Linda Große

Liebe, gut gekühlt


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für die Herstellung eines solch leckeren Kuchens ausgereicht.

      Er gab sich dem Ritual des Genießens, das er von seinem ersten Besuch bei ihr kannte, mit Behagen hin. Sein Frühstück war lange vorbei, er verspürte durchaus einen kräftigen Hunger.

      Nach erreichen des Sättigungsgrades war fast der halbe Frankfurter Kranz vertilgt. Das erfreute die alte Dame so sehr, dass sie ihm erneut eine der Lieblingszigarren ihres verstorbenen Mannes anbot. Der Zigarrenrauch hüllte ihn in magische Gefühle: Zufriedenheit in ihrer reinsten, höchsten Form.

      „Ich möchte, dass Sie weitermachen!“, verkündete seine Auftraggeberin mitten hinein in sein unsägliches Behagen.

      „Ähem“, erwiderte Theo, „und weshalb?“

      „Ich habe ihnen doch gesagt, irgendetwas stimmt mit dem Typ nicht! Ich will, das sie ihn rund um die Uhr beschatten!“

      Mehr sagte sie nicht. Die Frau wusste immer, was sie wollte. Theos Gehirn fing an zu rattern. Wie sollte er das bewerkstelligen, ohne Auto. Unmöglich. Er konnte doch nicht stundenlang vor der Eingangstür von Kokoschke herumlungern. Andererseits, er brauchte Geld. Und ihr vergilbter Scheck aus ihrem vergilbten Scheckbuch war von ihrer Bank problemlos eingelöst worden. Ein neuer Scheck wäre nicht schlecht. Nein, er wäre sogar sehr willkommen.

      Als er Frau Müller-Schlomkats Wohnung verließ, trug er einen Scheck über eintausend Euro in seiner Tasche.

      Der viele Kuchen im Bauch löste einen enormen Heißhunger bei Theo aus. Er konnte es kaum erwarten, dass seine Pizza serviert wurde. Tanja amüsierte sich ungehemmt darüber und hielt ihm die Ketchupflasche auffordernd vor die Nase, nachdem er den Müsliriegel aus ihrer Handtasche verweigerte.

      Um sich von seinem Hunger abzulenken, erzählte er ihr etwas über seinen Auftrag. Tanja fragte interessiert nach den Einzelheiten seiner Ermittlungsarbeiten und bot ihm ihr Auto für die Überwachung an.

      „Aber nur, wenn ich auch mal dabei sein darf!“

      „Das ist total langweilig. Man hockt bei so einer Überwachung stundenlang im Auto.“

      „Man muss alles mal erlebt haben“, meinte Tanja. „Aus diesem Grund habe ich sogar mal an einer Tupperparty teilgenommen. Würde ich nie wieder tun, war aber trotzdem ganz interessant! Also, wann geht’s denn los? Morgen Abend habe ich Dienst an der Rezeption, aber nur bis zweiundzwanzig Uhr, dann kommt der Nachtportier.“

      „Und heute?“

      „Willst du heute schon anfangen?“

      „Warum nicht?“, fragte Theo zurück.

      Plötzlich gefiel ihm der Gedanke, sich mit Tanja die Nacht in ihrem Auto um die Ohren zu schlagen. Die Gespräche mit ihr würden garantiert keine Langeweile aufkommen lassen!

      Kapitel 10

      Zuerst löste die SMS Freude bei ihr aus. Spontane Freude. Danach folgte mit brachialer Urgewalt ein Tsunami aus Frust. Samstagabend mit Cora ins Kino, toll, wenn die Nachricht da geendet wäre. Aber nein, der megafrustige Satz folgte noch: Ben muss zu Papis Geburtstag.

      Ben, Ben, Ben! Mittlerweile vermied sie es sogar, ihre Kaffeepause in der Praxis mit Cora zu verbringen. Ben, Ben, Ben. Sie hatte kein anderes Thema mehr. Leider war ihre Freundin, oder besser: Exfreundin immer anwesend, wenn Sabrina Dienst hatte. Frau Friedrich und Cora waren die einzigen mit einem Ganztagsjob, sie selber war nur Teilzeitkraft.

      „Was ist denn mit dir los, Sabrina?“, fragte Biggi, ihre Mitbewohnerin. Sie war an diesem Wochenende mal wieder da, was äußerst selten vorkam. Obwohl Biggi das größte Zimmer der WG bewohnte und auch den größten Teil der Miete zahlte, war sie ein seltener Gast. Immer auf Achse, ihr Job forderte sie voll und ganz. Im Gegensatz zu Sabrina, die mit ihrem Einkommen so gerade existieren konnte und noch nebenbei als Aushilfe in einer Studentenkneipe arbeitete.

      „Meine beste, meine a l l e r b e s t e Freundin Cora hat mal wieder Zeit für mich. Aber nur, weil der tolle Ben Papas Geburtstag feiern muss!“

      „Denk dran“, feixte Biggi, „du bist auch nur ein Opfer ihrer Amnesie!“

      „Und wieso ist Ben kein Opfer ihrer Amnesie? Den hatte sie schon eine ganze Weile vor ihrem rätselhaften Verschwinden abgeschossen. Weil sie ihn ätzend fand! Und jetzt schwärmt sie geradezu von ihm. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie mir damit auf die Nerven geht!“

      „Vielleicht hat sie deshalb keine Zeit mehr für dich“, vermutete Biggi. „Versetz dich doch mal in ihre Lage. Durch die Amnesie bist du doch praktisch eine Fremde für sie. Und mal Hand aufs Herz, würdest du eine Freundschaft zu jemand aufbauen, der dir ständig sagt, wie ätzend du den Typ findest, in den du frisch verliebt bist?“

      Sabrina legte beide Hände um ihren Kaffeepott und sagte erst mal nichts. Biggi hatte wirklich nicht ganz unrecht. In Coras Erinnerung existierte sie ja gar nicht mehr. Ebenso wie Ben. Sie waren beide ganz neu in Coras Leben aufgetaucht, bedingt durch den Gedächtnisverlust. Sie konnte sich wirklich an gar nichts mehr erinnern. Auch in der Praxis musste sie erst wieder lernen, sich zurechtzufinden. Mittlerweile war das auch kein Problem mehr, aber es war natürlich viel einfacher, sich zu merken, in welche Schublade was gehörte, als einen Menschen kennenzulernen.

      „Von der Seite habe ich das bisher nicht gesehen. Du hast natürlich recht. Aber es fällt mir schwer, das zu akzeptieren. Ich kann dir auch sagen, weshalb: Das ist nicht mehr die Cora, die ich kenne. Sie hat sich total verändert. Kann denn eine Amnesie die ganze Persönlichkeit verändern? Und zwar total verändern?“

      „Was meinst du denn damit?“, wollte Biggi jetzt wissen.

      „Na, überleg doch mal, wir sind seit über drei Jahren befreundet, gut befreundet. Ben kannte sie nur kurze Zeit und hat ihn dann wieder aus ihrem Leben geschmissen. Ich weiß auch noch genau, warum. Er war ihr einfach zu platt, zu oberflächlich. Sie hat ihn als langweiliges, verwöhntes Jüngelchen bezeichnet. Wörtlich! Und jetzt ist plötzlich Ben der Beste und ich die Langweilerin! Wie willst du das mit Amnesie erklären?“

      Biggi legte ihre Stirn in Denkerfalten, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, bis er anfing zu kippen, hielt sich mit beiden Händen an der Kante des Küchentischs fest und erwiderte erstaunt: „Das ist ja richtig spannend. Ich glaube, wir sollten nach dem Frühstück mal ins Netz gehen und uns mit Amnesie beschäftigen!“

      „Was wollt ihr im Netz?“, kam Christines Stimme von der Tür her. Sie war noch im Schlafanzug, wirkte ziemlich zerknautscht und wanderte zielstrebig zur Kaffeemaschine. „He, die ist fast leer, kann mal jemand neuen Stoff aufsetzen? Ich bin noch nicht in der Lage dazu!“

      „Mit dir haben wir wirklich nicht gerechnet, so früh am Morgen!“

      „Wie spät ist es denn?“

      „Kurz nach zwölf. High noon.“

      „Dein Mitleid reicht wie immer bloß für einen Satz. Typisch“, stellte Christine fest und gähnte herzhaft.

      Sabrina lachte und stand auf: „Ich mache dir einen Kaffee. Biggi, willst du auch noch welchen?“

      „Ja, gerne. Wir haben ewig nicht mehr zu dritt gefrühstückt. Das will ich genießen. Außerdem haben wir ein spannendes Gesprächsthema. ABC: Amnesie, Ben und Cora.“

      „Hört sich wirklich spannend an“, meinte Christine, „aber ich brauch erst einen Kaffee, bevor ich mich darauf konzentrieren kann.“

      Es war Biggi, die jetzt der dritten WG-Bewohnerin Sabrinas Problem mit Cora erklärte. Christine fand es ebenfalls spannend und beide fingen an, Sabrina richtig auszuquetschen über Cora, über Ben und alles was damit zusammenhing.

      Vor dem Kino stand die Schlange bis nach draußen auf dem Vorplatz. Cora war nirgendwo zu sehen, sicher kam sie wie üblich zu spät. Sabrina überlegte, ob sie sich schon zum Kartenkauf anstellen sollte, anderseits war sie nicht sicher ob Cora wirklich auftauchen würde.