Till Angersbrecht

Die Weltenretter


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kann ich dich durchaus verstehen. Wer wird sich denn freiwillig dieser unappetitlichen Operation unterziehen?

      Sie haben völlig recht mit Ihrer Kritik, mein lieber Spinster. Krzsymanski ist ein Phantast. Leider kann er trotzdem darauf zählen, von Lord Palmerstone gefördert zu werden, sonst hätte der ihn nicht hierher eingeladen.

      Spinster nickt mir eifrig zu. Er ist ein Schürzenjäger, leider, aber sein Lächeln hat etwas Gewinnendes, außerdem setzt sich Brunhilde für ihn ein.

      Unsere Happiness Pill – der Mann sagt tatsächlich unsere, solche Anmaßung kann ich nicht leiden! – macht doch in Wahrheit alle anderen Erfindungen völlig überflüssig. Wenn der Mensch glücklich ist, denkt er über die Endlichkeit seines Lebens nicht länger nach. Der Tod schreckt ihn nicht mehr. Er akzeptiert das Leben und natürlich auch das eigene Gehirn so wie es ist – da werden dann auch alle Krzsymanskis mit einem Schlag überflüssig.

      Richtig Spinster, so sehe ich es auch. Das Problem der Menschheit war immer und einzig das Glück, das sie leider bisher nie erreichte, weil die Wissenschaft auf diesem Gebiet bis vor kurzem noch in den Kinderschuhen steckte. Dann kam ich und habe das Problem mit der Happiness Pill gelöst. Mit einer gewissen Berechtigung hat mir das den Titel Einstein der Neurologie eingebracht. Keine Übertreibung, das darf ich mit aller Bescheidenheit sagen. Denn damit sind auch alle anderen Probleme gelöst. Der glückliche Mensch kennt keine Probleme mehr. Genau das wollen Krzsymanski und Co. allerdings nicht begreifen. Ich hoffe aber, dass der Lord klug genug ist, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Im Grunde kann er sich die Förderung aller übrigen Projekte sparen.

      Spinster setzt seine übliche unterwürfige Assistentenmiene auf. Das versöhnt mich einigermaßen.

      Herr Professor, sagt er, ich habe mein Leben Ihrer Erfindung gewidmet. Sie ist an sich schon genial, das brauche ich ja nicht zu betonen. Aber was mich von Anfang an so beeindruckt hat, ist der leichte, eigentlich kinderleichte Weg, den sie der Menschheit zum Glück eröffnet haben: Eine Pille in etwas Wasser gelöst und jeden Morgen zum Frühstück eingenommen.

      Mein lieber Spinster, vergessen Sie bitte nicht, dass wir im Augenblick noch nicht ganz so weit sind. Fürs erste brauchen wir noch drei Pillen auf vierundzwanzig Stunden. Viele Menschen müssten einmal in der Nacht aufstehen, wodurch ihr Glück eine fühlbare Einbuße erleidet. Deshalb brauchen wir unbedingt die Förderung durch den Lord. Die Tagespille ist unser Ziel, die müssen wir unbedingt noch entwickeln.

      Ja, die Tagespille!

      Spinster ist auf einmal ganz bei der Sache, so sehe ich es gern.

      Aber noch besser wäre es zweifellos, wenn wir eine Wochen- oder Monatspille auf den Markt bringen könnten. Der Mensch ist ja vergesslich und besonders dann, wenn er sich in einer glücklichen Stimmung befindet.

      Halten Sie ein, Spinster, alles der Reihe nach! Wir dürfen nicht über die Stränge schlagen. Zuerst die Tagespille, das allein ist schon eine umwälzende Neuerung. Bitte schön, alles der Reihe nach!

      4. Hass und Liebe

      Gottlieb Theophrast (genannt Jesus):

      Mein lieber Herr, mein gnädiger Gott! Von dieser Zusammenkunft verspreche ich mir vieles, einen Kraftschub, vielleicht eine Wende, die einen Neuanfang für mein künftiges Leben bedeutet. Zu keiner Zeit war ich mir Deines Willens und Deiner Gnade so unmittelbar bewusst und gewiss. Wem ist es schon vergönnt, zwei Wochen in engstem Verkehr mit den größten Geistern dieser und vermutlich aller anderen Zeiten in täglichem Gespräch zu verbringen? Und noch dazu geht es um die größte Aufgabe überhaupt: Es geht darum, den Planeten vor unserem sündigen Tun zu retten! Ich weiß, dass ich selbst der Geringste bin, ein Nichts angesichts der Aufgaben, denen wir in unserer Zeit gegenüberstehen, aber dank Deiner Gnade bin ich vielleicht nicht ganz unbegabt, als Helfer den Helfenden zu dienen, wie unwürdig ich als Person dieser Auszeichnung auch bin. Jedenfalls werde ich mein Bestes geben, um mich der großen Gelegenheit würdig zu erweisen. Ich bin entschlossen, mich mit ganzer Kraft für das Wohl der Menschheit einzusetzen.

      Der englische Lord flößt mir den größten Respekt ein. Allein dieses Schloss – es ist mit so viel Liebe und Können erbaut! Es gehört schon etwas dazu, sich mitten im Stillen Ozean, wo man von niemandem dafür bewundert wird, ein solches Herrenhaus zu errichten. Das spricht für Idealismus, Bescheidenheit und Charakterstärke. Alles ist hier auf vornehme, wenn auch auf englisch zurückhaltende Art gestaltet. Der doppelgeschossige Haupttrakt etwas nach hinten versetzt, die beiden Seitenflügel ein wenig nach vorn verlagert, aber niedriger gehalten. Diese Gliederung besticht durch Klarheit und Eleganz.

      Vom Dienstpersonal – den Lord habe ich noch nicht gesehen – werden wir erst einmal in den Haupttrakt geleitet. Hier befinden uns vor einer mächtigen Treppe, auf der bequem vier Personen nebeneinander Platz finden würden. Zu beiden Seiten ist das Geländer mit allerlei geschnitzten Fantasiefiguren verziert, offenbar aus der heidnischen Mythologie. Der Lord ist nicht nur reich, sondern obendrein ein Humanist und Philosoph. Alles atmet hier erhabene Gelehrsamkeit, wie sie nur die Muße und Begeisterung für die Wahrheit schenkt. Die übrigen Geladenen zeigen sich ebenso beeindruckt wie ich; alle blicken sie still und scheu zu den Gemälden an den Wänden und der blauen Himmelskugel mit den geflügelten Engeln, die hoch oben über der Treppe als Fresko das Deckengewölbe ziert.

      Nein, nicht alle, ein untersetzter Mann mit grobem Gesicht kümmert sich nur um seine Dogge, die mit beständigem Schnüffeln von einem Besucher zum anderen läuft. Jetzt drängt sie sich gerade einer Frau mit ostasiatischem Aussehen auf. Eigentlich eine Zumutung, dass der Mann das Vieh nicht zurückruft. Der Hund und sein Besitzer sehen sich überhaupt zum Verwechseln ähnlich, der Herr so hässlich wie das Gescherr.

      Wie schön diese Frau ist - schon auf dem Schiff habe ich sie bewundert. Der Herkunft nach muss sie Japanerin oder Chinesin sein. Sie wurde als Manni Zhou angeredet, also ist sie wohl eine Chinesin. Ich fühle mich gleich dazu ermuntert, Gott dafür zu danken, dass er so vollkommene Menschen erschafft. Natürlich darf man nicht nur auf das Äußere blicken, ich als Theologe schon gar nicht, aber auch die körperliche Schönheit war für mich immer ein Beweis für die Existenz eines gütigen Gottes. Oder hätte der Teufel etwa das Schöne erfunden? Gewiss nicht. Ich bin sicher, dass sich in einem so wunderbaren Körper nichts als die reine Güte verbirgt.

      Es fällt mir auf, dass die ins Obergeschoss führende Treppe von einer roten Kordel abgesperrt wird, ein Schild hält uns in großen Lettern die Aufschrift „privat“ entgegen. Unsere Zusammenkünfte sind demnach auf die großen Säle hier unten im Parterre beschränkt. Ich lasse es mir nicht nehmen, einen Blick durch die breite Flügeltür auf der linken Seite zu werfen, offenbar ist das der Speisesaal. Auf der rechten Seite lese ich über der Tür die Worte „Hall of the Enlightened Spirit“, Halle des erleuchteten Geistes. Hier fühle ich mich zu Hause, schon beim ersten Hinschauen erkenne ich das Streben nach Höherem!

      Aber natürlich kümmert man sich zunächst um unsere physischen Belange. Zimmernummern werden vom Dienstpersonal auf kleinen Karten verteilt. Die jungen Mädchen tragen alle das gleiche graue Gewand, aber mit recht großzügigem Dekolleté, was mich doch einigermaßen erstaunt, aber natürlich man muss das warme Klima in Rechnung stellen. Unsere Unterkünfte befinden sich im linken Seitenflügel des Schlosses. Um dorthin zu gelangen, fordert man uns auf, erneut ins Freie zu treten.

      Mein Zimmer ist im ersten Stockwerk gelegen, während die meisten älteren Herren im Parterre untergebracht sind. Auch die schöne Chinesin wird im ersten Stock einquartiert, nur wenige Türen von meinem Zimmer entfernt. Ich trete ein. Zwei mächtige, dunkelrote Vorhänge verhängen die Fenster. Ein gewaltiger Schreibtisch, besser gesagt ein Sekretär, der mit all seinen Fächern und Laden einen höchst geheimnisvollen Eindruck erweckt, steht mitten im Raum. Wirklich, ein würdiges Möbelstück. Es scheint den Ankömmling geradezu aufzufordern, sich in Ruhe niederzusetzen, den Kopf von allen überflüssigen Gedanken zu leeren und in voller Konzentration die wichtigen Einsichten eines Tages in Gelassenheit niederzuschreiben.

      Das werde ich in Kürze mit Sicherheit tun. Aber im Augenblick fühle ich mich noch von den vielen auf mich einstürmenden Eindrücken überwältigt.