Till Angersbrecht

Die Weltenretter


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wurde er 1943 geboren. In diesem Jahr hätte er demnach das biblische Alter von 90 Jahren erreicht. Die Unterschrift auf den Einladungen erscheint mir reichlich schwungvoll für einen Mann dieses Alters, aber natürlich leben wir in einer Zeit der Methusalems, wo auch Greise sich noch bester Gesundheit erfreuen.

      Er schiebt eine kurze Pause ein, dann blickt er mich bedeutungsvoll an.

      Es wäre allerdings gewiss nicht das erste Mal, dass jemand Einladungen aus dem Jenseits verschickt.

      Meine Eltern, erwidere ich, hätten mich nie gehen lassen, ohne ein unbedingtes Vertrauen zu dem berühmten Lord.

      Kaum habe ich den Satz ausgesprochen, bereue ich diese Vertraulichkeit. Jetzt wird er glauben, ich ließe mir alles von meinen Eltern sagen.

      Das sehe ich ein, sagt der Mann. Der Lord ist ein Philanthrop und einer der ganz großen philosophischen Köpfe unserer Zeit. Jetzt liegt ihm auch noch die Rettung des Planeten am Herzen, sozusagen als Krönung seines irdischen Wandels. Deswegen sind wir ja hier. Eine Handvoll Leute, sämtlich führende Köpfe auf ihrem Gebiet, hat er mit Erfolg dazu überredet, sich mitten im Pazifik zu treffen. Unbeschwert von allen äußeren Störungen soll der gesammelte Geist des Planeten die erlösende Formel finden. Das ist Lord Palmerstones Absicht. Ein ehrgeiziges Projekt. Wir werden sehen, was daraus wird.

      Plötzlich streckt er mir die Hand entgegen.

      Übrigens bin ich Psychologe. Maximilian Wendell, unter Freunden schlicht Maxi genannt, aber hinter meinem Rücken nennen sie mich auch Freud. Das ist natürlich lächerlich, wie sollen sich bescheidene Epigonen von meiner Art mit diesem Genie messen können.

      Er lächelt, und sein Lächeln ist warm und gewinnend. Ich kann gar nicht anders, als dieses Lächeln auf gleiche Art zu erwidern. Die dargebotene Hand ergreifend stelle ich mich meinerseits vor.

      Julian Seebenstein.

      Natürlich muss ich bei einer solchen Vorstellung meinen Namen nennen, das gebietet die Höflichkeit, aber danach hätte ich erst einmal den Mund halten sollen. Ich weiß selbst nicht, warum sich meine Worte immer gleich selbständig machen. Das ist einer meiner zahlreichen Fehler, die mich im Nachhinein fruchtbar ärgern, natürlich dann, wenn es zu spät ist, weil ich die Dummheit schon begangen habe. Mitten im Satz bin ich sogar ins Stottern geraten.

      Also, um ehrlich zu sein, also eigentlich habe ich hier überhaupt nichts zu suchen. Man brauchte halt jemanden, der mitschreiben kann, einen Sekretär. Die Leute sagen, dass meine Schrift gut zu lesen sei, außerdem bescheinigt man mir eine gewisse Geschicklichkeit beim Zusammenfassen von Gedanken. Aber was zählt das schon, eigentlich gar nichts. Das können so viele andere auch. Vermutlich werde ich kein Wort von all dem begreifen, was all diese klugen Leute, ich meine, diese Genies, von sich geben.

      Wie immer rede ich total wirres Zeug, wenn ich in Verlegenheit gerate. Der Mann wird sein Urteil fällen: Furchtbar naiv und dumm dieser Mensch, wird er sich sagen.

      Zu meiner Überraschung nickt Wendell mir beschwichtigend zu.

      Keine Angst, Julian, vor den Experten. Die sollten ihre Worte immer so verständlich und einfach wählen, dass jeder intelligente Mitbürger sie auf Anhieb versteht. Was nützt uns der Fachidiot, wenn er ein für alle anderen Menschen unverständliches Rotwelsch absondert? Du bist hier sozusagen das Sieb, das alles Gemeinverständliche protokolliert und bewahrt und alle Schlacken der Fachidiotie hindurch fallen lässt. Eine wichtige Aufgabe!

      In diesem Moment beginnt der Wind stärker zu blasen. Nur undeutlich verstehe ich seine letzten Worte. Wir überwinden den Kamm der Düne und steigen auf ihrer anderen Seite hinab. Dort ist es beinahe still, so gut schirmt der Wall den vor uns liegenden Garten und das Schloss gegen die Böen ab. Weiter oben fegt der Sturm über uns hinweg und treibt sein Spiel mit den hin und her schießenden Möwen; eine ganz Schar von ihnen umsegelt das vielfach vergiebelte Dach mit den Kaminen.

      Wendell lacht, während wir das imposante Gebäude betrachten.

      Irgendwo in Sussex könnte die Villa genauso gut stehen. Ganz im Stil der Nabobs erbaut, eine getreue Kopie der Schlösser aus viktorianischer Zeit. Der Lord legt viel Wert auf die äußere Repräsentation. Adel verpflichtet eben, besonders wenn man aus einer der ältesten Familie Englands stammt. Bei der Eroberung des indischen Subkontinents hätten die Vorfahren Palmerstones, so heißt es, eine rühmliche Rolle gespielt. Vermutlich werden wir ihren Porträts in der Festhalle begegnen.

      Die Engländer trauern wohl immer noch dem verlorenen Empire nach?

      Gewiss! Und hier lebt es noch fort, allerdings nur auf kläglichen dreißig Quadratkilometern. Es heißt, der Lord habe sich stets nach Merson Island zurückgezogen, wenn er mit schwierigen Problemen rang. Eigentlich hat er sich zeitlebens immer nur mit den schwierigsten Problemen befasst.

      Wie haben uns dem Eingang genähert, in dem die übrigen Gäste bereits verschwunden sind. Wendell blickt zur Fassade auf und weist dann mit dem Finger auf die Inschrift über dem Eingangsportal.

      Er selbst ist übrigens auch eine schwierige Natur. Schau Dir die Losung an, die dort über dem Portal des Eingangs prangt.

      Noli me tangere!

      Das ist natürlich Latein, und ich bin ein dummer Schüler. Als hätte mir der Lehrer das Stichwort gegeben, schießt es gleich aus mir heraus:

      Achtung, Hände weg von mir! So heißt das in etwa.

      Genau, gibt Wendell zurück, so könnte man den Spruch übersetzen. Und dann fügt er hinzu: Ist das nicht eine seltsame Begrüßung, mit der ein Hausherr seine Gäste auf einer einsamen Insel empfängt?

      3. Die Tagespille

      Peter Pinkelbein (genannt Einstein):

      Warum soll Tentorius den ersten Vortrag halten. Eine völlig unbegründete, willkürliche Festsetzung von Lady Lonedale, deren Rechtmäßigkeit ich in Frage stelle. Tentorius ist nicht einmal Nobelpreisträger. Er kann sich keines Vorrangs vor mir, Darwin oder Krzsymanski rühmen. Die Lady hätte das Los entscheiden lassen oder eine Abstimmung durchführen sollen. Zwangsläufig muss so der fatale Eindruck entstehen, als wäre Tentorius gewissermaßen der Senior in unserer Runde, was schon aufgrund seines Alters nicht möglich ist. Brunhilde sieht darin einen Bruch mit der wissenschaftlichen Etikette. Sie hat völlig recht.

      Warum hat sie nicht dich an die erste Stelle gesetzt, aufgrund deiner akademischen Leistungen und deines Rufs bist du es doch, der das größte Prestige genießt!

      Brunhilde meint es, wie immer, so gut mit mir. Aber ich persönlich denke natürlich nicht in den Kategorien von Prestige und wissenschaftlichem Rang. Missgunst oder gar Neid sind meinem Wesen fremd. So etwas habe ich schlicht nicht nötig, die Zahl meiner Ehrendoktorate liegt, wenn ich recht gezählt habe, zwanzig Prozent über der von Tentorius, aber andererseits wäre es doch korrekt gewesen, die Reihenfolge unseres Auftretens nicht so diktatorisch festzulegen.

      Ist das nicht? Ja, natürlich, das ist mein Assistent Spinster, der sich offenbar in einem angeregten Gespräch mit einem Serviermädchen befindet. Er ist ein Luftikus, wenn auch ein guter Wissenschaftler. Diese Anmacherei geht mir auf die Nerven, offenbar reicht ihm die Wissenschaft nicht. Ich sollte höhere Anforderungen an ihn stellen, der Mann ist nicht ausgelastet. Brunhilde hat einen Narren an ihm gefressen, sie hält fest an Spinster. Ich hätte ihn sonst längst in die Wüste geschickt.

      Jetzt entdeckt er mich, drückt dem jungen Ding noch schnell die Hand und eilt auf mich zu.

      Herr Professor, nach dem gestrigen Abend, als Newton, also dieser Krzsymanski, uns mit seinen Ideen zum Quantengehirn überfiel, weiß ich erst recht, was mir Ihre Happiness Pill bedeutet. Schaurig, was Newton uns da erzählte. Der Schädel soll von innen her ausgekratzt, die gesamte Neuronenmasse wegen möglicher septischer Prozesse sorgfältig herausgespachtelt werden, bevor sich das digitale Gehirn einsetzen lässt. Also wenn Sie mich fragen, ich bin strikt dagegen. Lieber mein altes, fehleranfälliges, am Ende wegfaulendes Hirn, als dieser Ersatz aus Silizium. Mir ekelt richtig.

      Spinster, Du brauchst