Heike Möller

Weltenwanderer-Chroniken I


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nur so hatte er eine Chance, diese Person ein wenig zu öffnen.

      „Ich habe selten bei einer Beerdigung so viele falsche Tränen gesehen. Außerdem - ohne Ihrer Familie Nahe treten zu wollen, - einige könnten durchaus Vertreter im Gruselkabinett werden.“

      Sondra musste leicht grinsen. „Da haben Sie Recht. Was Empfindlichkeiten gegenüber meiner Familie anbelangt, da gibt es keine. Wenn man alle mit Haie vergleichen würde, täte man den Tieren Unrecht, denn diese sind in der Natur durchaus nützlich. Jetzt erzählen Sie mir bitte von den Ungereimtheiten, Herr Kriminalkommissar Laurenz.“

      „Wie alt war Ihr Vater?“

      Sondra überlegte kurz. „Sechsundfünfzig, warum?“

      „Der Gerichtsmediziner hat das physiologische Alter Ihres Vaters auf etwa fünfundsiebzig geschätzt, wie erklären Sie sich das?“

      „Ups! Wie wär’s mit: Sie haben ja vorhin einen Teil meiner ach so ehrbaren Familie kennen gelernt. Da wird man schnell ganz alt.“

      Innerlich musste Kommissar Laurenz schmunzeln. Mit einer schlagfertigen Antwort hatte er gerechnet. „Außerdem wurden alte verheilte Wunden festgestellt: Messer- oder Schwertstiche sowie Verletzungen durch Pfeile. Und ein paar Knochenbrüche. Ich nehme mal nicht an, dass Ihre Familie Ihren Vater als Zielscheibe für Bogenschießen benutzt hatte.“

      Sondra bemerkte sehr wohl den leichten Sarkasmus in der Stimme ihres Gegenüber. „Mein Vater war sehr oft im Ausland; Irland, Mittelmeerraum, Papua-Neuguinea und Südamerika. Möglicherweise hat er sich da die eine oder andere Verletzung zugezogen. Er war hart im Nehmen. Über ein paar Verletzungen weiß ich Bescheid, aber alles hat er mir auch nicht erzählt.“

      Andreas kräuselte die Lippen. „Gibt es ein Testament?“

      Sondra kräuselte ebenfalls die Lippen. „Natürlich. Und ich erbe fast alles. Der Rest der Familie kommt mit einem Taschengeld davon.“

      Andreas war erstaunt, dass Sondra ihm so freimütig davon erzählte.

      „Hören Sie, Kommissar. Ich habe meinen Vater wirklich geliebt. Er gab mir alles, was ich brauchte und mehr. An meinem einundzwanzigsten Geburtstag hatte ich Zugriff auf einen Fond in Höhe von einer Million Euro plus Zinsen, die sich angehäuft hatten, seitdem mein Vater dieses Geld an meinem fünften Geburtstag angelegt hatte. Ich hatte es also wirklich nicht nötig oder eilig, an das Vermögen meines Vaters ran zukommen. Ich studiere Archäologie, keltische Geschichte und alte Sprachen und fahre einen alten VW-Käfer. Meine Strafzettel habe ich bisher reumütig und pünktlich bezahlt und ich bin ansonsten noch nie straffällig geworden. Meine einzigen Laster sind jede Art von Büchern und das Sammeln von Dingen, die eventuell alt sein könnten. Aber auf legale Art und Weise. Mein Vater hatte mir durchaus den Wert von allem, was mich umgibt, dargelegt, und ich meine nicht nur den materiellen Wert.“

      Sondra hatte ihre lässige Haltung während ihrer Rede nicht aufgegeben, aber ihre Stimme wurde ein wenig fester.

      „Aha“, sagte Kommissar Laurenz leise. „Und der Rest Ihrer Familie?“

      „Die haben keine Ahnung, nicht mal im Ansatz, wie reich mein Vater war.“

      „Wodurch ist er so reich geworden? Ich meine, Bücher schreiben allein macht doch niemanden in Deutschland dermaßen reich, oder?“

      Sondra musste schmunzeln. „Das und das geschickte Anlegen des Geldes. Aber jetzt beantworten Sie mir bitte eine Frage.“

      Andreas nickte, während er den letzten Schluck aus seiner Tasse trank.

      „Da die Leiche meines Vaters freigegeben wurde und ich im Vorfeld nicht über irgendwelche Untersuchungen informiert worden bin: wieso sind Sie hier?“

      „Neugierde“, antwortete Andreas Laurenz ehrlich und blickte Sondra direkt in die grünen Augen. „Dieses Merkwürdigkeiten im Autopsiebericht, die Lebensgeschichte Ihres Vaters und nicht zuletzt seine Bücher haben mich einfach interessiert.“

      „Sie haben seine Bücher gelesen?“ Jetzt war Sondra wirklich erstaunt. Sie hätte nicht gedacht, dass ein junger, aufstrebender Polizist eine Fantasy-Leseratte war. Sie musste lächeln. „Ich kann Sie mir nur schwer mit einem Buch über Elfen vorstellen.“

      Andreas konnte es nicht verhindern, dass er ein wenig rot im Gesicht wurde. „Halten Sie mich jetzt bitte nicht für ein Stalker, Groupie oder sonst was. Der Tod Ihres Vaters ist vielleicht natürlich, aber sein Leben schien ein einziges Geheimnis.“

      Sondra goss ihrem Gegenüber noch mal Tee ein und lehnte sich zurück.

      „Was haben Sie mit dem Mehl im Arbeitszimmer Ihres Vaters gemacht?“

      Sondra zuckte kurz zusammen. „Ich habe mich schon gefragt, wann Sie endlich zu diesem Punkt gelangen.“

      Die beiden taxierten sich einen Moment, jeder versuchte den anderen einzuschätzen.

      >Gar nicht mal so übel<, dachte Sondra. >Der Typ sieht nicht nur gut aus, er ist auch noch clever. Aber ein Bulle stellt zu viele Fragen. Nachher findet er noch Dinge heraus, die ihn nichts angehen. Nein, Mädchen, sei bloß vorsichtig!<

      Sondra holte tief Luft. „Mein Vater hat, wie sie ja aus dem Autopsiebericht wissen, im Todeskrampf mit seiner Hand was auf dem Parkett im Arbeitszimmer gekratzt. Ich dachte, er wollte mir eine Nachricht hinterlassen und wendete ein Trick an, um verborgenes sichtbar zu machen. Ich hätte auch einen Bogen Pergament und etwas Kohle nehmen können, aber letzteres habe ich zurzeit nicht im Haus.“

      Andreas Laurenz hatte einen trockenen Mund, obwohl seine zweite Tasse fast leer war. Als er Sondra Wieland am Vormittag das erste Mal sah, auf dem Friedhof, wirkte sie zuerst zerbrechlich. Doch als er sah, dass Sie nach der Trauerfeier ging, ohne dem Rest der Familie und vor allem nicht dem Patriarch auch noch eines einzigen Wortes zu würdigen, wusste er, dass dieses Frau mit beiden Beinen fest im Leben stand. Dann die Szene an der Haustür mit ihrer Tante und den Cousins, das war unglaublich!

      Und nun der klare, analytische Verstand, gepaart mit einem Aussehen, das – gelinde gesagt – reizvoll war.

      Andreas musste sich räuspern. „Und, hat er Ihnen eine Nachricht hinterlassen?“ Ihm war bewusst, dass er Sondra mehrere Sekunden angestarrt hatte und es war ihm peinlich.

      „Ja.“

      „Wirklich? Ehrlich gesagt, hätte ich gedacht, dass Sie das verneinen würden.“

      Sondra lächelte. „Ich würde doch nie die Polizei anlügen.“

      Wieder dieser leichte Sarkasmus.

      „Sagen Sie mir, was er geschrieben hat?“

      „Nein.“

      „Warum nicht?“

      „Weil es sehr privat war und im Endeffekt nichts mit seinem Tod zu tun hatte. Sein Tod war natürlich und ich wünschte, dass er noch hier wäre.“

      Sondra merkte, wie sich ein Kloß in ihrer Kehle manifestierte. Sie räusperte sich.

      „Bitte, gehen Sie jetzt, Herr Kommissar. Ich bin wirklich müde und möchte gern allein sein. Ich habe morgen einen harten Tag mit meinen `lieben Verwandten´ bei der Testamentseröffnung und brauche dazu noch ein wenig Kraft.“

      Andreas merkte, dass Sondra gerade einen Tiefpunkt bekam und jede weitere Frage keine Antwort sondern nur Verärgerung hervorrief. „Ja, natürlich.“

      Er stand auf und nahm die Tasse mit in die Küche. Das leise Lachen hinter ihm irritierte ihn.

      Sondras Lächeln erreichte fast ihre Augen. „Ich erlebe selten Männer, die ihr Geschirr wegräumen“, sagte sie erklärend.

      „Ich habe keine Putzfrau“, antwortete er. „Könnte ich kurz Ihre Toilette benutzen?“

      Sondra wies ihm den Weg und ging ins Wohnzimmer. Sie nahm eine Visitenkarte aus ihrem Terminkalender und ging in den Flur zurück.

      „Falls Sie noch Fragen haben, können