Anna Bloom

Sophies Erwachen


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zu tun. Ein Kanu hatte ich auch noch nie im Leben gesehen, geschweige denn ein Paddel in der Hand gehalten. Das wird noch lustig, dachte ich Großstädterin zynisch. Aber wenn man mich in meinen neuen Sportklamotten sah, sah man mir nicht an, dass ich keine langen Trainingsjahre auf dem Buckel hatte.

      „Du siehst fantastisch aus, Outdoor-Schneewittchen“, kommentierte Stephanie mein Outfit und spielte dabei auf meine langen schwarzen Haare und der nicht so häufig mit Luft und Sonnenschein in Berührung gekommenen hellen Haut an. „Rot steht Dir übrigens sehr gut. Nimm das zweite Outdoorshirt mit und das Langärmlige auch. Es kann ja auch mal regnen, dann brauchst Du was Wärmeres und was zum Wechseln, wenn Du nass geworden bist.“

      „Gut, dann nehme ich noch die Hose, die Wanderstiefel, die Wandersocken, die Trinkflasche, den Regenschutz für meinen Rucksack und die Radlerhose.“ Das letzte Wort betonte ich etwas abfällig.

      „Sieht spitze an Dir aus. Die Jungs werden eine Runde länger gucken als sie es sowieso tun werden, wenn Du Dich auf Dein Rad schwingst.“

      „Nur, um über mich zu lachen, meinst Du. Übrigens: Es gibt garantiert keine Fotos von mir in Radlerhosen, Stephanie, sonst ist mein Ruf in Deutschland ruiniert“, warnte ich sie vor.

      „Das kann ich Dir nicht garantieren, meine Liebe. Wenn nicht ich Dich erwische, dann Miss Hays, die Outdoor-Lehrerin. Sie fotografiert wie wild im Kurs und stellt die Fotos online. In der Schulzeitung gab es auch ein Gruppenfoto vom Outdoor-Kurs. Insofern musst Du Dich damit abfinden, dass Dein Arsch in Radlerhosen bei einer breiten Öffentlichkeit beliebt wird.“

      „Wir werden schon sehen, wer den Kampf um die Fotos gewinnt“, sagte ich. Dann fiel mir das Wesentliche auf. „Ich habe doch gar kein Fahrrad“, rief ich.

      „Keine Sorge. Es gibt einen Fahrradladen hier um die Ecke. Da habe ich meins auch gekauft.“

      „Dann gehe ich an die Kasse. Ich glaube, ich habe alles.“ Die Preise auf den Etiketten klangen überirdisch hoch, aber das musste an der anderen Währung liegen. Ich hatte von meinem Vater eine Kreditkarte bekommen, mit der ich alle meine Ausgaben in Neuseeland bezahlen konnte. In Deutschland hatte ich keine Karte, sondern bekam das Taschengeld jede Woche bar auf die Kralle.

      Die rothaarige Kassiererin war wie ein wandelndes Werbemaskottchen von Kopf bis Fuß in Outdoor-Klamotten gehüllt. Ich erkannte sie nur an ihrem kleinen Namensschild als Mitarbeiterin des Ladens. Ihr freundliches Gesicht war mit Sommersprossen übersät und sie hatte eine gemütliche neuseeländische Art, die sich auch in ihrer Sprache niederschlug. Leider konnte ich die lang gedehnten Vokale und am Ende eines jeden Wortes willkürlich veränderten Klänge nur mit Mühe in meinem Schema von Englisch wiedererkennen. Sie sah mich verdutzt an, als ich hilflos dastand und entschuldigend den für sie entscheidenden Satz hervorpresste. „Sorry, I’m from Germany. I didn’t understand you.“ Ich kam mir wie ein Vollidiot vor und wollte, dass die Erde sich öffnete und mich in ihrer Tiefe unter viel Schutt begrub. Meiner Meinung nach sprach ich gut Englisch und verstand noch viel mehr. Immerhin sah ich sämtliche DVDs in der Originalversion, ohne Untertitel. Aber dieser Dialekt war mir noch nicht untergekommen. Die Kassiererin lächelte mich entwaffnend an und versuchte ihr bestes British English heraus zu kramen, um sich verständlich zu machen. In meinem Hirn ratterte es wie wild, bis ich endlich glaubte das Gesagte interpretieren zu können. Es war der Preis der Ware und die Frage, ob ich Bar oder mit Kreditkarte bezahlen wollte. Ach Du Schande. So einfach war es und ich hatte gleich am Anfang total versagt. Mir wurde schwindelig bei dem Gedanken, den ganzen Tag über Shakespeare, Kolonialgeschichte und Gemeinschaftskunde in diesem Dialekt sprechen zu müssen. Geschweige denn, wie ich ohne etwas von dem zu verstehen, was die Jugendlichen in ihrem ganz eigenen Slang von sich gaben, Freunde finden sollte. Sophie, worauf hast Du Dich da bloß eingelassen? Ich schob schweigend meine Karte hin. Sie führte sie in ein Lesegerät ein und wartete, bis ein Streifen Papier herauskam, auf dem der Betrag stand und sie mir wie einer Taubstummen mit großen Hollywood-Gesten der 30er Jahren erklärte, dass ich auf dem Strich zu unterschreiben hatte. Dann war ich entlassen und konnte das einzige Wort, das mir jetzt noch einfiel, herausbringen: „Thanks“. Wahrscheinlich verstand sie mich sowieso nicht. Mein Englisch klang genauso fremd für ihre Ohren wie ihr Englisch für meine. Da ich nun sprachlich eine Niete war, würden Outdoor-Activities und sonstige Sportarten zu meinen Lieblingsfächern mutieren. Das Leben hatte eindeutig ironische Züge angenommen.

      „Sophie, ist alles ok mit Dir?“, fragte Stephanie mit ihrer ins Dramatische abrutschenden Stimmführung.

      „Scheiße, ich kann gar kein neuseeländisches Englisch! Ich habe kein Wort verstanden, was die Frau eben gesagt hat. Ich werde hier sang- und klanglos untergehen“, sagte ich panisch und setzte mich vor dem Eingang des Ladens auf die Bordsteinkante und schob die riesige weiße Einkaufstüte schützend unter meine Schenkel. Tränen kullerten an meinen Wangen herunter. Ich schämte mich für meine verfrühte Schwäche. Schützend ließ ich meine schwarzen Haarsträhnen wie einen Vorhang über meine Wangen gleiten. Ich weinte leise alle Tränen, die sich angesammelt hatten, während Stephanie mich erschrocken in den Arm nahm.

      Als ich nicht mehr schluchzte und der Sturm in meinem Kopf langsam aufhörte zu wüten, stand sie auf und sagte: „Das wird alles gar nicht so schlimm werden. Ich und meine Freundinnen bringen Dir alles bei, was Du wissen musst. Ab morgen ist täglich Neuseeländisch-Kurs angesagt! Das Gute ist: Die Grundlage der Sprache ist immer noch Englisch. Also steh auf. Wir gehen ins Einkaufszentrum auf die Toilette. Du wäschst Dich und dann holen wir das Fahrrad im Laden. Danach treffen wir uns mit Jessica und Paula im Café und da beginnt schon der Einsteigerkurs!“

      Sie konnte wirklich gut motivieren, das musste man ihr lassen. Widerspruch war bei ihrer Bestimmtheit unmöglich.

      „Zu Befehl, Sir!“, sagte ich halbwegs authentisch und wir lachten.

      Der Fahrradladen war gleich neben dem Einkaufszentrum an einem schönen Platz, auf dem ein Pavillon stand. Er hieß BikeFit und war überdimensioniert für eine Stadt von der Größe Blenheims, was sicherlich mit den schönen Bergen hier zu tun hatte und damit, dass die Einwohner und Touristen nichts Besseres in Blenheim anzufangen wussten als zu radeln. Auch ich hatte vor, das Fahrrad täglich zu nutzen, da die Schule zu weit weg war, um den Weg zu Fuß gehen zu können und weil es in Blenheim mit dem öffentlichen Verkehr nicht so weit her war wie in Frankfurt. Zwar könnte ich in Neuseeland mit meinen 17 Jahren den Führerschein machen, aber den Stress mit dem Linksverkehr wollte ich mir nicht antun, um dann zurück in Deutschland mich an den Rechtsverkehr gewöhnen zu müssen. Das Fahrrad war eine gute Alternative. Stephanie fuhr auch mit dem Rad zur Schule. So könnten wir zu zweit radeln. Das Angebot im Laden war groß. Ich hatte absolut keine Ahnung, worauf es ankam und was das Rad haben musste, um auch in den Bergen fahren zu können. Stephanie war meine letzte Hoffnung.

      „Stephanie, welches Rad hast Du denn?“

      „Ich glaube, das gleiche Modell wie das Blaue da drüben. Oder vielleicht wie das Rote hier.“

      „Ach du Schande. Du hast ja genauso wenig Ahnung von Fahrrädern wie ich“, sagte ich und musste loslachen. Das war eindeutig nicht mein Tag. Er wurde nur noch schlimmer. Aber, da musste ich durch. Zumindest konnte ich über mich selbst und mein Pech lachen. Das fand Stephanie wohl auch, weil sie mich erleichtert anlächelte, bevor sie sich nach unten beugte, um das rote Fahrrad für mich genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich hielt währenddessen nach dem Verkäufer Ausschau und weil ich niemanden in meiner Sichtweite sah, ging ich weiter vor Richtung Kasse. Die Kasse befand sich in der rechten hinteren Ecke des Raumes. Links neben der Kasse ging der Raum jedoch weiter nach hinten. Dort baumelte ein Schild von der Decke mit der Aufschrift „Reparatur“. Ich schlenderte langsam dorthin. Vielleicht war dort jemand, der mich oder - nach meinem Totalausfall der englischen Sprache - Stephanie beraten konnte. Und tatsächlich war dort jemand, der sich über einen Fahrradreifen beugte. So, das war Versuch Nummer zwei. Ich musste mich meinen Ängsten stellen. Zumindest hatte ich das so im Psychologiekurs gelernt. Man wächst mit seinen Aufgaben. Es war aber schwieriger als gedacht. Ich nahm all meinen Mut zusammen, atmete tief ein und aus und sagte mit leicht zitternder Stimme auf Englisch: „Entschuldigung. Können Sie mich und meine Freundin bitte kurz beraten. Wir wissen nicht genau welches Rad wir brauchen.“

      Der