Enno Woelbing

Sehnsucht nach südlicher Sonne und schönen Mädchen - Teil 1


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      „Es ist aus!“

      „Aus!“ Cindy fragte ganz ruhig. „Aus?“

      „Ja, es ist aus. Ich wähle jetzt den Weg des Konfuzius, den Timo uns empfohlen hat. Ich gehe den leichtesten, auch wenn es nicht so aussieht.“

      Chris war pleite, zahlungsunfähig, alle seine Geschäfte gingen in den Konkurs. Im Bekanntenkreis hatte vorher lediglich das Wort „Unregelmäßigkeiten“ die Runde gemacht, doch es war Cindy verborgen geblieben. Von der Familie hörte man nichts, kein Bedauern, kein Hilfsangebot, für Cindy unverständlich und unvorstellbar, dafür war sie noch viel zu sehr Asiatin und würde es immer bleiben. Sie empfand tiefes Mitleid mit ihm, sie würde ihn nie fallenlassen oder verlassen.

      „Das stehen wir zusammen durch. Ich helfe dir.“

      Er lehnte ihre Hilfe ab.

      „Da hältst du dich heraus. Das ist meine Sache und die erledige ich selbst!“

      Er erledigte seine Sache selbst mit einer Mischung aus Frechheit und Charme einerseits oder beide einzeln nacheinander – so herum oder so herum – andererseits und wenn es nötig war, mit regungsloser Kaltschnäuzigkeit und ohne Rücksicht auf irgendwas und irgendwen. Er nutzte alle gesetzlichen Möglichkeiten, und ohne jegliche erkennbare Regung leistete er einen Offenbarungseid, korrekt und präzise. Nur diejenigen, die ihn sehr gut kannten, hätten seine Geringschätzung allen anderen Beteiligten gegenüber erkennen können, aber die waren nicht dabei. Ihm wurde eine ordentliche Abwicklung des Konkursverfahrens bescheinigt, sogar von einer Richterin, und Cindys Unruhe war wie weggeweht. Sie würde für ihren Mann sorgen.

      Der ging freundlich lächelnd und grüßend mit Nina in der Stadt und am Hafen spazieren, hörte Musik zu Hause, beschäftigte sich viel mit seinem Computer, fuhr mit einem großen Auto, das nicht mit in den Konkurs kommen konnte, umher und hatte einen Plan. Er bat darum, die Reise nach den Philippinen um ein Jahr zu verschieben und sprach von einer sich abzeichnenden zukunftsweisenden Entwicklung aus einer gesicherten Position heraus.

      „Was sagst du dazu, Herzi?“

      Das hatte sie schon lange nicht mehr gehört, das mit der Entwicklung und Position kam ihr bekannt vor.

      „Du meinst, dass wir das schaffen?“

      Zustimmung und Skepsis hielten sich die Waage.

      „Ich hoffe es. Lass’ mir Zeit.“

      Er schaffte es tatsächlich, noch im Verlauf des nächsten Jahres, aber anders, als er es sich erhofft und errechnet hatte.

      Sein Großvater starb. Er war zeit seines Lebens ein erfolgreicher Geschäftsmann und Viehhändler gewesen. Wenige Wochen vor seinem Tod hatte er Cindy im Krankenhaus aufgesucht – ein weißhaariger alter Herr mit gepflegtem, schneeweißem Bart und von ungewöhnlich aufrechter Haltung für sein hohes Alter – ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, wie aus einem Modejournal entnommen. Er stellte sich ihr mitten im Flur ihrer Kinderstation formvollendet vor, begrüßte sie mit einem Handkuss, legitimierte sich freundlich und bat höflich aber stimmt um ein sofortiges Gespräch. Solange sie lebte, würde sie dieses Gespräch und diesen Herrn in lebender Erinnerung behalten. Er hatte sie zu einer reichen, zumindest zu einer sehr wohlhabenden Frau gemacht nach seinem Tod.

      Cindy bezahlte Chris’ Schulden beim Finanzamt und bei seiner Bank. In ihrer Heimat würde sie sich ein großes Haus bauen und Land kaufen – ihre Familie würde niemals hungern. Chris auch nicht, das hatte sie seinem Großvater versprochen. Sie würde sich immer um ihn kümmern.

      Es nützte Chris nichts, dass er alle denkbaren Mittel anwandte, auch die Drohung des Verlassens: Seine vielen und großen privaten Schulden bezahlte sie nicht. Sie war zu sehr Asiatin und ließ sich diese unverhoffte, einmalige Chance für ihre Familie nicht entgehen. Er musste weiterhin, wenn er spazieren ging, Nina zu seinem persönlichen Schutz mitnehmen. Das würde nicht ewig so sein, alles braucht Zeit. Mit ihrem Mann würde es einen völlig neuen Anfang geben. Sie sah eine neue Chance dazu geboren, und sie würde darauf achten, dass es keine Fehlgeburt sein würde.

      „Mein Junge“, sagte sie, „du wirst an allem teilhaben, was ich besitze. Unser Leben kann sehr schön werden.“

      Das dachte der Junge auch und hatte einen neuen Plan, schließlich waren noch andere Erbschaften von Seiten seiner Familie zu erwarten.

      Aber es wurde nicht schön, nicht für sie. Sie hatten jetzt mehr Zeit füreinander, doch sie lebten aneinander vorbei. Manchmal stritten sie sich. Am Ende des Jahres begann Cindy in eine gedrückte, niedergeschlagene Stimmung zu fallen, und sie musste aufpassen, dass keine Depression daraus wurde. Ihre beginnende Menopause war nicht die Ursache. Das bestätigten ihr auch einige ihrer Kollegen. Doch die Anzeichen für eine beginnende Depression verstärkten sich: Müdigkeit in Zeiten, in denen sie ihr bisher fremd gewesen war, sie weinte oft und hatte eine unerklärliche Angst, und immer öfter empfand sie ihr eigenes Leben als Last. Als sie langsam begann, daran zu denken, sich von dieser Last zu befreien, nahm sie die Hilfe eines erfahrenen, befreundeten Kollegen in Anspruch.

      Nein, es lag nicht an der Jahreszeit, grau in grau bei Nieselregen und an fehlender Sonne. Heimweh? Nicht so sehr. Sorgen? Auch nicht so sehr. Sie sollte es mit den nötigen Vitaminen versuchen und „finde dich damit ab, du hast niemanden, dem du deine Brust geben kannst zum Stillen. Du hast kein Kind geboren.“

      Chris war nicht sehr in Sorge. Er beobachtete das Geschehen um sich herum sehr aufmerksam. Cindys Zustand entging ihm nicht, doch er sprach nicht davon, und sie war um Glauben, dass er ihn nicht bemerken würde.

      „Herzi, lasse uns eine Party geben.“

      „Eine Party?“

      „Ja, wir geben eine Party!“

      Fast alle geladenen Gäste kamen, einige Freunde, nähere Bekannte und sogar Leute, die bisher nicht als Gäste bei ihnen in Erscheinung getreten waren. Cindy freute sich nicht, sie war unruhig und angespannt, eine nach innen gekehrte, schlechte Gastgeberin. Sie vermied weitgehend Gespräche und Berührungen und war häufig in der Küche – wegen der Speisen, wie sie sagte. Ganz das Gegenteil ihr Chris: Er war es, der diese Feier beherrschte, auf die Leute zuging und sie mit seiner Heiterkeit erfreute. Ihm entging nichts, spontan, gut orientiert und jeder Situation gewachsen, setzte er dabei zusätzlich seinen Körper ein. Sein Flair und seine Bewegungen als Ausdruck eines Könners in der Beherrschung der Körpersprache und ihrer Anwendung machten ihn schier unwiderstehlich, und er wusste es. Gut, er trank ein bisschen mehr als sonst, aber Cindy beneidete ihn, und er ließ sich beneiden. Nicht nur von ihr. Timo war es, der ihr sagte:

      „Da, guck’ ihn dir an – dein großes Kind.“

      Ob das große Kind ihrer ständigen Fürsorge müde wurde oder ob ihm der Tag mit Nina einfach zu langweilig wurde – nach einem ruhigen Weihnachtsfest und einem ebenso ruhigen Jahreswechsel, begann Chris sich nach einer geeigneten Arbeitsstelle umzusehen. Wegen seines vergangenen geschäftlichen Misserfolges war das nicht unproblematisch bezüglich eines angemessenen Gehalts und dessen Auszahlung an ihn. Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, und nach mehreren Experimenten befand er sich in einer, für seine Situation in Bezug auf seine privaten Gläubiger, guten und gut bezahlten Position außerhalb seiner Heimatstadt im Außendienst seines erlernten Berufes, und das Sozialamt kam ohnehin nicht für ihn in Frage. Sein großes Auto – Cindys Auto – war das größte der Angestellten bei der Firma, die ihn beschäftigte. Das Auto durfte Cindy nicht fahren. Er traute ihren Fahrkünsten nicht, obwohl sie mit ihrem Wohnmobil vorher schon durch das halbe Europa gefahren war. Chris arbeitete gut und zuverlässig und schien dem Erwachsenwerden ein schönes Stück näher zu kommen. Seine Frau nahm es erleichtert wahr. Sie würde ihn nicht mehr als ihren kleinen Jungen ansehen, das nahm sie sich vor, und ihre beginnende Depression verschwand.

      Viel Zeit hatten sie nicht mehr füreinander, sie stritten sich fast nie, ihre gemeinsamen Gespräche waren freundlich. Aber beide waren unzufrieden und sagten es nur sich selbst. Ihre Einladungen blieben oft, zu oft, ohne Echo. Beide vermissten Freunde. Auch das sagten sie nur sich selbst. Ein Leben, welches nur ihr gefallen konnte. Sie war ehrlich zu sich: Solange ihr Mann zu keiner