Franziska C. Dahmen

Taubenjahre


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weiter so trödele, komme ich nie an!«

      Rafael schnalzte laut mit der Zunge und lenkte seinen Rappen in Richtung Viehmarkt.

      Je näher er kam, desto lauter wurden die Geräusche. Gänse schnatterten, Schafe blökten und Schweine grunzten. Und wie es aussah, waren auch schon die ersten Tiere verkauft worden. Von weitem hörte Rafael die neuen Besitzer Rufen und Schreien, während ihr neu erworbenes Vieh lauthals gegen seinen Abtransport protestierte. Ein Pferd wehrte sich derart vehement mit Püffen und Bissen gegen die unsanfte Untersuchung seines Gebisses, sodass sein potentieller Käufer laut fluchend von einer weiteren Betrachtung absah und trotz etlicher Beschwichtigungsversuche seitens des Händlers lieber das Weite suchte. Zum Ausgleich dazu wurden sich ein paar Meter weiter Verkäufer und Käufer über den Preis zweier Mastferkel einig. Beide spuckten gezielt in die eigene Hand und besiegelten den Handel lauthals mit einem Handschlag.

      Ja, es war Viehmarkt, und Rafael genoss es.

      »Rafael!«, hörte er plötzlich eine helle Knabenstimme rufen. Es war sein kleiner Bruder Kore, der sich durch die lauthals schimpfende Menge wand und aufgeregt auf ihn zugerannt kam. »Wir sind hier. Papa hat schon vor ner Stunde deinen Schimmel verkauft.«

      Rafael winkte ihm lächelnd zu und lenkte seinen Wagen auf einen etwas abseits stehenden Platz, wo sich zwei weitere Wagen befanden.

      »Warum hat das so lange gedauert?«, fragte Kore, der mittlerweile zu ihm auf den Bock geklettert war, um sich die letzten paar Meter bis zum Stellplatz fahren zu lassen. »Wir haben dich schon gestern Abend erwartet. Dahinten im Bach gibt es Forellen. Ich habe zwei gefangen. Die eine war soooo groß.« Kore breitete die Arme weit auseinander und strahlte ihn mit seinen nussbraunen Augen an.

      »Muss ja 'nen mächtiger Kampf gewesen sein!«

      »Wenn du mir nicht glauben willst, kannst du ja Popo fragen!«, gab er frech zurück und sprang im nächsten Augenblick vom Bock herunter. »Bis später Raf!«, dabei hob er lässig die Hand zum Gruß. »Hab 'nen Friesen entdeckt, den ich mir genauer anschauen muss.« Und schon war er im dichten Gedränge der Menge verschwunden.

      Nachdem Rafael Kosak ausgespannt und mit Futter versorgt hatte, steuerte er den Markt an. Mit etwas Glück würde er heute ein paar Pferde finden, die er im Herbst wieder mit Gewinn verkaufen konnte.

      Interessiert warf er einer kleinen, braunen Stute einen Blick zu. Unscheinbar stand sie neben einem schwarzen Hengst, der bei einigen Gadje Aufsehen erregte.

      Dass bisher niemand bemerkt hat, dass der Händler seine Blässe mit schwarzer Schuhwichse eingefärbt hat, grenzt an ein Wunder!, staunte Rafael. Dabei war das nun wirklich nicht zu übersehen! Und die stumpfe Stelle dort auf der Kuppe verriet eindeutig, dass das Tier zuvor mit Bier abgerieben worden sein musste. Wie sonst hätte es in der Sonne so glänzen können? Also wirklich, wie dumm die Gadje doch waren?! Kopfschüttelnd wandte er sich ab und machte sich auf den Weg in Richtung Innenstadt.

      Im Gegensatz zum lautstarken Treiben auf dem Viehmarkt herrschte auf dem Jahrmarkt kaum Betrieb. Die Händler warteten darauf, dass die ersten Kirchgänger endlich die Messe verließen, nutzten aber gleichzeitig die ihnen verbliebene Zeit, um ihre Waren noch ein letztes Mal umzustellen. So drapierte der eine ein Stück Stoff neu, während ein anderer in aller Ruhe die letzten frisch gebrannten Mandeln in eine rot-weiß-gestreifte Tüte füllte.

      Amüsiert beobachtete Rafael das gemächliche Treiben und schlenderte von einem Stand zum nächsten. Alles, was das menschliche Herz begehren konnte, war vorhanden: Stoffe, Seifen, Keramik, die ganze Palette der Handwerkskunst. Und auch für das leibliche Wohl war gesorgt. Der Duft von frisch gebackenem Brot vereinte sich mit dem von geräuchertem Speck und über offenen Feuerstellen brutzelndem Fleisch. Überall, wo man nur hinschaute, bogen sich die Stände unter der Last der Backwaren, Süßigkeiten und Fleischwaren. Einmach- und Marmeladengläser, in denen die Obstfülle des vorangegangenen Jahres eingefangen war, stapelten sich zu gefährlichen Höhen, während die dunkelrot und golden schimmernden Likörflaschen von den Sonnenstrahlen zum Funkeln gebracht wurden.

      Gerade als er an einem Würstchenstand vorbeiging, fing sein Magen an, laut und vernehmlich zu knurren.

      »Ei, a hübsch Zigeuner …Auf Freiersfüßen, was? Wenn's Geld hast, kannst eins haben. Is a gute Stärkung …«, rief ihm eine helle Frauenstimme zu, nicht ohne ihm ein zweideutiges Lächeln hinterherzuschicken.

      Rafael drehte sich nicht um. Er konnte Gadjeweiber nicht ausstehen, die meinten, dass jeder Zigeuner ein geiler Bock sei. »Und wenn ich verhungere, die kann sich ihre Würste sonst wohin stecken.«, brummte er missmutig vor sich hin.

      Seine Stimmung änderte sich erst, als sein Blick auf einen gegenüberliegenden Stand fiel, dessen Tische sich unter der Last frischer Semmeln und Teilchen bogen.

      Demonstrativ lenkte er seine Schritte dorthin und erstand mit laut klingender Münze zwei Milchsemmeln, was von der aller Illusionen beraubten Marktfrau mit einem verächtlichen Schnauben und einem: »Wohl was Besseres der Herr Zigeuner …«, kommentiert wurde.

      Jetzt erst recht!, dachte Rafael, und steuerte gezielt einen weiteren Stand an, an dem sich sein Besitzer auf luftgetrocknete Schinken und Jagdwurst spezialisiert hatte.

      Bestens ausgerüstet mit Fleisch in der einen und zwei Milchsemmeln in der anderen Hand, kehrte er zurück und schlenderte erneut an ihrem Stand vorbei, um zum nonverbalen Gegenschlag auszuholen, indem er direkt vor ihrer enttäuschten Nase genüsslich in seine Jagdwurst hinein biss.

      Die um ihren merkantilen Erfolg gebrachte Budenbesitzerin ließ einen kleinen empörten Aufschrei hören, ehe sie zum vernichtenden Schlag ausholte und ihm ein: »Dreckiger Hundsfot! Hast eh das Geld geklaut. Dei Sippschaft kann das gut!«, hinterher schoss .

      Schon wollte Rafael das Ganze mit einem: »Und du hast das über-den-Tisch-ziehen mit der Muttermilch aufgesogen …«, parieren, als sich mit einem weit über den Markt schallendem AMEN die Kirchentore weit öffneten, sodass die ersten ungeduldigen Kirchgänger die Messe verlassen konnten, um sich in den Niederungen des irdischen Lebens zu verlustieren.

      Amüsiert beobachtete Rafael, wie der gläubige Rest um einen Schlussakkord verzögert, das Tor zur Freiheit durchschritt, was die am Fuß der Kirche stehenden Händler endgültig aus ihrer Lethargie holte und in rege Betriebsamkeit versetzte.

      »Bänder, seidene Bänder und Spitzen«, konkurrierten mit einem Mal lautstark mit: »Würstchen«, »Essigmuttern«, »Spinatsamen« und »Besen« um die Wette. Doch ein Teil der so Beworbenen hatte anderes im Sinn. Statt in das Jahrmarkttreiben einzutauchen, strebte ein Großteil der Männer, die doch den Weg in die Kirche gefunden hatten, strammen Schrittes dem sonntäglichen Frühschoppen entgegen. Himmlisches Manna wollte trotz missmutig hinterher geworfener Blicke von Seiten der so verlassenen Ehefrauen gegen irdisch gebrautes Bier oder gar hochprozentigen Schnaps eingetauscht werden.

      Rafael musste unwillkürlich laut Auflachen, als er sah, wie selbst der Pfarrer, der mittlerweile seinen Talar gegen eine einfache, schwarze Soutane ausgetauscht hatte, geschickt einigen geschwätzeshungrigen Witwen auswich und treppab Richtung Grüner Bock eilte. Schon wollte er sich diesem irdischen Vertreter einer himmlischen Instanz anschließen, als er aus den Augenwinkeln ein junges Mädchen bemerkte, das auf das Markttreiben herabschaute. Ihr zu einem Kranz geflochtenes, weizenblondes Haar leuchtete golden im Sonnenschein und verlieh ihr einen unfreiwilligen Heiligenstatus, der allerdings durch die Lebensfreude, die sie ausstrahlte, zerstört wurde.

      Wie alt sie wohl sein mochte, fragte Rafael sich. Achtzehn? Neunzehn? Älter auf keinen Fall!

      Plötzlich wurde das Mädchen von einer alten Matrone fest am Arm gepackt. Beide wechselten kurz ein paar Worte miteinander. Die Mine des Mädchens verdunkelte sich dabei zusehends, während die alte Matrone zeitgleich ein paar grimmige Blicke auf das Marktgetümmel herabschoß.

      Aha, dachte Rafael, da wo Licht ist, ist auch Schatten; und was für ein Schatten! Wer mit einer derart grimmigen Miene herumläuft, darf sich nicht wundern, wenn ihm die Milch vor Schreck sauer wird. Schade! Das war es dann wohl.

      Mit einem letzten