher durch schrille Klamotten auf sich ziehen, all das machte ihr mit einem Mal keinen Spaß mehr!

      Ich muss mich zusammenreißen, dachte er, auch wenn Hanni und Bachman wirklich Freunde sind, ich will kein Mitleid. Sie müssen nicht wissen, dass ich glaube, nein, davon überzeugt bin, Jeanne ist einfach abgehauen, auf und davon, wie ein Zugvogel.

      „Wo ist Jeanne?“, fragte Parvis, drängelte sich an den Beinen seines Vaters vorbei und schaute die Treppe hinunter. „Wo ist Jeanne? Wir wollen doch Mensch ärgere dich nicht spielen!“

      Es war Jeanne gewesen, die dem kleinen Sohn von Bachman und Hanni mit einer, für sie ungewöhnlichen Geduld dieses Spiel beigebracht hatte. Parvis verzog weinerlich das Gesicht, als sein Vater ihm erklärte, Jeanne wäre in Berlin und könne heute nicht kommen.

      „Warum denn nicht?“, jammerte er lautstark immer wieder, bis Max sich aufraffte, ihn mit dem Versprechen auf den Arm zu nehmen, nach dem Essen mit ihm zu spielen.

      Der Junge vermisst Jeanne wirklich sehr, dachte Max. Ich vermisse sie auch sehr. Ich will sie zurück haben! Morgen werde ich diesen Detektiv in Berlin anrufen. Ich will meine Frau, ich brauche sie. Ohne sie ist mein Leben langweilig.

      Kapitel 8

       Der Plan

      Tod der Langeweile.

      Action. Action womit?

      Schach, Schach mit Menschen. Schieben wie Schachfiguren. Menschen schieben wie Schachfiguren, manipulieren.

       MANIPULIEREN

      Manipulieren heißt MACHT ausüben.

      Womit? Geld? Sex? Langweilig.

      Mit Gewalt? Vollkommen inakzeptabel weil unbefriedigend.

      Womit? Manipulieren.

      Womit manipulieren? Wünsche wecken. Sehnsüchte wecken. Wie die Werbung.

      Welche Sehnsucht wecken?----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------????????

      Die Sehnsucht Macht auszuüben. -------------------Womit?

      Mit MANIPULATION!!!!!

       Wen kann ich wie manipulieren?

      Denkpause

      Kapitel 9

      Rainer Kokoschke. Sein Leben war so durchsichtig wie eine gut geputzte Glasscheibe. Zu einfach. Verdächtig einfach, wie es in Krimis immer heißt. Er war früh Witwer geworden, hatte zwei Töchter großgezogen. Eine achtzehn Jahre, die andere zwanzig. Beide studierten nach dem Abi.

      Kokoschke hatte sich in der Firma vom Lehrling zum Prokuristen hochgearbeitet.

      Kleine Wohnung, kein Auto (nicht verdächtig bei den Parkplatzproblemen).

      Er wollte Tanja beim nächsten Treffen fragen: Verdienstgrenze der Eltern für Bafög.

      Langsam schlug Theo das Gewissen. Nach vier Tagen sollte er endlich Frau Müller-Schlomkat anrufen. Selbst die 600 Euro hatte er mit diesem Fall nicht wirklich abgearbeitet. Und eine Erfolgsprämie würde er für diese guten Nachrichten über Rainer Kokoschke garantiert nicht von ihr erhalten. Schade.

      Tanja hatte ihn mittlerweile schon weit mehr gekostet als die 200 Euro, die er von seinem Bruder gepumpt hatte. Er sollte sie ihm endlich zurückgeben, bevor die Euros von Frau Müller-Schlomkat komplett im Winde verweht waren! Andererseits war die Miete nächste Woche fällig und der Dispokredit auf seinem Konto nach wie vor voll am Limit. Insgesamt 8oo Euro hatte er an einem Tag kassiert und trotzdem stand er finanziell keinen Deut besser da als zuvor. Irgendwie war das schwer verständlich und nicht durchschaubar für ihn. Der einzige Unterschied bestand darin, dass er sich in den letzten Tagen weder von Tütensuppen noch von altem, vertrocknetem Brot ernährt hatte. Ja, er hatte gut gespeist und stets in angenehmer Gesellschaft. Zu der auch sein Bruder zählte, aber in der Hauptsache Tanja. Sie hatte in ihm ganz ungewohnte Gefühle geweckt und er war zu dem Schluss gekommen, es handle sich um eine Art von väterlichem Stolz. Er freute sich schon auf das Abendessen mit ihr, dieses Mal einfach nur in einer kleinen Pizzeria, die sie vorgeschlagen hatte. Als würde sie spüren, das er klamm war.

      Das Telefon läutete gerade zweimal. Frau Müller-Schlomkat schien auf seinen Anruf gewartet zu haben. Zum Ergebnis seiner Ermittlung äußerte sie sich gar nicht, sondern bestand geradezu auf sein persönliches Erscheinen. Am besten heute noch und am allerbesten sofort.

      Obwohl er wenig Sinn darin sah, stimmte Theo zu. Man sollte Klienten stets ihren Willen lassen, war gut fürs Geschäft. Bis zum Treffen mit Tanja war noch reichlich Zeit.

      Gewohnheitsmäßig fuhr er schwarz mit dem Bus. Beim Aussteigen erkannte er die Kontrolleure. Dieses Mal hätten sie ihn erwischt, wenn er weitergefahren wäre. Er blieb im Eingang der Einkaufspassage stehen und beobachtete die zwei. Sie ließen jedem, der hinter ihnen kam, unauffällig den Vortritt und stiegen erst ein, nachdem alle im Bus waren.

      Ich sollte aufhören, schwarz zu fahren, dachte Theo. Wie peinlich, erwischt zu werden.

      Aus Frau Müller-Schlomkats Wohnung drang der Kaffeegeruch als sie ihm die Tür öffnete. Diesmal hielt sie sich nicht lange an Begrüßungsfloskeln auf und steuerte das Wohnzimmer an. Der Tisch war bereits gedeckt, die altmodische Warmhaltehaube thronte gleich einer guten alten Bekannten auf dem Couchtisch, begleitet von einem Frankfurter Kranz.

      „Oh, ein Frankfurter Kranz“, sagte Theo.

      Frau Müller-Schlomkat war hocherfreut ob seiner Kennerschaft und überraschte ihn mit der Antwort: „Hab ich extra für sie gebacken!“