Anna Bloom

Sophies Erwachen


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Zimmer schweifen ließ, begann ich mich langsam wohl darin zu fühlen. Stephanie und ich hatten am Abend zuvor auf dem Nachhauseweg zwei Drucke für meine leeren Wände gekauft, die wir dann gemeinsam aufgehängt hatten. Barbara kam anschließend mit drei Pflanzen nach Hause, die wir harmonisch im Raum verteilten. Es war langsam so schön in meinem Zimmer, dass ich fast zu meiner gewohnten Faulheit zurückgekehrt wäre. Als ich Stephanie in ihrem Zimmer herumpoltern hörte, stand ich dann doch auf.

      Nach einer schnellen Dusche und einem ausgiebigen Frühstück fuhren Stephanie und ich mit Barbara und Volker zum Weinberg. Das Weingut lag an einem Berghang hinter unserem Viertel. Es war noch angenehm kühl und schattig dort. Die Sonne blickte gerade erst hinter den hohen Bergen hervor. Mit ihren schwachen silbrigen Strahlen konnte sie noch nichts gegen die dünnen Nebelschwaden ausrichten, die knapp über der Erde hingen und die Weinpflanzen schützend umrankten.

      Stephanie, Volker und ich stiegen aus dem Auto. Ich fror ein bisschen in meinen Shorts und bekam gleich eine Gänsehaut. Volker legte seinen Arm auf meine Schulter und führte mich zur ersten Weinstockreihe. Er nahm eine Rebe in die Hand und sagte stolz. „Sophie, das ist nach Stephanie unser zweites Baby.“

      „Sei bitte nicht so melodramatisch“, stöhnte Stephanie und verdrehte peinlich berührt die Augen. Ich musste schmunzeln.

      „Dieser Wein ist immerhin unsere Existenzgrundlage. Gäbe es ihn nicht, wären wir alle nicht hier. Zeig doch ein bisschen Respekt und Interesse. Irgendwann wirst Du das Gut übernehmen“, konterte Volker in einem mehr als väterlichen Ton.

      „Das ist noch nicht entschieden. Und die Entscheidung über meine berufliche Zukunft werde ich selbst fällen“, fauchte Stephanie zurück. Ihre Resolutheit überraschte mich. So hätte ich mit meinem Vater nicht gesprochen. Andererseits hätte mich mein Vater nie in einen Beruf gezwungen. Diese Diskussion schienen die beiden schon mehrmals geführt zu haben, so schnell wie sie auf dieses Thema kamen und so verhärtet wie die Fronten waren. Beide schauten nun ernst und verletzt in verschiedene Richtungen und schwiegen. Sie glichen sich in diesem Augenblick sehr. Stephanie tat mir leid, weil sie unter diesem Druck stand. Aber andererseits konnte ich Volker auch verstehen. Stephanie war sein einziges Kind und das Weingut sein Ein und Alles, das er nicht in fremde Hände geben wollte. Um das peinliche Schweigen zu beenden, fiel mir nur eine blöde Frage ein.

      „Wann werden die Reben denn reif sein?“ Ich deutete auf die winzigen festen dunkelgrünen Beeren.

      Volker drehte seinen Kopf zu mir, atmete tief durch und strich über seinen grauen Dreitagebart, bevor er seine Antwort gab: „In etwa drei Monaten ist es soweit. Bis dahin hoffen wir auf gutes Wetter. Es darf nicht zu heiß aber auch nicht zu kühl und regnerisch sein.“

      „Wer erntet denn den Wein? Alleine schafft Ihr das doch gar nicht, oder?“

      „Wir beschäftigen drei oder vier weitere Pflücker, die von außerhalb zur Ernte nach Blenheim kommen. Manchmal sind auch Touristen dabei, die sich ihren Urlaub in Neuseeland finanzieren wollen. Wenn der Wein geerntet ist, gibt es in Blenheim ein großes Weinfest.“

      „Das Fest ist so ziemlich das Coolste, was hier in Blenheim passiert“, fügte Stephanie hinzu. „Der eine oder andere Pflücker ist auch nicht ohne“, flüsterte sie in mein Ohr und zwinkerte dazu. Ich lächelte zurück.

      „Tut mir leid Sophie, dass Du unsere Streitigkeiten mitbekommen musstest“, sagte Volker entschuldigend. „Stephanie, es tut mir leid, dass ich das leidige Thema wieder angeschnitten habe.“

      „Entschuldigung angenommen“, sagte Stephanie, ohne ihrerseits eine abzuliefern. Sie blieb wirklich hart, wenn sie eine Meinung hatte.

      „Ihr Beiden, es ist Zeit“, rief uns Barbara aus dem Wagen zu.

      „Bis später“, sagte ich und wir verschwanden im Jeep, um zur Schule zu fahren und unsere Zettel mit der Kurswahl abzugeben.

      Wir nahmen den gleichen Weg hinunter, der sich zum Weinberg hochschlängelte. Die Schule lag auf der anderen Seite von Blenheim. Ab dem Stadtzentrum war die Schule ausgeschildert. Falls Stephanie mal nicht mit mir fahren konnte, konnte ich mich wenigstens etwas orientieren. In den Wohnvierteln außerhalb der Innenstadt sah für meine Augen eine Straße wie die andere aus und wir bogen mehrmals ab, bevor Stephanie mir zurief: „Es wird wärmer, wir sind fast da.“ Die Schule selbst war nicht zu übersehen. Während die Häuser nebenan über die obligatorische Hecke als Sichtschutz verfügten, stand die Schule in ihrer rosafarbenen Pracht völlig unverhüllt da. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war ein Parkplatz angebracht. Vor dem mediterran anmutenden einstöckigen Schulgebäude lag ein riesiger Platz, auf dem sich Schüler vor und nach dem Unterricht sammeln konnten. Er war mit einem grünen Rasen bewachsen. Auf einem der acht mit Steinen ausgelegten Wegen, die sternförmig in die Mitte des Platzes zu einem kleinen Springbrunnen führten und weiter zum hölzernen Eingangstor, liefen wir zum Gebäude. Rund um den Brunnen standen vier Holzbänke. Das Eingangstor stand offen. Innen bot sich ein bekannter Anblick. Lange Korridore mit Steinböden, vielen Türen, die links und rechts abgingen und schwarze Bretter an der Wand. So ähnlich sah meine Schule in Frankfurt auch aus. Stephanie und Barbara steuerten auf eine Tür zu. Auf dem Schild daneben stand das englische Wort für Sekretariat. Wir traten ein und eine rothaarige Frau mit einem ebenso grellen roten Lippenstift und einer grünumrandeten Brille begrüßte uns mit ihrem breiten Lächeln und einem „Hi there“.

      Stephanie grüßte ebenso freundlich zurück „Hallo Mrs. Martin, wie geht es Ihnen? Haben Sie einen schönen Urlaub gehabt?“

      „Ja, danke. Und Ihr?“

      „Wunderbar, Mrs. Martin.“

      „Wir haben seit ein paar Tagen Sophie aus Deutschland bei uns. Sie wird für ein Schuljahr bleiben“, stellte mich Barbara vor.

      „Wie schön, Sophie. Herzlich willkommen. Du wirst bestimmt ganz viele spannende Geschichten hier bei uns erleben.“

      „Danke, Mrs. Martin.“

      „Wir haben hier den Anmeldebogen von Sophie und ihre Kurswahl.“

      Mrs. Martin suchte im Computer nach meiner Akte und gab die Informationen auf dem Papier in das System ein. Auf Knopfdruck war dann auch schon mein Stundenplan erstellt. Danach war Stephanies Liste dran. Als sie fertig war, druckte Mrs. Martin unsere Stundenpläne aus und führte uns im Haus herum. Sie zeigte mir in der Reihenfolge meines Stundenplans die Räume, in denen der Unterricht – jeden Tag die gleichen Fächer in der gleichen Reihenfolge – stattfinden würde: Mathe, Englisch, Geschichte und Biologie vormittags. Als sie dann beim Mittagessen ankam, gingen wir in die Kantine, die wie eine umfunktionierte Sporthalle wirkte. Die Tische waren so zusammengeschoben, dass man jeweils in Gruppen von sechs Personen Drumherum sitzen konnte. An den Wänden hingen Fotos von Essen, von Feldern, von der Ernte, von allem, das etwas mit Essen zu tun hatte. Die Essenausgabe befand sich am Ende des Raumes und war in vier Bereiche aufgeteilt. Vorspeise, vegetarisches Hauptgericht, Hauptgericht mit Fleisch und Nachspeise. So wie Mrs. Martin es beschrieb, legte die Schule Wert auf ausgewogene und gesunde Ernährung. Man verzichtete auf Fast Food, viel Fett und Zucker und kochte das Essen anders als viele andere Schulen noch selbst vor Ort. Allerdings sah ich ein paar Getränkeautomaten und solche mit Knabberkram wie Chips herumstehen. Wenn man wollte, konnte man sich auch hier ungesund ernähren. Aus der Kantine führten zwei Türen in den großen Innenhof der Schule. Auf einem gepflegten Rasen standen Holzbänke und Holztische. Büsche und Bäume und ein Brunnen gaben dem Hof eine sehr schöne Atmosphäre. Im Sommer konnte man draußen essen oder laut Mrs. Martin wenn es regnete im überdachten Säulenrundgang frische Luft schnappen. Sie vergaß dabei nicht zu erwähnen, dass das Rauchen natürlich auf dem gesamten Schulgelände verboten war. Stephanie und ich versicherten, dass dies bei uns keinerlei Entzugserscheinungen auslösen würde. Nun liefen wir noch die restlichen Räume ab. Der Computerkurs fand in einem eigens dafür eingerichteten Computersaal statt. Für den anschließenden Outdoor-Activities-Kurs würden wir uns zum Aufwärmen in der Sporthalle hinter der Schule treffen. Neben der Sporthalle standen die Schwimmhalle und dahinter das Rugby-Feld. Die Größe der gesamten Anlage war beeindruckend. Als wir in das Sekretariat zurückkehrten, gab mir Mrs. Martin einen Schlüssel zu einem Fach, in