Enno Woelbing

Sehnsucht nach südlicher Sonne und schönen Mädchen - Teil 1


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Er erzählte von der schrecklichen Eifersucht seiner Frau, ihren depressiven und aggressiven Stimmungszuständen, deren Wechsel sich in rasender Geschwindigkeit vollzogen und das gemeinsame Zusammenleben oft unerträglich machten. „Am schlimmsten ist diese verdammte, völlig unbegründete Eifersucht auf alles: auf meine Verwandten in Ostdeutschland, auf meine Freunde, meine Arbeit, meine Hobbys Angeln und Schreiben, sogar auf den alten Staubsauer aus meiner anderen Ehe, meine Kinder aus dieser, auf alles, was vor ihr gewesen ist, was jetzt ist und sogar was noch sein wird und sogar, wenn ich meiner kleinen Tochter etwas vorsinge. Verflucht noch mal, außerdem fange ich an zu vergreisen, und ich bin doch erst sechzig Jahre alt. Sie hat zu nichts Lust. Dabei bleibt die Freude auf der Strecke. Meine einzige Freude ist Lis.“ Timo schnappte nach Luft. Dann lächelte er bei dem Gedanken an seine kleine Tochter. Chris stand immer noch.

      „Das ist alles nicht neu. Sie will weg von dir.“ Timo sah ihn ungläubig an, doch der Freund sprach schon weiter.

      „Sie ist ja oft genug hier. Spreche mit ihr.“

      „Ich werde sie fragen.“

      Als Timo nach Hause kam, seine kleine Lis ihm fröhlich entgegenkam und Linda ihn freundlich, fast zärtlich begrüßte, fragte er nichts mehr. Und weil er meinte, dass die Gelegenheit günstig war, fasste er sie später im Schlafzimmer von hinten kräftig zwischen die Beine, ganz weit oben, so dass sie erschreckt einen Satz nach vorne machte wie von einer Biene oder Wespe gestochen, von philippinischen, die kannte sie nämlich. Schließlich gab sie seinem fortgesetzten Werben – er konnte es auch noch anders – nach. Hinterher kam Timo sich vor, als wenn er sich vor sich selbst verstecken würde. Er suchte nach einem Fehler, irgendeinen hatte er gemacht, und er wehrte sich gegen seine eigenen Gedanken. Vergebens, einer kam durch. Und das gleiche Gefühl, als sei es erst jetzt geschehen, als er vor einer Reihe von Jahren zu seiner anderen Ehefrau gesagt hatte: „Wir können machen was wir wollen, wir schaffen es nicht, das Ende unserer Ehe kommt so oder so“, tauchte in ihm auf.

      „So oder so“, hatte er gesagt.

      Und versucht sie zu töten, zu erwürgen im Vollrausch. Es wäre fast gelungen, sie kam schwerverletzt davon. Nur einige wenige wussten es. Seit diesem Tag hatte Timo keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken, bis heute nicht, und das sollte so bleiben. Er besuchte seit Jahren Selbsthilfegruppen und gab seine Erfahrungen an andere weiter. Seine Ehe bestand nach der schrecklichen Tat noch vier Jahre, voller Qual und Quälerei, so oder so – und endete dann für Timo katastrophal. Eine Wiederholung war für Timo undenkbar.

      Er betrachtete Lindas Gesicht neben sich im Bett. Sie schlief schon. Ihr Atem ging ganz ruhig, und sie sah ganz ruhig aus. Timo schüttelte sich, so als ob ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief; wenigstens wenn sie schlief, war sie ruhig. Sie würde nie so schön sein wie ihre Tochter, die alle Tribute der Schönheit bekommen zu haben schien. Sie war Eurasierin im nahezu klassischen Dasein. Ihre Mutter galt in ihrer Heimat als hässlich, sie entsprach in keiner Weise dem dortigen Schönheitsideal. Timo hatte es bei ihrem ersten gemeinsamen Besuch bei ihrer Familie im Süden des großen Inselstaates erlebt und erstaunt zur Kenntnis genommen. Zuletzt hatte er ungehalten auf die sich ständig wiederholende Frage, warum er eine so hässliche Frau geheiratet hätte, reagiert. Sogar der Standesbeamte, der ihre Heirat nach philippinischem Recht vollzog, hatte es gefragt und sein bebrilltes Haupt vornehm und, wie es schien, etwas vorwurfsvoll hin und her bewegt. Aber gelacht hatten sie trotzdem ständig seinetwegen – auch deswegen – wegen nicht vorhandener Schönheit. Für ihn war sie eine gut aussehende Frau. Seine Freunde und Verwandten meinten das auch. Chris nicht. Er meinte sogar, sie sei hinterlistig und falsch.

      Sie waren beide beliebt, sehr sogar. Linda wegen ihrer Hilfsbereitschaft, und das vor allem bei Timos schon erwachsenen Kindern und bei seinen Verwandten im anderen Teil des getrennten Deutschlands. Timo mochten sie – am meisten die asiatischen Frauen, weil er ihnen oft frische Fische schenkte, er war ein prädestinierter Angler – und weil er schon fast ein leidenschaftlicher Genießer ihrer Kochkünste war. Bei allen Einladungen aß er zu ihrer Freude am meisten und ab irgendwann hieß es: „Schnell, Timo kommt, seht zu, dass ihr noch genug abkriegt.“ Aber das war nicht böse gemeint. Etwas belächelt wurde er schon, nicht nur von den Asiatinnen, allgemein galt er als ein etwas verschrobener Zeitgenosse, der nicht rauchte und trank und an irgendeinem Buch schrieb. Außerdem war er über zwanzig Jahre älter als seine Frau. Schreiben, das konnte man sagen, war seine Passion.

      „Warum schreibst du nicht von mir?“ fragte Chris ihn.

      „Von dir?“

      „Ja, von mir.“

      „Da gibt es doch nicht viel zu schreiben.“

      Der lange Lulatsch lächelte über seine randlose Brille hinweg, seine Augen bekamen ihren besonderen Glanz.

      „Warte nur ab. Ich habe noch Pläne.“

      Die hatte seine Frau auch. Für sie war das nächste Jahr wichtig.

      „Ich kann mir diese Einstellung leisten“, dachte sie und dachte dabei auch an die Menschen in ihrem Land. Sie gehörte nicht dazu und die meisten ihrer Familie auch nicht – zu den Armen. Für diese war nur ein Tag wichtig – heute – satt sein.

      Sie fröstelte bei diesem Gedanken, sie war reich, wohlhabend, und sie hatte kein schlechtes Gewissen dabei.

      Brauchte sie auch nicht.

      Sie arbeitete oft Tag und Nacht. Ihr Einkommen sicherte einen Teil ihrer Familie in ihrer Heimat die Existenz und die Ausbildung der Kinder. Für das nächste Jahr plante sie bereits eine Reise mit Chris, auch im Winter, in östliche Richtung dieses Mal, nach Asien und ebenfalls, um einen möglichen Kulturschock für ihn zu verhindern. Danach meinte sie, wäre er fähig dazu, mit ihr in ihre Heimat zu reisen, das alte Haus mit der alten Bäckerei am Rande von Reisfeldern und dem schlechten Weg dorthin, zu besuchen.

      In ihrem Haus hier trafen sich immer öfter Freunde und Bekannte aus den besseren Kreisen der Stadt, für Cindy gewohnt, Chris hatte diesen Umgang seit dem Beginn seiner wilden, bewegten Jugend nicht mehr gepflegt. Er hatte ihn auch nicht vermisst, begann sich aber zunehmend darin zu sonnen und sich sicher darin zu bewegen. Schließlich gehörte seine gesamte Familie und deren Verwandtschaft zu eben diesen Kreisen. Geschäftsleute, Ärzte und Anwälte „und so weiter“, pflegte er zu sagen.

      „Stelle dein Leben nicht in den Dienst eines anderen.“

      Einer der abendlichen Gäste sagte es. Chris hörte es, aber weil es nicht zu ihm gesagt wurde, interessierten ihn die Worte nicht.

      „Jeder sein eigenes, sonst funktioniert es nicht.“

      Auch diese Worte interessierten ihn nicht. Es war ein französischer Arzt, ein Berufskollege, der es zu Cindy sagte und mit dem sie ein längeres Gespräch geführt hatte. Ihrer beiden Augen begleiteten Chris, dem Mittelpunkt des Abends – ungewollt – sein natürlicher Charme und sein selbstverständliches Selbstbewusstsein machten ihn dazu. Der größte war er sowieso, aber er war der einzige ohne Abendanzug. Dann platzte zur vorgerückten Stunde, angetrunken und die Haare quer vom Kopf, Tittenmolly in die vornehme Gesellschaft. Sie weinte und verlangte nach Beistand: „nach seelischem Beistand“, schluchzte sie. Sie rannte weinend wieder auf die Straße, nachdem sie die vielen Abendgarderoben gesehen hatte, aber Chris fing die laufende Molly wieder ein, legte seinen langen Arm um sie, brachte sie zurück ins Haus und hörte ihr zu. Sie stank wie eine verstopfte Bierleitung, ihre Kleidung war unordentlich und dreckig. Sie brauchte seelischen Beistand.

      Ein Neger war gestorben. Er hatte einfach tot in seiner kleinen Wohnung gelegen. Er war der Vater ihrer Tochter, nein, nicht unehelich, sie – Molly – war mit einem deutschen Mann verheiratet gewesen. Der hatte das hübsche Mädchen nach der Scheidung behalten und erzogen, eine junge Dame inzwischen, nach der sich die Männer umdrehten. Molly hatte seinerzeit vergeblich eine vollzogene Vergewaltigung geltend machen wollen. Ihr Mann wollte sie nicht mehr, wohl aber das Kind. Jetzt weinte Molly um dessen Vater. Es war wohl doch keine Vergewaltigung gewesen – seinerzeit.

      „War es auch nicht, war es auch nicht, aber das braucht niemand zu wissen.“

      Sie weinte, und er ließ sie weinen, etwas mehr