Linda Große

Liebe, gut gekühlt


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      Dieser warme Abend, die Zikaden zersägten unermüdlich die abendliche Ruhe, nur in regelmäßigen Abständen übertönt von dem klopfenden Ruf eines Käuzchens, das nach einem Partner suchte. Er saß auf einem der Plastikstühle neben dem Swimmingpool des Campingplatzes. Mareike und Wim, die Besitzer, betrieben gleichzeitig ein kleines Restaurant. Und meistens kochte Jeanne. Der Duft des Lammragouts waberte durch die Eingangstür und umwehte die Tische. Er war an diesem Abend der einzige Gast, es war ein Montagabend. Sonntag hatte sich der Campingplatz deutlich geleert, noch waren keine Sommerferien in Frankreich.

      „Riecht lecker, nicht wahr?“, fragte Wim und setzte sich an den Nachbartisch.

      „Himmlisch! Dauert es noch lange?“

      „Na, halbe Stunde.“

      „Rutsch doch rüber, ich lade dich zu einem Pastis ein.“

      Bis Jeanne das Couscous servierte, waren die beiden Männer schon sehr entspannt vom Alkohol. Jeannes Mutter deckte den Tisch nebenan für vier Leute und dann zelebrierte Jeanne gekonnt ihr algerisches Ragout. Es war umwerfend lecker, Max aß zum ersten Mal Kichererbsen und stellte fest, er habe sich den Geschmack ganz anders vorgestellt.

      „Jeanne hat sich mit einer algerischen Familie angefreundet. Sie haben eine Tochter in ihrem Alter. Da hat sie dieses leckere Rezept her.“

      Mareike und Wim waren unübersehbar stolz auf ihre Tochter. Und Max nutzte das, um Jeanne ausgiebig zu loben.

      Nach dem Essen fragte er sie, wie eine holländische Familie zu einem Campingplatz in der Provence käme.

      „Wir sind Aussteiger!“, beantwortete Wim seine Frage kurz und knapp. Mareike lachte und erklärte: „Sehr langsame Aussteiger! Wir haben Jahre dafür gebraucht. Wir haben viele Jahre auf diesem Campingplatz Urlaub gemacht. Wir sind richtige Frankreichfans.“

      „Deshalb habe ich auch einen französischen Namen. Jeanette. Grässlich!“, beschwerte sich Jeanne.

      „Sie hat sich selbst umbenannt, als sie sich in der Schule mit Jeanne d’Arc beschäftigt haben. Von da an durften wir nicht mehr Jeanette zu ihr sagen.“

      „Jedenfalls hatten wir uns mit dem Ehepaar angefreundet, dem der Platz gehörte“, erzählte Mareike weiter.

      „Und ich hatte nicht den Wunsch, mein Leben lang Plastiktüten herzustellen“, unterbrach Wim sie. „Wir hatten eine Fabrik, ein Haus mit einem Park und Limburger Wetter. Und das ein Leben lang, nein, das wollte ich nicht.“

      „Das mit dem Wetter kann ich nachvollziehen“, meinte Max. „Ist genau dasselbe Wetter wie in Aachen. Aber eine Plastiktütenfabrik fände ich nicht schlecht. So neben der Kunst als Einkommensquelle.“

      „Leider kannten wir dich da nicht, sonst hätten wir sie dir verkauft. Auf Raten natürlich!“

      „Oh, danke. Du bist ein wahrer Freund!“

      „Noch ein Pastis?“

      „Wie ich sehe, seid ihr Männer wunschlos glücklich!“, stellte Mareike fest und fing an den Tisch abzuräumen. Jeanne blieb sitzen und als ihre Mutter mit dem Geschirr Richtung Küche verschwunden war, nutzte sie die Abwesenheit ihrer Mutter, ihren Vater anzubetteln, noch mal in die Stadt zu dürfen. Alle ihre Freunde trafen sich abends auf dem Marktplatz in St. Remy. Nur sie durfte nie hin um diese Uhrzeit. Max nutzte die Gunst der Stunde und bot sich als Begleitschutz an, da er inzwischen erfahren hatte, dass sie noch nicht ganz 17 war.

      Unter diesen Umständen stimmte auch Jeannes Mutter zu und das Mädchen verschwand um sich umzuziehen. Als sie wieder auftauchte wirkte sie in Max Augen geradezu atemberaubend. Sie trug eine hautenge Jeans und dazu eine taillierte Bluse, die aber brav zugeknöpft war. Als sie später, in einem Straßencafe saßen, waren plötzlich mehrere Knöpfe geöffnet und gewährten einen tiefen Einblick auf ihren push up BH, der ihre Brüste zu prallen Kugeln trimmte.

      Jeannes Freunde waren nirgendwo zu sehen und sie nutzte die Gelegenheit ihn heiß zu machen sehr gekonnt. Trotzdem vermied er es, sie zu berühren, obwohl sie auch auf dem Rückweg wie selbstverständlich nach seiner Hand griff. Da er die Angewohnheit hatte, beim Reden mit den Händen zu gestikulieren, nutzte er das wiederholt um sich aus der Umklammerung ihrer Finger zu lösen.

      Auf dem Campingplatz war es dunkel und still. Er lieferte Jeanne an der Eingangstür zum Wohnhaus ab, das an die Rezeption grenzte. Danach schlenderte er zu seinem Zelt, holte seine Kulturtasche und wanderte zum Waschhaus. Jetzt konnte er eine kalte Dusche gebrauchen. Eine halbe Stunde später zog er, in jeder Hinsicht abgekühlt, den Reißverschluss zu seinem Zelt auf und war sprachlos, Jeanne in seinem Schlafsack liegen zu sehen. Immerhin trug sie Shorts und ein T-Shirt. Trotzdem konnte er ihr dieses Mal nicht wiederstehen. Die Tatsache, dass sie offensichtlich keine Jungfrau mehr war, nahm ihm seine kurz aufkeimenden Gewissensbisse. Sie liebten sich wild und hungrig und Jeanne verschwand erst aus seinem Zelt als die Sonne aufging.

      Sie hatte ihn heftig ausgetrickst. Sie wollte weg vom Campingplatz, sie wollte weg von Frankreich, sie wollte weg von ihren Eltern. Und sie wusste, wie man einen Mann ködert, der gerade von seiner langjährigen Freundin verlassen worden war. Sie baute ganz gezielt sein Selbstbewusstsein auf. „Nimm mich mit nach Aachen. Ich liebe dich.“ Unentwegt lag sie ihm damit in den Ohren, wie einst Delila ihrem Samson. Doch man konnte nicht einfach so eine Siebzehnjährige mitnehmen. Auf seine Argumente reagierte sie mit schmollen, weinen und Bestrafung. Immer in dieser Reihenfolge, nur wurde ihm das damals nicht bewusst. Bestrafung hieß, sie tauchte Nächtelang nicht in seinem Zelt auf, dann erst wieder kurz vor Sonnenaufgang um ihn erneut anzubetteln, sie mit nach Aachen zu nehmen und sofort wieder zu verschwinden, weil er nur zögernd auf ihr Drängen reagierte. Auf diese Art kochte sie ihn beharrlich weich.

      Natürlich war all das ihren Eltern nicht entgangen. Wim füllte ihn eines Abends am Swimmingpool mit Pastis ab und erzählte Max einiges über seine Tochter. Seine Adoptivtochter. Sie war bei der Adoption bereits fast sieben Jahre alt gewesen, scheinbar ein hoffnungsloser Fall. Sämtliche Adoptionsversuche davor waren gescheitert. Aber Mareike hatte sich richtig verliebt in dieses quirlige, wunderschöne kleine Mädchen. Ihre Geduld wurde dann allerdings wirklich auf eine harte Probe gestellt.

      „Wir sind wegen Jeanne nicht früher ausgestiegen aus unserem Leben in den Niederlanden. Auch wenn der Anfang mit ihr schwer war, aber danach war es wunderbar mit ihr. Wirklich so, wie Mareike und ich es uns vorgestellt haben mit einer Tochter. Und wir wollten, dass Jeanne ihre Schulausbildung beendet und auch nicht von ihren Schulfreunden getrennt wird. Natürlich wusste sie von unseren Plänen und fand die Idee, einen Campingplatz in der Provence zu haben ganz toll. Sie hat uns dann förmlich dazu überredet, die Sache früher anzugehen, als die Vorbesitzer sich nach einem Käufer umsahen. Sie war fünfzehn und wollte die letzten Schuljahre bei ihrer heißgeliebten Oma wohnen. Meine Mutter besitzt eine große Wohnung in Brunssum, Nicht weit von Jeannes Gymnasium. Und in den Ferien konnte sie uns ja besuchen. Außerdem kauften wir eine kleine Eigentumswohnung in Brunssum. Von Anfang Dezember an sind wir jedes Jahr für drei Monate dort. Das war gleich so geplant.“

      Max konnte sich noch genau erinnern, wie Wim plötzlich aufhörte zu reden und sein Pastisglas auf dem Tisch hin und her schob. Er wusste nicht, weshalb der Mann ihm all das erzählte und sagte lieber nichts dazu. Das Schweigen zog sich für ihn unangenehm in die Länge und er war erleichtert, als Jeannes Vater die Erzählung erneut aufnahm.

      „Wir waren keine zwei Wochen weg, da rief meine Mutter an, total in Panik. Jeanne war verschwunden. Nur ein kleiner Zettel lag auf dem Tisch in ihrem Zimmer: Omilein, ich habe dich sehr lieb. Mach dir keine Sorgen um mich. Na, und wie wir uns Sorgen gemacht haben. Es hat fast drei Monate gedauert bis sie hier aufgetaucht ist. Mareike war glücklich, ihre Ängste mit einem Schlag wieder los zu sein. Jeanne hat uns nie erzählt, wo sie gewesen ist, was sie gemacht hat … Tja, und jetzt will sie wieder weg: Sie hat gesagt, du willst sie heiraten.“

      Max war wie vom Donner gerührt, das war also der Grund für die lange Ansprache. Es lag wohl an dem vielen Pastis, dass er die unausgesprochene Frage mit ja beantwortete. Damit war Wim seine Sorgen los, aber für ihn selbst begannen sie.

      Keuchend