Owawe Manitu

Aus den Tagebüchern eines Inka Priesterschülers und Xervantes Indianers


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Medien und Geistheiler „zertrümmern“ konnte. Albert Einsteins Gedanken halfen mir somit, den richtigen Einstieg zu finden. Ich bat die über fünfzig Teilnehmer des HealingJam Events, die Augen geschlossen zu halten und den gesamten Tag lang alles mit anderen Augen zu sehen und beispielsweise die Sitznachbarn nicht nach dem Äußeren, sondern nach dem Inneren zu bewerten und zuzulassen, dass alte Muster durch neue ersetzt werden dürfen. Ich ermutigte die Anwesenden, entspannt zu sein. Ich bat darum, auf nichts zu warten, nicht auf das eine oder andere vorbestimmte Empfinden zu lauern und nichts zu erzwingen, sondern alles – was es auch sein mochte – einfach auf sich zukommen zu lassen. Das bedeutete, dass sich die Menschen für etwas öffnen könnten, was auf sie zukam, und nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen sahen und dachten. Es hieß für die meisten auch, einfach einmal alle Dogmen einen Tag lang beiseitelegen zu dürfen. Das Publikum meiner Veranstaltung war erstaunlich ruhig. Es ging ein Knistern durch die Reihen. Ein Knistern der Erwartung, der freudigen Spannung. Ja fast hatte ich das Gefühl, die Gäste wären bei mir zu Hause angekommen, denn sie lächelten so entspannt, dass ich ihre Herzen vor Freude leuchten sah. Mir kam der Satz in den Kopf: „Mit Ruhe und Geduld im Herzen denke über eine Sache dreimal nach. So wirst Du der Erkenntnis näher kommen und klar sehen“. Und so kam es, dass ich wortlos auf der Bühne stand, überlegte, dann wieder überlegte und weiter überlegte. Ich entschied mich spontan, von dem gewöhnlichen Vorgeplänkel einer Veranstaltungsrede abzuweichen und zerriss vor den Augen der Teilnehmer mein über die Tage mühsam erarbeitetes Skript.

      Ich zerriss eine Rede, bei der der Redner seine Gäste beschwören wollte, Vertrauen in das Gesagte zu haben. Stattdessen ermunterte ich nun das Publikum, einen Blick auf den nackten Zweifel zu werfen. Zweifel an dem, was auf dieser Veranstaltung zu hören, zu sehen, zu fühlen oder zu denken sein würde, aber auch Zweifel an den Dogmen, die sie schon als Kind in die Wiege gelegt bekommen hätten. Ich berief mich auf die kindlich naive Intuition im Menschen, eine Naivität oder Unbescholtenheit, die völlig unvorbelastet von Definitionen sei. Ich bezog mich auf das subtile innere Losgelöst sein in dem Gefühl, das man hat, wenn Dinge einem suspekt sind. Ich sprach von dem Zweifel an den gängigen Lehrmeinungen und Definitionen, bezogen auf die „heilige“ Wissenschaft, die oft als beispielhafter Sündenbock herhält für verkrustete Strukturen, die zu erneuern sind. Besonderer Zweifel war auch nötig an den Definitionen aus den eigenen Reihen, also derer, die heute hier zusammengekommen waren. Zweifel an dem, was wir gegenwärtig unter Heilen – Krankheit – Genesung und Selbstheilung verstanden, wie wir es in diesem Augenblick der Geschichte gerade einmal interpretierten.

      Auch durfte nicht fehlen, dass ich darum bat, eine völlig neue Betrachtung zuzulassen, ja quasi das Rad neu zu erfinden, indem wir den herkömmlichen Sinn dessen, was gerade in unserer Betrachtung des Heilens lag, hinterfragen würden und uns von diesem Standpunkt aus an eine neue Wahrheit annähern würden. Für mich war klar, dass „neue Wahrheiten eine temporäre Distanzierung vom Vorhandenen, vom Alten, vom Gestern benötigen, um von dort neu zu entstehen“. Also bat ich die Teilnehmer an diesem Tag darum, beispielsweise einmal mutig zu sagen, dass man das Kranksein auch genießen können sollte. Durch diese gänzlich unerwartete Betrachtung von Krankheit veränderte sich in den Köpfen der Zuhörer die felsenfeste Definition von „Krankheit ist etwas Schlechtes“ und die kaum geprüfte Meinung „Krankheit muss bekämpft werden“ geriet ins Wanken. Was wäre denn, wenn es nur ein kommerzielles Interesse wäre, Krankheiten und Symptome sofort zu behandeln und im Keim zu ersticken? Ich bemühte mich um eine Offenheit in der Denkweise, indem ich darauf verwies, dass das, was heute durch wissenschaftliche Erkenntnisse verifiziert würde, schon morgen überholt sein könne und Platz machte für Neues.

      Wie durch einen Zufall – wer glaubt denn noch wirklich an den Zufall? – hörte ich nur wenige Minuten vor Beginn der Veranstaltung an diesem Tag, ein Test eines Physikers habe bewiesen, dass Neutrinos die Strecke zwischen Genf und den süditalienischen Bergen in schneller als 299.792,458 Meter pro Sekunde – der Geschwindigkeit eines Lichtquants – zurückgelegt hätten. Genau das, was ich treffsicher theoretisch ausdrücken wollte, geschah da draußen ganz praktisch, denn bis zu diesem Moment war nichts schneller als das Licht. Die Physiker, die diese Entdeckung der Öffentlichkeit vorstellten, waren sofort wegen offenbarer Fehlmessungen aus den eigenen Reihen der Kollegen kritisiert worden, es wurden systematische Messungsfehler vermutet, denn die Länge der Strecke zwischen der Teilchenkanone am CERN und dem Detektor unter dem Gran Sasso müsse auf wenige Millimeter genau bekannt sein, um einen Messungsfehler auszuschließen. Viele Physiker machten fehlerhafte GPS-Daten für diese Ungenauigkeit im Millimeterbereich verantwortlich. Was blieb war der Zweifel.

      Perfekter hätte dieses „zufällige“ Ereignis mich nicht treffen können, denn es war genau das, was ich zu zeigen versuchte. Wir wissen spätestens aus der Antike, dass wir einem gefährlichen Irrglauben folgen, wenn wir meinen, etwas zu wissen. Also konnte ich durch diese Pressemeldung des Cern ein erstes Dogma hinterfragen: „Wie lange hat das unumstößliche Wissen der Menschen seine Gültigkeit“? Ich nahm mir den antiken Philosophen Sokrates zur Hilfe und sagte laut: „Ja, ich weiß, dass ich NICHT weiß!“. Ich dachte nach der Apologie Sokrates, dass ich hinterfragen sollte, was ich derzeit zu wissen meine. Das Beispiel der Opera-Physiker war der passende Beweis, dass ein sicheres und unendlich unumstößliches Wissen im Menschen grundsätzlich nicht zu finden ist und ich schon deshalb von meinen Ansichten nur vorläufig überzeugt sein dürfe. Also wenn ich also meinen würde und glaubte zu wissen, dann ließe dies den Zweifel an den Definitionen zu jeder Zeit zu. Dies war für mich das Tor, um eine andere Erkenntnisebene zu erreichen. Wie sonst wüsste der Mensch wohl, dass die Erde nicht eine Scheibe ist und sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt? Waren es nicht die Zweifel, die diese neue Erkenntnis zugelassen haben?

      Liebes Tagebuch, Du unendlich geduldiges Papier, was ist mit Deinem Zweifel an mir? Du strahlst mich an in Deinem göttlichen Weiß und Deiner leeren Ordnung. Jetzt setze ich den Zweifel darauf und arbeite mich daran ab. Weil Du da bist, ist mir das möglich. Danke! Du bist mir ein wahrer Freud. Ein Freund ohne Bedingungen, ohne Zweifel an mir, und meine Kirchenzugehörigkeit ist Dir egal. Auch ist Dir egal, dass ich keiner Kirche mehr angehöre, denn Du fühlst, dass ich an die Einheit der Glaubensrichtungen glaube und es nicht gut heißen kann, dass Radikalisierungen und Glaubenskriege im Norden, Osten, Süden, Westen Einzug in mein Leben nehmen. Aber schauen wir uns gern dieses Thema „Religion“ genau an: Wie halten wir es denn wirklich mit der Religion? Können wir auch Zweifel an Gott, Allah oder Buddha haben, ohne uns im Sinne der Kirche zu versündigen? Oder versündigen wir uns vor Gott, wenn wir Zweifel haben, dass Gott eine menschliche Form hat? Ich denke nein und möchte Dich bitten, mir nicht böse zu sein, wenn ich hier von einem Zweifel spreche. Ich Zweifle nicht an, dass es einen Gott gibt. Aber ich habe Zweifel, dass die aktuelle westliche Definition von „Glauben“ noch viel damit zu tun hat. Es gibt keinen strafenden Gott, keine göttliche Distanz, die mich für meine Sünden bestraft. Es ist eher das eigene Gewissen selbst, das dies zuverlässig erledigt. Und wenn kein strafendes Gewissen bereitet ist, dann springt sicherlich ein „Dritter“ in diese Lücke und übernimmt dies in dem Irrglauben dies im Namen Gottes zu tun. Wenn ich einmal die reinen Anschauungen betrachte, dann wird klar, wie nah wir uns alle doch sind, wenn wir Zweifel haben. Jeder Vertreter einer bestimmten Anschauung wird ggf. Zweifel daran haben, dass es außer seiner noch eine andere valide Betrachtung geben kann. Eine gewaltfreie Auseinandersetzung – gerne auch mit dem Zweifel an der eigenen Anschauung – wird uns Menschen eines Tages den Frieden geben. Den Frieden aller verschiedenen Menschen, der Anschauungen der Atheisten, der Anschauungen eines einzigen Gottes, vieler Göttern, Götter, die völlig von der Welt getrennt sind und Gott, den die Welt teilweise oder ganz einschließt. Haben nicht alle Anschauungen das gleiche Ziel? Das Ziel, das Paradies auf Erden zu finden und im Herzen zu schaffen.

      Es gab also auch bei der Veranstaltung einen berechtigten Zweifel daran, dass ich sagen konnte, welche Anschauung die richtige sei. Sicherlich mögen einige Vertreter den Standpunkt vertreten, dass ein Atheist eine verwirrte Seele in sich trage. Wichtig dabei ist nur, dass man hierbei bereits die falsche Betrachtung erkennt, denn ändern kann man Menschen nicht mit Gewalt und Groll, sondern mit Gleichmut und mit reiner Nächstenliebe. Wenn also dieser Mensch „verwirrt“ scheint, warum ihm nicht helfen, einen Weg zu finden? Ich verstehe den Ärger, die Enttäuschung, wenn man erkennt, dass westliche Vertreter den moralischen Zeigefinger heben und auf die