Anna Bloom

Sophies Erwachen


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Komm, lass uns was essen.“

      Barbara und Volker machten gerade einen Fruchtsalat als wir in die Küche traten. Der Tisch war bereits gedeckt. Der Duft von Kaffee durchströmte den Raum. Stephanie setzte sich an den Tisch, ich nahm mir den freien Stuhl. Joghurt, Milch und verschiedene, mir unbekannte Müslisorten standen auf dem Tisch.

      „Trinkst Du Tee oder Kaffee?“ fragte mich Barbara. „Ein Kaffee wäre perfekt“, antwortete ich. Stephanie griff schneller als ihre Mutter zur Kanne und schenkte mir ein.

      „So, der Obstsalat ist auch fertig. Nimm Dir, Sophie. In Blenheim sind wir verwöhnt, was Obst angeht. Hier gibt es dutzende Obstplantagen. Wir exportieren auch ins Ausland, aber wenn es direkt vom Baum kommt, dann schmeckt es am besten.“

      Ich nahm Joghurt, Müsli und dekorierte das Ganze mit Obstsalat.

      „Funktioniert der Internetzugang, Sophie?“, fragte Volker.

      „Ja, danke.“

      „Fühl Dich wie zu Hause, bitte. Genieß die Zeit bei uns. Stephanie wird Dich ihren Freunden vorstellen. Du wirst schnell Anschluss finden.“

      „Es gibt hier so viele tolle Dinge, die man in der Natur unternehmen kann, die Du in Frankfurt sicher nicht häufig machen konntest. Du wirst eine schöne Zeit haben“, ermunterte mich Barbara. War mir die Angst so leicht anzusehen oder war das alles nur selbstverständlich, wenn man in ein ganz neues Land reiste?

      „Wir können in den Ferien eine Reise auf die Nordinsel machen“, schwärmte Stephanie verzückt.

      „Ihr könntet ein paar Leute mitnehmen. Das wäre mir lieber, als wenn Ihr alleine reist.“

      „Klar Mutter!“ Stephanie rollte mit den Augen und stupste mich an. „Mit ein paar Jungs ist es sowieso spannender“, flüsterte sie in meine Richtung. Stephanie kannte bestimmt viele Jungs. Mit ihrem hübschen Gesicht, den blauen Augen und der rotblonden Mähne kam sie sicher bei allen gut an. In Frankfurt kannte ich auch einige Jungs, aber der Richtige war noch nicht unter ihnen gewesen. Ob Stephanie einen festen Freund hatte? Die Frage merkte ich mir für später, wenn wir beide unter vier Augen waren. Stattdessen fragte ich Volker, wie lange sie schon in Neuseeland lebten.

      „Barbara und ich sind in den achtziger Jahren hergekommen. Wir waren noch jung und abenteuerlustig. Mein Vater war Weinbauer und ich hatte alles bei ihm über den Weinbau gelernt. Mein älterer Bruder sollte das Weingut übernehmen. Für uns zwei hätte es nicht genügend abgeworfen. Zufällig habe ich in der Zeitung gelesen, dass in Neuseeland auch Wein angebaut wird, aber kein Riesling. Ab da habe ich nur noch von Neuseeland geträumt und von einem eigenen Riesling-Weingut. Als ich Barbara kennengelernt habe und sie die Idee auch gut fand, wanderten wir aus. Mein Vater gab uns ein Startkapital, wir nahmen zusätzlich Kredite auf, mit dem wir ein kleines Gut hier kaufen konnten. Den Riesling nahmen wir aus Deutschland mit. Er gedeiht hier gut und der Wein ist fantastisch. Nach und nach haben wir Land hinzugekauft und dann dieses Haus. Wir exportieren den Wein auch nach Deutschland. Deswegen kennen Dein Vater und ich uns.“

      „Mit fällt gerade auf, dass ihr alle so gut Deutsch sprecht. Fast akzentfrei. Gerade Du, Stephanie. Du bist ja schon hier geboren“, sagte ich verdutzt.

      „Das deutsche Fernsehen hält uns fit und einige Freunde, die ebenfalls aus Deutschland ausgewandert sind“, erklärte Barbara.

      „Ich bin öfter in Deutschland. Bei meinen Großeltern. In der Schule lerne ich auch Deutsch“, fügte Stephanie hinzu.

      Als wir mit dem Frühstück fertig waren, stand Barbara auf und fing an aufzuräumen. Ich reichte ihr einige Sachen.

      „So, lass uns mal zum Weingut hinüberschauen“, bat Barbara Volker.

      „Ruf deine Eltern an, Sophie. Sie machen sich bestimmt Sorgen. Das Telefon ist im Wohnzimmer. Und dann schlaf Dich etwas aus. Lass sie bitte schlafen, Stephanie. Egal wie aufregend es für Dich sein sollte, mit ihr zu sprechen.“

      „Ja, Mutter. Ich werde mich zurückhalten“, rief Stephanie unzufrieden.

      „Morgen gehen wir dann für die Schule einkaufen. Du wirst Unterlagen brauchen und vor allem eine Uniform“, stellte Barbara fest.

      „Eine Uniform?“, fragte ich ungläubig.

      „Uniform. Wie in England. Wir haben hier auch Sportclubs. Du musst dich für einen Club entscheiden. Und wir haben in der Schule „Häuser“, in die wir eingeteilt werden. Das ist wie bei Harry Potter“, referierte Stephanie in ihrem Spitzentempo und ihrer wild gestikulierenden Art.

      „Worauf habe ich mich da eingelassen! Hoffentlich gibt es keine bösen Zauberer oder sonstigen Spuk“, lächelte ich.

      „Zauberer gibt es zwar nicht, aber einige seltsame Leute, vor denen Du Dich in Acht nehmen solltest.“ Barbara schaute mich ernst an. Das war wohl die Pass-auf-Dich auf-Ansage.

      „Klar, ich passe auf mich auf“, erwiderte ich automatisch. Aber vielleicht war doch mehr dahinter, als das? Da war wieder das mulmige Gefühl in meinem Magen. Aber ich war zu müde, um mir Gedanken darüber zu machen.

      „Danke für das tolle Frühstück. Ich gehe jetzt duschen und dann schlafen, sonst breche ich vor Müdigkeit zusammen“.

      „Schlaf gut, Liebes“, sagte Barbara.

      „Wenn Du aufwachst, zeige ich Dir mein Zimmer und wir hören Musik“, sprudelte es aus Stephanie heraus.

      4

      Die Dusche tat unheimlich gut. Wenn man davon absieht, dass ich viel Kraft aufbringen musste, um meine müdigkeitsbedingten Gleichgewichtsstörungen auszugleichen. Sobald ich im Bett lag, fiel ich in einen schweren unruhigen Schlaf. Mein Gehirn hetzte von einem Traum in den nächsten. Ein besonderer Traum blieb mir in Erinnerung. Ich stand auf einem Eisfeld und hatte Schlittschuhe an den Füßen. Die Eisoberfläche war rau, von Dreck grau gefärbt und mit Zweigen übersät. Da die Menschen um mich herum trotzdem fahren konnten, fing ich mit zaghaften Bewegungen an, es ihnen gleich zu tun. Überraschenderweise glitten meine Kufen leicht dahin, als sei das Eis frisch präpariert. Ich wusste, ich war nicht alleine, aber ich konnte keine Menschen erkennen, die zu mir gehörten. Ich fuhr alleine vor mich hin und es machte mir zunehmend Spaß. So plötzlich wie ich hier aufgetaucht war, verließ ich das Eis wieder und lief auf einem einsamen Weg entlang. Neben mir lag ein Abhang, der in ein tiefes Tal stürzte. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein Berghang zu sehen. Der Mond befreite sich aus der Umklammerung einer Wolke und brachte mit seinem Schein den Berg zum Glühen. Es war geheimnisvoll und überirdisch schön wie er smaragdgrün leuchtete. Eine Tanne neben mir strahlte ebenso und nun sah ich warum. Sie war mit dickem, nassem und zu Eis gefrorenem Moos umrankt. Der Berg vor mir war also ein einziger grüner Eisklotz. Diese Erkenntnis, die das Geheimnis lüftete, verdarb mir die Freude über das Phänomen nicht. Es war wunderschön anzusehen. Leider wachte ich dann auf und sah das düstere fremde Zimmer, in dem ich lag. Die Jalousien schlossen jedes Licht aus dem Raum aus. Ich konnte nicht sagen, wie spät es war. Nachdem ich eine Weile herumgedöst und an den Smaragdberg gedacht hatte, entschied ich mich aufzustehen und mich frisch zu machen. Draußen war es dunkel, als ich die Jalousien öffnete. Es musste bereits Abend sein. Ich ging in die Küche. Barbara war mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigt. Es roch nach Fleisch, das scharf angebraten wurde.

      „Ach Sophie, du bist ja doch wach. Wir wussten nicht, ob wir dich durchschlafen lassen oder wecken sollten“, sagte Barbara. „Es gibt Rinderfilet mit Kartoffelgratin. Du isst doch Fleisch, oder?“, fügte sie erschrocken hinzu.

      „Ja, sehr gerne sogar“, erwiderte ich. Das Essen war köstlich. Stephanie redete ununterbrochen und lud mich anschließend in ihr Zimmer ein. Ich war zwar immer noch etwas benebelt vom langen Flug, aber ich freute mich, dass ich nicht alleine sein musste in meinem neuen Zimmer, obwohl ich als Einzelkind das Alleinsein gewohnt war.

      Stephanies Zimmer war größer als meins. Sie hatte nicht nur ein überdimensioniertes Bett darin stehen sondern auch eine braune Ledercouch. Eine Wand war brombeerfarbig tapeziert. Das