Claudia A. Wieland

Für immer Rosa


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ganz viele Freundinnen gefunden! Ja welche denn? Hier will doch niemand mit dir spielen, du unschuldiges Engelsgesicht. Willst doch nur was Besseres sein!«

      Die Kleine hat jetzt ihre Ärmchen ganz fest um ihre Knie geschlungen und blickt verängstigt in die Runde der anderen Mädchen, die bestätigend nicken und miteinander tuscheln.

      Die Anführerin schaut verächtlich auf die Neue, die hier bestimmt nicht willkommen ist. Seit geschlagenen drei Monaten weigert sie sich doch tatsächlich, sich den Spielregeln der Mädchen zu unterwerfen. Lieber kritzelt sie abseits von den anderen immerzu irgendwas in ihre Hefte.

      »Ständig denkst du dir Geschichten aus, die gar nicht stimmen. Ich habe alles gelesen, was du da in deiner blöden Kiste unter dem Bett aufbewahrst. Über die Meerjungfrau, die bei Sonnenuntergang brave kleine Mädchen in ihr Reich mitnimmt und mit goldenen Muscheln beschenkt. Und über den Prinzen, der angeblich kommt und dich holt. Ha, ha, dass ich nicht lache! Womöglich ein Prinz aus … aus … na eben da, wo sie den ganzen Tag Tee trinken. Das hättest du wohl gerne, Mademoiselle Aschenputtel! Wo sind denn deine gläsernen Pantöffelchen? Ach ja, die hast du ja gegen doofe Schafswollsocken eingetauscht. Und deine Mutter soll die beste Mutter auf der Welt sein? Wo ist sie denn? Nie kommt sie dich besuchen.«

      »Sie ist Konzertpianistin und reist durch die ganze Welt«, flüstert die Kleine trotzig. »Ich bin nur für ein paar Monate hier. Nach der Tournee kommt Maman, um mich abzuholen.«

      »Du Lügnerin!« Die Anführerin packt die Kleine am Arm und zerrt sie aus dem Bett. »Lügnerinnen gehören bestraft!«

      Die Mädchen drängeln und schubsen die Kleine in Richtung Waschraum und hinein in einen der nach vorne hin offenen Duschplätze, die durch blanke Mauern voneinander getrennt sind. Die Anführerin dreht den Kaltwasserhahn auf, mit weit ausgestrecktem Arm, um sich ja nicht den Schlafanzug nass zu machen. Dann schubst sie das Opfer unter den harten Strahl, der mit unbarmherziger Kälte auf den Kopf der Kleinen prasselt. Die seidigen Haare und das zarte Nachthemd sind auf der Stelle durchnässt und hängen kraftlos herunter. Nur die groben Wollsocken saugen das Wasser gierig auf.

      Die anderen Mädchen kreischen vor unverhohlenem Entzücken und klatschen in die Hände.

      Die Kleine rührt sich nicht. Die Augen krampfhaft geschlossen, die Arme starr an den aufrechten Körper gepresst, mit angehaltenem Atem, steht sie da, vollkommen regungslos, wie in Trance.

      Bald haben die Mädchen genug, weil sich ihr Opfer nicht wehrt. Es wird ihnen langweilig. Auch kommt gleich die Kontrolle des Schlafsaals. Da müssen die Lichter ausgeschaltet sein! Und es muss absolute Ruhe herrschen! Vorsorglich dreht die Anführerin das plätschernde Wasser wieder ab, bevor sich die immer noch lärmende Rotte abwendet. Die Mädchen putzen sich die Zähne, löschen dann das Licht und verlassen den Waschraum, ohne die Kleine auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen

      Erst jetzt sinkt sie in sich zusammen und drückt sich in eine Ecke. Sie bebt am ganzen Körper vor Kälte und Schutzlosigkeit. Lange hockt sie so da und horcht auf jeden Laut in der Dunkelheit. Als alles still geworden ist, rappelt sie sich endlich auf und schleicht in den Schlafsaal, um sich zu ihrem Bett vorzutasten und unter die Bettdecke zu kriechen. Ihr nasses Nachthemd klebt an ihrem Körper und die Socken zerkratzen ihre Zehen, aber es ist zu dunkel, um die Schuluniform, geschweige denn andere Anziehsachen zu finden. Und nackt zu schlafen ist strengstens verboten.

      Die regelmäßigen Atemzüge aus den anderen Betten zeigen der Kleinen an, dass ihre Widersacher im Moment tief und fest schlafen. Es braucht lange, bis sie sich in den Schlaf gezittert hat. Ganz leise, um bloß niemanden zu wecken.

      XXX

      »Sehr verehrte Frau Direktorin, wie stellen Sie sich das vor? Ich kann doch jetzt nicht kommen. Ausgeschlossen. Meine Frau ist unpässlich. Sie ist nervlich sehr angeschlagen. Da darf und kann ich sie nicht alleine lassen. Außerdem habe ich dringende geschäftliche Termine, die es mir ebenfalls nicht erlauben, mich von hier zu entfernen. Hat sie eigentlich die wunderbaren Wollsocken bekommen, die ihr meine Frau geschickt hat? Wahrscheinlich ist sie mal wieder barfuss durch die Gegend gelaufen und hat sich deshalb erkältet. Nichts als Sorgen hat man mit diesem Mädchen.«

      »Aber Monsieur, ihre Tochter ist wirklich krank. Sie hat eine schwere Bronchitis, die sie sich wer weiß wo zugezogen hat und die sich zu einer Lungenentzündung ausweiten könnte, wenn sie sich nicht in Acht nimmt. Der Arzt hat ihr strengste Bettruhe verschrieben. Nur können wir deren Einhaltung natürlich nicht Tag und Nacht kontrollieren. Da müssten wir ja eine persönliche Aufpasserin engagieren.«

      »Tun Sie einfach alles, was in Ihrer Macht steht! Schließlich bezahle ich genug für Elisabeths Versorgung. Nicht zu vergessen meine regelmäßigen und, ich möchte sagen, großzügigen Spenden.«

      »Also gut, Monsieur. Wie Sie meinen. Aber da wäre noch etwas. Ähm… Wo ich schon mal die Gelegenheit habe, mit Ihnen persönlich zu telefonieren. Ähm… Darf Ihre Tochter private Klavierstunden nehmen? Sie hat sich nämlich neuerdings in den Kopf gesetzt, Pianistin zu werden. Die Stunden müssen natürlich extra bezahlt werden.«

      »Was für ein Unsinn ist das denn jetzt schon wieder? Erst Schriftstellerin, dann Pianistin! Was denken Sie, warum wir sie auf dieses teure Mädcheninternat schicken? Sie soll etwas Vernünftiges lernen, damit sie später mal auf eigenen Beinen stehen kann. Hast du das gehört, Liebling? Elisabeth will jetzt Pianistin werden und deshalb Klavierstunden nehmen. Was sagst du dazu? … Natürlich, du hast ganz Recht! Unnützer Zeitvertreib ist das. Als wenn ich nicht schon genug bezahlen würde. Kommt überhaupt nicht in Frage. Meine Frau ist da ganz meiner Ansicht. Haben Sie das verstanden, Frau Direktorin?«

      »Natürlich, Monsieur. Und was darf ich ihr ausrichten? Wann werden Sie sie besuchen kommen?«

      »Wenn es meine Zeit erlaubt. Im Übrigen muss ich dieses Gespräch nun beenden. Ich muss meiner Frau jetzt dringend beistehen, denn unser Gärtner hat gekündigt.«

      XXX

      Einige Wochen später. Unsere Kleine sitzt auf einem von der Sonne beschienenen Felsen am Strand, abseits von den im seichten Wasser herumtobenden, lärmenden Mädchen, und schreibt in ihr Heft. Das unvollendete Post Scriptum des letzten Eintrags hat sie ganz energisch durchgestrichen.

       Liebste Maman,

       ich komme erst jetzt wieder dazu, Dir zu schreiben. Du weißt sicherlich, dass ich krank war. Aber es war nicht so schlimm! Ich habe viel geschlafen und, wenn ich durfte, gelesen. Und ich habe geschrieben. Aber nur ganz heimlich. Hier sagen nämlich alle, dass Geschichten ausdenken wie Lügen ist. Du weißt, dass das nicht stimmt! Schreiben ist ein bisschen wie Klavierspielen. Glaube ich jedenfalls. Ich setze einen Buchstaben hinter den anderen, ein Wort hinter das andere, wie Töne in einem Klavierstück, und plötzlich ist da um mich herum eine ganz andere, eine richtig schöne Welt, die mich zum Lachen bringt. Ich bin so froh, wenn ich schreibe. Dann fühle ich mich wie ein Vögelchen, wenn jemand vergessen hat, die Tür vom Käfig zuzumachen. Es kann dann nämlich immer wegfliegen, wenn es Lust dazu hat. Und wiederkommen, wenn es das will.

       Vielleicht bekomme ich ja auch bald richtige Klavierstunden. Das wäre ganz, ganz toll. Ich hoffe, dass die Frau Direktorin Papa um Erlaubnis gefragt hat.

       Ich weiß, dass es nicht richtig ist, Dich anzuschwindeln. Das mit den vielen Freundinnen stimmt nämlich nicht. Ich habe noch keine. Aber das macht nichts. Glaube mir, ich schaffe das schon. Du musst mir nur ein bisschen vertrauen.

       Ich umarme Dich. Deine Zabou.

       P.S.: Habe ich Dir schon gesagt, dass mir Papas neue Frau warme Socken geschenkt hat? Ich glaube, sie mag mich doch, obwohl ich einfach so ins Internat gegangen bin und sie mit der ganzen Arbeit zuhause im Stich gelassen habe.

       Noch ein P.S.: Leider konnte ich Dich immer noch nicht besuchen, aber ich frage die Direktorin, wann ich kommen kann.

      XXX

      »Guten Tag, Frau Direktorin. Darf ich hereinkommen?« Die Kleine lugt vorsichtig durch den Türspalt.

      »Tritt