Enno Woelbing

Sehnsucht nach südlicher Sonne und schönen Mädchen - Teil 1


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nicht wiederherstellbarem Vertrauen.

      Aber das wiederum schien Chris zu Timo zu haben. Sanft und mit warmer vertrauter Freundlichkeit umarmte er ihn. So hatte sich Timo als Kind, auch später noch, immer einen Bruder gewünscht, genauso mit dem gleichen anziehenden Blick.

      „Ich brauche dich.“

      „Du brauchst mich.“

      „Ich suche sie.“

      „Du suchst sie.“

      Timo dachte zuerst an den Theatertechniker und dann an den Theaterpädagogen. Wie hieß er doch noch? Er kam nicht darauf.

      „Die Vielseitigkeit deiner Aussagen überrascht mich. Ich habe unsere Gespräche anders in Erinnerung. Hilfst du mir?“

      Chris blickte ernst und fremd über seine goldene Brille herab – fremd und eiskalt. Aufpassen, Timo, aufpassen! Es roch nach einer Vorstellung auf einer … Timo konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen und aufzupassen gab es einfach nichts.

      „Ich brauche Venus.“

      Und noch einmal.

      „Ich brauche Venus und finde sie nicht. Ich komme zu kurz. Das Geben und Nehmen funktioniert nicht, und ich ekele mich vor mir selber, wenn ich daran denke, bis zu meinem fünfundsechzigsten Lebensjahr arbeiten zu wollen oder zu müssen.“

      „Hm!“

      Es ging schon weiter.

      „Ich habe mein Verhalten auf den Prüfstand gestellt, mehrmals. Unter Erfahrungen sammeln lässt sich das nicht mehr einordnen, ich …“

      Timo dachte an Cindy, er dachte an sich, sie waren alle auf einem Prüfstand. Auf welchem eigentlich, fragte er sich.

      „Chris, langsam, ich komme nicht so schnell mit. Was ist das? Was heißt das? Das, was sich nicht …, wie sagtest du?“

      „Mehr einordnen lässt.“

      Chris erwartete, dass Timo ihm helfen würde. Sie gingen zusammen auf der hölzernen Uferpromenade des Stadthafens, Nina lief vor ihnen her. Es war kalt, und bald würde es noch kälter werden – die Zeit der Angst und Schwermut rückte näher. Daran änderte auch der Anblick eines herrlichen klaren Sternenhimmels nichts. Beide kannten sie dieses scheußliche Gefühl – weg wollen und es nicht können. Chris versuchte es noch einmal und fragte wegen Hilfe. Es blieb nicht bei diesem Versuch. Dreimal verlangte er Hilfe. Wenn nur nicht seine eiskalten Augen gewesen wären und die stolze Haltung des Körpers in seiner ganzen Länge. Er konnte ihm nicht helfen, und das sagte er ihm auch.

      „Ich weiß nicht, was du willst. Weißt du es denn? In dem, was du willst, zeigt es sich, wie du bist.“

      Ganz wohl fühlte Timo sich nicht bei dieser Antwort, und er war froh, dass ihnen ein paar Spaziergänger entgegenkamen, die seinen Begleiter kannten und mit denen er ein paar freundliche Worte wechselte. Nina und der Hund der Bekannten beschnüffelten sich solange gegenseitig. Dann gingen sie alle weiter in verschiedene Richtungen. Chris wies mit einem ausgestreckten Arm zu den Sternen. Sein Arm beschrieb in der Luft eine große Runde.

      „Es zeigt sich, wie ich bin? Einer von diesen vielen Sternen ist sie – Venus – und die will ich. Einen strahlenden Stern.“

      Timo versuchte ihm klarzumachen, dass es dabei weit und breit nichts zu helfen gab, nein, auch zu kämpfen gab es nichts. Weit und breit war ebenso kein Feind in Sicht. Ein Gegner? Doch wohl nicht Cindy, diese gute Frau. Irgendwann wollte Chris angreifen.

      „Ja, ich greife an, irgendwann.“

      „Und dann? Du musst aber gewinnen oder siegen. Ich weiß nicht, gegen wen du kämpfen willst, aber diese Person, wenn es denn eine ist, braucht den Kampf nur zu überstehen, und der Verlierer bist du.“

      Das wusste Chris auch. Sie traten den Heimweg an und gingen den gleichen Weg zurück. Ihre Frauen waren zusammen in Cindys schönem großem Haus und erwarteten mit völlig unterschiedlichen Gefühlen für sie, die Heimkehr ihrer Ehemänner. Chris hatte keine Hilfe bekommen, und er schien auch nicht mehr daran interessiert zu sein. Er fragte nach Timos erster Reise in die Heimat seiner Frau. Und Timo erzählte ihm von der großen Zuckerrohrinsel, die je zur Hälfte eine abendland-christliche und eine morgenland-islamische Kultur besaß. Die letztere Hälfte war für ihn auf Anordnung von Lindas Familie wegen Sicherheitsbedenken für seine Person nicht zugänglich gewesen. Und dass sein Schwiegervater bei seiner Ankunft damit gedroht hatte, Eintritt zu nehmen, wenn noch mehr Leute zur Begrüßung seiner Tochter mit ihrem weißhäutigen und langnasigen Ehemann kommen würden. Es schien, als drängte sich das halbe Dorf, am meisten Kinder, um seine Hütte – ein Haus aus Bambus, Brettern und Palmenblättern.

      „Waren sie hübsch? Ich meine die Kinder?“

      „Chris, ich habe nirgends so viele schöne Menschen auf einem Haufen gesehen.“

      „Ist es wirklich ein Eldorado von Schönheit, Jugend und Abenteuer?“

      „Ja, aber auch für Tränen, viele Tränen.“

      Mit Linde konnte Timo nicht über die Mellins sprechen. Sie würde mit ihrem lockeren Mundwerk in der ganzen Stadt und darüber hinaus für Unruhe sorgen und es mit der Wahrheit auch nicht so genau nehmen. Er schrieb einen Ausspruch, der einem großartigen, chinesischen Philosophen zugerechnet wurde, auf ein Blatt Papier. Es würde niemanden kompromittieren. Tat es auch nicht, als er es zu Chris und Cindy brachte.

      „Seht mal, was ich zufällig gefunden habe, eine interessante Möglichkeit für jeden Menschen. Ich probiere sie aus.“

      Die so gepriesene und zufällig gefundene Möglichkeit hob sich handschriftlich und schwarz deutlich vom weißen Papier ab:

      „Der Mensch hat dieserlei Wege klug zu handeln:

      Erstens durch Nachdenken, das ist der edelste, zweitens durch Nahahmen, das ist der leichteste, drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.“

      Unten drunter stand – Konfuzius.

      Timo erfuhr erst Jahre später, dass und wie sich sein neuer Freund damit beschäftigt hatte. Das zweite Jahr nach dessen erster Asienreise hatte begonnen, es war kein Angriff erfolgt, nicht einmal eine Vorbereitung war zu erkennen gewesen. Es blieb das ganze Jahr ruhig in jeder Beziehung bei Mellins. Freundlich und ruhig, zu ruhig für Cindy. Sie unternahm zahlreiche Verführungsversuche nach allen Regeln der Kunst, sogar der viel gepriesenen asiatischen, und manchmal hatte sie Erfolg. Mit dem Einsatz ihres immer noch schönen Körpers, dem klugen Erkennen und Ausnutzen der günstigen Gelegenheit und der Zuhilfenahme ihres Wissens als Ärztin war sie – sie verdrehte ihre Augen und stöhnte leise – hin und wieder erfolgreich. Sie war überhaupt erfolgreich, ihr ganzes Leben lang – doch, auch mit ihren Männern – sonst sowieso, aber oftmals blieb die Freude auf der Strecke. Auch mit ihren Männern.

      Cindy war ehrlich zu sich selber. Viel fehlte nicht mehr, und sie würde das erfüllte Leben einer Nonne führen. Sie konnte sich diesen Vergleich leisten, denn sie war täglich in der Klinik mit Nonnen zusammen. Diese gaben ihre Liebe, oder was immer sie darunter verstanden, weiter an andere. In ihrer Abteilung waren das die Kinder, die diese Liebe bekamen, und sie schien eine besondere Art von Glück entstehen zu lassen. Für Cindy war es schlimm, sie konnte ihre Liebe nicht loswerden. Sie konnte so viel geben, doch es wurde so wenig genommen.

      „Lasse mir etwas Zeit. Ich weiß. Es wird sich ändern.“

      Aber es änderte sich nichts.

      Chris war weiterhin viel geschäftlich unterwegs, und Tittenmolly sagte zu ihr:

      „Du, Ehefrau und Ärztin, dein Mann ist gewaltig im Stress. Und den Stress kenne ich.“

      Sie war sogar wieder einmal nüchtern, wie es schien, auch ihre Haare standen ihr nicht ganz so quer vom Kopf wie sonst meistens.

      „Du bist immer gut und hilfsbereit zu mir, Ärztin. Ich weiß, dass ich nicht mehr für voll genommen werde. Aber ich weiß auch, dass Glück eine Grundlage braucht und dass du nicht glücklich bist.“

      Jetzt