Owawe Manitu

Aus den Tagebüchern eines Inka Priesterschülers und Xervantes Indianers


Скачать книгу

brisanten Thema materieller Reichtum stellen würde, aber zu diesem Zeitpunkt schien mir der einzige Indikator für den Erfolg die selbst eingeschätzte Qualität des Zugangs zu der eigenen medialen Fähigkeit zu sein. Ich betrachtete meine Gabe als Berufung und nicht als Beruf, es war für mich sozusagen ein Dienst für Menschen. Gleichzeitig hatte ich große Zweifel an Menschen, die Medialität als Beruf auf der Liste der schönsten Berufe auflisteten.

      Liebes Tagebuch, liebes Papier, meinst Du nicht auch, dass diese Gabe bald für viele Menschen ein „Allgemeingut“ sein wird? Klar: eine Portion Selbstzweifel war auch in mir präsent. Ich dachte manchmal, keine besonderen Fähigkeiten zu haben und einfach nur ein Kind der Sonne und Mutter Natur zu sein. Ob ich damals bei dieser Selbsteinschätzung schon einem Gedankengut der Inkas fühlte oder nicht, ist jetzt gerade völlig nebensächlich, mein Tagebuch. Ich fühlte einfach, dass nicht ICH das Besondere war, sondern nur meine Einstellung das Außergewöhnliche zu sein schien. Nichts zu wollen, während ich aus dem reinen Herzen arbeitete und die harmonisch warme, heilende Energie einfach dorthin fließen ließ, wo sie hin wollte. Meiner Erfahrung nach bahnte sich diese Energie selbst ihren Weg und benötigte, im Gegensatz zu den Menschen, durch die sie fließt, keine Räucherstäbchen, keine Trance, keine Symbole oder Rituale. Lediglich die Kontrolle und das Bedürfnis nach Schutz gänzlich loszulassen, musste ich also üben. Wie lange? Nun, ich übe jeden Tag, uneingeschränkt offenherzig und völlig ohne Angst zu sein.

      Für mich war diese Art von „Heilung“ wesentlich effektiver und vor allem ehrlicher. Je weniger ich mich in die Energie einmischte, desto klarer konnte sie wirken. Je weniger ich also selbst lenkte, aber die Chakren selbst mit Achtsamkeit belegte, desto stärker wurde deren natürlicher Fluss. Ich konnte gelegentlich das Ventil etwas regulieren und mit etwas mehr Loslassen von meinen Gedanken eine Komprimierung der Energie erreichen. Mein Gegenüber, welches sich entweder über das Telefon mit mir verbunden hatte oder physisch vor mir saß, nahm diese speziellen Schübe sehr stark wahr. Erst gestern wurde bei einem Treffen mit Geistheilern aus der englischen Tradition dieser Effekt mehrfach bestätigt und als enorme Wucht sogar aus mehreren Metern Entfernung wahrgenommen – nicht als störend, sondern als „watteweiche Energie“, die als sehr rein, aber auch eben sehr intensiv beschrieben wurde. Es war fast lustig für mich, dass in dem Moment, in dem sich ein enormer Brocken aus der Bauchgegend meines Gegenübers gelöst hatte und diese schwere Energie vom Boden des Zimmers aufgesogen wurde, die CD im Players streikte, der uns bis dahin wunderbare Entspannungsmusik geliefert hatte. Dieser Augenblick bildete zugleich das Ende der Behandlung. Die Musik hätte nur gestört, denn wir waren ja fertig! Welch wunderbares Zeichen für mich und auch für die von mir behandelte Person!

      Aber, mein Tagebuch, wo Licht ist, ist auch Schatten und somit ist nicht immer so erfreulich, wenn ich mich der Energie hingebe. Es ist auch nicht so, dass mir dieser Weg immer leicht fallen würde. Wenn ich früher solche Gedanken als Wirtschaftswissenschaftler laut in die Welt gepustet hätte, dann wäre ich wohl die längst Zeit ein Manager gewesen. Womöglich aber auch nicht, denn warum sollte es so verkehrt sein, wenn ein Mensch sich zu dem bekennt, was er im tiefen Inneren spürt und was offenbar nach außen möchte. Ich hatte mich aus dieser Unsicherheit heraus entschlossen, mein Denken, ja selbst meine Gabe für mich zu behalten. Ja, ich stand nicht zu den Fähigkeiten und noch weniger zu mir und lebte daher mit meinem Geheimnis eine sehr lange Zeit. Ich kann daher sehr gut verstehen, dass aus demselben Grund – und sagen wir wie es ist: aus der gleichen Angst – sich viele Menschen beispielsweise im Mittelalter wegen der Verfolgung als Ketzer, Hexe oder dergleichen einen Deckmantel zulegten und in der Verborgenheit arbeiteten.

      Ich für meinen Teil hatte anfangs – berechtigt oder nicht – Zweifel an meiner eigenen Wahrheit und meinen Träumen und vor allem meinen selbst entdeckten Fähigkeiten. Ich experimentierte eher als zu praktizieren und vergewisserte mich ständig neu, ob das, was man mir riet, auch der Wirklichkeit entsprach. Ich war oftmals auch naiv und entdeckerisch wie ein Kind und somit auch ein wenig unbelehrbar, was Warnhinweise anbelangte. Wie ein kleines Kind also, welches kontinuierlich neu feststellt, dass man am Pfeffer nicht riechen oder seine Hand eben nicht auf die glühende Herdplatte legen sollte. Wenn ich jetzt und hier diese Zeilen schreibe, dann fällt mir auf, dass mich eine Kraft trieb, das Rad ständig neu erfinden zu wollen. Dieses legt zwar den Schluss nahe, dass ich das Wissen eines Anderen nicht zu akzeptieren bereit war und auch ständig alles infrage gestellt wissen wollte, nur um mein Ego zu befriedigen. Dies kann ich heute mit ruhigem Gewissen zugeben, denn es liegt in der Vergangenheit und ist somit eine wichtige Erfahrung für mein Sein heute. Die Vermutung liegt nahe, dass ich eher die Sehnsucht, das Unvorbelastete und die Freiheit suchte. Die Freiheit, meine Erfahrungen machen zu dürfen, bevor ich sie als gelernt und von außen kommend übernahm. Ich wollte schon sehr früh alte Muster und Rituale aufbrechen um deren vergessenen Kern für mich wieder sichtbar machen.

      In Zen-Klöstern beispielsweise stellt man Schüler oft vor eine Aufgabe, die mit Logik und Wissen nicht zu lösen ist. Es sind Gleichnisse, verschlüsselte Botschaften, deren Antworten oder Essenzen schon in der Frage oder Aufgabe selbst liegen. Stell Dir einfach – liebes Papier – einen Meister vor, der seine Schüler auf eine Wiese stellt und ihnen erklärt, dass sie hier lernen sollen zu schwimmen. Diejenigen, die den Meister fragen würden, wie sie den Walen, die ihnen auf dieser Wiese entgegen schwimmen, aus dem Wege gehen könnten, dürften aus dem Wasser steigen, um dann im Schwimmteich nebenan den Rasen zu mähen. Verstehst Du? Woher sollten denn die Schüler wissen, was Schwimmen und Mähen ist? Und warum sollte Schwimmen nicht etwas anderes sein als ich kenne? Worauf es meiner Meinung nach ankommt, ist die Offenheit, in der ich den Meinungen und Fragen der Anderen begegne. Ein wahrer Meister scheint mir eine Person zu sein, der sich selbst nicht mehr wichtig nimmt und gern im Verborgenen bleibt, um den Anderen, die noch den Vordergrund benötigen, Platz zu geben. Gern also kann ein Meister einfach nur ein Zuhörer sein, der die Antworten auf die Fragen der Anderen wahrnimmt und dabei seinen eigenen Reifegrad im Spiegel wahrnimmt.

      Nicht selten habe ich damals mein Ego als kleinen, grinsenden Schelm erkennen können. In jedem von uns steckt ein Schüler und Meister zugleich. Und das bedingt nun einmal eine Begegnung auf Augenhöhe und das Akzeptieren von „Wissen“. Wie hoch oder tief wir bereits auf dieser „Augenhöhe“ stehen, ist daran erkennbar, inwiefern wir uns an der Natur orientiert. Leben wir schon im Einklang mit der Natur, haben wir damit begonnen, ihr auf Augenhöhe zu begegnen? Würden wir ihr auf dieser Ebene begegnen, würden wir sicherlich eine bestimmte Maxime aus unseren Köpfen verbannen: „…macht euch die Erde Untertan…“. Erst gestern habe ich mich gefragt, als ich wieder über „das auf Augenhöhe sein“ meditierte, ob ich mich denn ernsthaft als ein Medium bezeichnen könnte, welches „besser“ als ein anderes sei? Ich kam zu dem Schluss, dass dem nie so sein könne, denn das Wort „besser“ müsste – wenn überhaupt – ersetzt werden durch „geübter“ und dadurch in der Summe der Übungen als „erfahrener“.

      Auf „Augenhöhe“ zu sein, ist für mich auch erkennbar, wenn ich an ein Medium denke, welches ich kürzlich kennenlernen durfte. Sie wurde – wie wohl auch ich – quasi im Vorbeiflug zu einem hervorragenden Medium, dessen Fähigkeiten nicht durch ein Lehrbuch oder Studium gebildet waren, sondern durch das Leben als Gabe vergeben worden war – ohne bewusstes Zutun. Wie ich später erfuhr, wissen tatsächlich die Mehrzahl der mir bekannten Medien anfänglich nicht einmal, warum sie als Kinder oder Jugendliche irgendwie „anders“ waren und Dinge „fühlten“ und sogar im Vorfeld „erahnten“, die in der Außenwelt offenbar keine Rolle spielten. Für sie selbst aber waren diese Dinge – ob nun bestimmte Vorahnungen oder auch Bilder und Botschaften weit aus der Vergangenheit – so alltäglich und normal wie die aufgehende Sonne. Einige von ihnen sagten mir, dass sie sich aber nicht selten als von Eltern, Lehrern oder Mitschülern ausgegrenzte Außenseiter fühlten. Bei mir war das nicht so, denn ich war ein Heranwachsender, der versuchte, seine Jugend mit allen Möglichkeiten zu bereichern. Hier hatte Reflexion und eine Besinnung auf das, was das Leben ausmacht, auf den ersten Blick keinen Platz. Natürlich rüttelte auch mich ein Erlebnis der besonderen Art aus diesem Rausch der Jugend auf. Ich erinnere mich genau, dass ich einmal meinen Großvater in seinem Auto habe fahren sehen und er mich sehr lange – fast meinte ich, es wäre böse – ansah. Später stellte sich heraus, dass es sein Kummer war, der in dem Blick gelegen hatte. Ich sah das Auto in seinen Details, roch die typischen Abgase des orangefarbenen VW Käfers