fasste er sich dann mit der linken Hand ans linke Ohr und rieb scheinbar in Gedanken an seiner Ohrmuschel.
Die beiden Mädchen blieben stehen.
Der Griff zum Ohr war das verabredete Zeichen dafür, dass er etwas wichtiges gehört hatte. Mit der anderen Hand kratzte er sich danach am Hinterkopf. Das war die Handbewegung für „ich muss nachdenken“. Die beiden Mädchen sahen sich erstaunt an. Offenkundig wollte Thorsten ihnen etwas Wichtiges mitteilen. Sie begriffen nur nicht, warum er ihnen das per Zeichensprache zu verstehen gab, anstatt direkt mit ihnen zu reden. Nachdenklich rieb sich Snotra mit der Hand über die Stirn. Das bedeutete „ich verstehe nicht, was los ist.“
Sofort hielt sich Thorsten kurz die Hand über den Mund. Das war nicht eindeutig. Es konnte bedeuten, „ich kann nicht reden“ oder „ihr müsst den Mund halten“.
Erneut rieb sich Snotra mit der Hand über die Stirn. Thorsten antwortete, indem er sich erst mit der linken und dann mit der rechten Hand über den Mund strich.
„Wieso sollen wir still sein,“ fragte Kirsten an Snotra gewandt.
In diesem Augenblick trat eine hellblonde Frau vor das Gasthaus und zündete sich eine Zigarette an. Sie schien nervös zu sein. Jedenfalls ging sie mit kurzen, schnellen Schritten auf und ab, während sie an der Zigarette zog.
„I schau mal, wie eklig, bestimmt stinkt die nachher wie ein ganzer Aschenbecher.“
Kirsten konnte Raucher nicht ausstehen und nutzte deshalb jede sich bietende Gelegenheit, um sich über sie aufzuregen. Fast hätte sie dabei die Handbewegung übersehen, mit der Thorsten versuchte sie zu warnen. Erst als sich der Junge seine Jacke wie eine Kapuze über den Kopf zog, wurde Kirsten wieder auf ihn aufmerksam.
„Was soll das jetzt?“ fragte sie überrascht.
„Das soll wohl bedeuten, dass die Blonde da hinten den Kapuzenmann kennt,“ gab ihr Snotra zu verstehen, die auch die vorherige Handbewegung des Jungen aufmerksam wahrgenommen hatte: Zwei ineinander verschränkte Hände bedeuteten „Freundschaft“. Zusammengesetzt konnte das nur bedeuten, die Blonde und der Kapuzenmann sind befreundet.
„Deshalb sollen wir im Gasthaus die Klappe halten. Sonst könnte die Dame merken, dass wir hinter dem Kapuzenmenschen her sind und ihn warnen,“ erklärte Snotra, doch das hatte Kirsten inzwischen auch schon selbst begriffen.
„Sag’ mal, ich denke du hast es so eilig, in die Kneipe zu kommen. Könntest du dich jetzt vielleicht endlich mal loseisen?“
Es war die Stimme von Snotras Vater, die ihr die Entscheidung darüber abnahm, was sie jetzt am besten tun sollte.
„Du siehst, ich muss,“ raunte sie Kirsten noch kurz zu, „wir reden auf der Rückfahrt. Ansonsten treffen wir uns um acht in der Hütte, ok?“
„Ok,“ bestätigte Kirsten und suchte anschließend ebenfalls nach ihren Eltern, während Snotra mit ihrem Vater und ihrer Mutter in das Gasthaus ging. Kaum hatte die dort ihre Jacke ausgezogen und sich an den Tisch gesetzt, als sie die nächste Überraschung erlebte.
„Was darf’ s denn sein für die junge Dame?“
Es war die blonde Raucherin, von der die Frage gestellt wurde. Sie arbeitete in dem Lokal als Bedienung. Als sie Snotra erblickte, zuckte sie ebenso überrascht zurück, wie das Mädchen.
Mehr aber ließen beide sich nicht anmerken. Nach dem Essen besichtigte das Mädchen gemeinsam mit ihren Eltern noch das kleine Museum, das im ehemaligen Bahnhofsgebäude untergebracht war, danach hieß es dann schon bald wieder „einsteigen und die Türen schließen.“
Die Rückfahrt von Stemmen über Neddenaverbergen, Armsen, Luttum und Eitze nach Verden verlief im Vergleich zur Hinfahrt wie im Fluge, obwohl alle Kinder von den vorausgegangnen Anspannungen und dem Mittagessen ermüdet waren und die ganze Zeit mehr oder weniger interessiert auf die Landschaft blickten, die gemächlich an den Fenstern des gemütlich fahrenden kleinen Zuges vorbeizog.
Alle Kinder, mit Ausnahme von Thorsten. Er war der Einzige, der miterlebt hatte, was sich in dem Gasthaus zwischen der blonden Kellnerin, dem Mann mit der Halbglatze und dem Kapuzenmann abgespielt hatte. Er brannte darauf, diese Neuigkeiten seinen Kameraden zu erzählen, aber er spürte, dass es besser war, damit zu warten, bis sich alle am Abend in der Hütte treffen würden. Zum Glück hatte Thorsten das Notebook dabei, das er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte, nachdem der sich ein neues Gerät gekauft hatte. Damit war für Ablenkung gesorgt.
Der kleine Computer – ein hellgrünes Gerät der Marke Siemens-Nixdorf - war zwar bereits einige Jahre alt und hatte einen vergleichsweise langsamen Prozessor, der noch nicht einmal einen energiefressenden Lüfter benötigte, eine vergleichsweise kleine, aber immerhin 10 Gbyte umfassende, nachträglich eingebaute Festplatte, noch keinen DVD-Brenner, dafür aber verschiedene Extras, wie ein Diskettenlaufwerk, eine USB-, aber auch je eine serielle und parallele Schnittstelle, so dass auch ältere Scanner und Drucker angeschlossen werden konnten und vor allem zwei Akkuschächte. Diese erlaubten es dem Jungen, das Gerät mehrere Stunden zu benutzen, ohne eine Steckdose zu benötigen. Dazu hatte ihm sein Vater eine Wlan Karte und ein GSM-Modul geschenkt. Damit konnte er sogar von unterwegs ins Internet. Da die Kosten hierfür ziemlich üppig waren und diese ihm gnadenlos vom Taschengeld abgezogen wurden, sobald er mehr als fünf Euro pro Monat verbrauchte, hatte der 12 Jährige in der Regel sehr darauf aufgepasst, dass er diesen Betrag nicht überschritt. Angesichts dessen, was er in dem Gasthaus erlebt hatte, entschloss er sich, diese Zurückhaltung heute ausnahmsweise einmal über Bord zu werfen. Sorgfältig achtete er aber beim Auspacken des Gerätes darauf, nirgends anzustoßen. Da kein Tisch zur Verfügung stand, nahm er den Computer auf die Knie, während der hochfuhr. Über die alte MSN Nummer stellte er sodann eine DFÜ-Verbindung zum Internet her, gab den Suchbegriff „blaue Kugel“ ein und staunte nicht schlecht über das, was er da zu lesen bekam. Gleich auf der zweiten Position wies die Suchmaschine einen Bericht aus, in dem es um irgendwelche blauen Lichtkugeln ging, deren Geheimnis von den Photographen der Lichtbilder bisher nicht gelüftet worden waren. Anschließend versuchte es Thorsten, indem er beide Begriffe als Bild aufrief. Was er hier erlebte, trug noch stärker zu seiner Verblüffung bei.
Eine kleine rote Lampe begann auf seinem Monitor aufzuleuchten. Erst schwach flackernd, dann immer intensiver, schließlich grell blinkend.
Das war das Zeichen, dass er gleich sein Guthaben überschreiten würde. Er hatte ohnehin genug gesehen, trennte die Verbindung und lehnte sich zurück.
Er musste jetzt erst einmal überlegen. Wenn das, was er bisher über die merkwürdige Kugel gehört hatte und das, was er eben gesehen hatte, zusammengehören sollte, dann war klar, dass die Freunde ein Problem hatten. Immerhin schien die blaue Kugel so etwas wie „magische Kräfte“ zu haben. Was das konkret bedeuten mochte, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
5. Kapitel
Von dieser Entwicklung hatten weder Snotra noch Kirsten und auch Hendrik nichts mitbekommen, da sie von ihren Eltern mit Beschlag belegt worden waren. Als sich die Fünf am gleichen Abend in der Hütte trafen, waren sie deshalb sehr gespannt darauf zu erfahren, was Thorsten in dem Gasthaus herausgefunden hatte. Hier klärte sich auch das Fehlen Alfreds auf der Reise auf.
Er hatte die Bahn verpasst, da er tatsächlich, wie angekündigt, erst um Halbzwölf am Bahnsteig gewesen war. Doch da war der Zug bereits abgefahren gewesen. Für diese Panne hatte er sich von Hendrik auf dem Weg zur Hütte einige höhnische Bemerkungen anhören müssen, doch das spielte jetzt bereits nur noch eine untergeordnete Rolle. Schließlich waren alle viel zu sehr gespannt darauf, zu erfahren, was sich in dem Gasthaus abgespielt hatte.
Als Thorsten jetzt statt dessen mit der Geschichte von der Zauberkugel aus dem Internet anfing, glaubten alle erst einmal, dass er ihnen einen Bären aufbinden wollte. Zumal er sich unter Hinweis auf sein aufgebrauchtes Onlineguthaben strikt weigerte, mit seinem Rechner nochmals ins Internet zu gehen.
Es brauchte daher mehrere Minuten, bis Kirsten es fertig brachte, ihre drei Kameraden