Heike Möller

Weltenwanderer-Chroniken I


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seelische Unterstützung, wenn Sie auf Ihre Familie treffen?“

      Sondra war sich nicht sicher, aber irgendwie hatte sie gehofft, dass er eine Frage in diese Richtung stellen würde. „Ja.“

      „Wann und wo?“

      Sondra nannte ihm die Adresse und die Uhrzeit. „Ich kann Sie ja als meinen Bodyguard vorstellen.“

      Jetzt musste Andreas grinsen. „Gibt es Menschen, die glauben, dass Sie einen nötig hätten?“

      Sondra lächelte zurück. „Gute Nacht, Herr Kommissar.“

      Kapitel 2: Das Erbe

      Es war ein klarer Morgen im September des Jahres 2005, kühl und trotzdem sonnig. Sondra mochte dieses Wetter. Während sie vor der Kanzlei auf Kommissar Laurenz wartete, betrachtete sie die Sonne, die sich durch die Blätter der Bäume ihren Weg bahnte. Tief sog sie die Luft ein, die ein wenig noch Wald und Pilzen roch.

      „Hallo, Cousinchen!“

      Sondra brauchte sich nicht umdrehen. So eine Selbstsicherheit brachte nur Gregor Baier zustande. Er machte einen halbherzigen Versuch, seine Cousine zu umarmen, aber ihr Gesichtsausdruck beendete diese Aktion, bevor sie begann.

      „Wo ist der Rest der Bagage?“ fragte Sondra.

      „Der Patriarch kommt im Konvoi mit den anderen.“

      „Du nennst ihn Patriarch?“

      Gregor guckte sie erstaunt an. „Natürlich. Ich will schließlich in seinem Testament bedacht werden, also werde ich ihn offiziell mit Respekt behandeln. Täte dir auch ganz gut.“

      Sondra schluckte sich drei Bemerkungen gleichzeitig runter und atmete erleichtert auf, als sie Andreas Laurenz sah. „Ah, da kommt ja mein Bodyguard“, sagte sie, mit Absicht ein wenig lauter, so dass sowohl Gregor Baier als auch Andreas Laurenz diese Bemerkung hören konnte.

      „Wozu brauchst du den einen Bodyguard?“ fragte Gregor. Er taxierte den Neuankömmling mit eisigem Blick. Andreas erwiderte den Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.

      „Ich habe ihn engagiert, weil ich euch alle als gefährlich einstufe.“

      Gregor wurde abwechselnd rot und blass, setzte ein paar Mal zum Sprechen an und gab dann achselzuckend auf.

      „Tolles Timing“, sagte Sondra leise zu Andreas.

      „Wo sind die anderen?“

      Sondra guckte die Einbahnstraße runter. „Da kommt der Konvoi. Gregor war nur die Vorhut. Wahrscheinlich sollte er mich aushorchen oder einschüchtern.“

      Sondra ging zielstrebig auf den Eingang der Kanzlei zu.

      „Du kannst doch nicht vor dem Patriarchen die Kanzlei betreten!“, brüllte Gregor. In seinem Gesicht waren hektische Flecke zu sehen.

      „Natürlich kann ich das. Dr. Kolbrink ist der Anwalt meines Vaters und von mir, nicht der von Großvater.“

      Sondra ging weiter, gefolgt von Andreas Laurenz.

      „Ich habe das Gefühl, Sie haben es sich jetzt endgültig beim Rest der Familie verscherzt“, murmelte Andreas beim Betreten des Hauses.

      Durch seinen Beruf hatte er schon viele Anwaltskanzleien gesehen. Einige waren eher fragwürdig, die meisten modern und protzig. Diese hier war schlicht altehrwürdig. Holztäfelungen und antike, geschmackvolle Möbel. Es roch keineswegs muffig, aber es roch nach Holz und Polster.

      Es roch noch reichen Klienten.

      Andreas fing an, sich ein wenig unwohl zu fühlen. Sondra merkte es und beruhigte ihn. „Dr. Kolbrink ist ein charmanter Mann. Für ihn zählen die Menschen, nicht das Geld, das hinter ihnen steckt. Er hat schon viele reiche Klienten abgelehnt, weil sie ihm zu blasiert waren.“

      Die Chefsekretärin persönlich geleitete sie in den Konferenzraum, wo genügend Platz für alle Familienmitglieder war. Auf dem Nussbaumtisch standen schon Kaffeetassen, Milch- und Zuckerkännchen und kleine Teller mit erlesenem Gebäck. Eine Assistentin kam freundlich nickend rein und stellte die Kaffeekannen auf den Tisch.

      Die Chefsekretärin wies Sondra einen Platz zu und sah fragend zu Andreas rüber.

      „Er ist mein Begleiter. Für meine Sicherheit.“ Sondra lächelte leicht und die Sekretärin nickte freundlich lächelnd. Leise fragte sie Andreas Laurenz, ob es ihm etwas ausmachen würde, an der Seite Platz zu nehmen, da er ja nicht zum engeren Familienkreis gehörte. Andreas hatte damit keine Probleme und bekam einen bequemen Stuhl schräg hinter Sondra zugewiesen.

      Sondra bot Andreas eine Tasse Kaffee an, aber er lehnte ab. Rasch steckte er sich einen Bonbon in den Mund, da er merkte, dass sein Mund trocken wurde.

      Sondra goss sich gerade Kaffee ein, als die Tür erneut aufging und die Chefsekretärin mit dem Rest der Wielands eintrat.

      Der Patriarch war trotz seiner zweiundachtzig Jahre eine beeindruckende Gestalt. Groß und kerzengerade schritt er zügig ins Zimmer. Seine eisblauen Augen trafen Sondra, die den Blick mit stoischer Gelassenheit erwiderte. Sie stand nicht auf, um ihm Ehrerbietung entgegen zu bringen. Seelenruhig nippte sie an ihrer Kaffeetasse.

      „Du hast gefälligst aufzustehen, wenn der Patriarch den Raum betritt“, zischte Gisela Baier, die direkt hinter dem Patriarchen den Raum betrat.

      „Nein“, antwortete Sondra leise.

      Eine andere Tür ging auf und ein älterer Mann betrat den Raum. Er war lange nicht so groß und schlank wie der Patriarch, aber sein Auftreten zeugte von Souveränität. Sondra stand auf und reichte ihm lächelnd die Hand zum Gruß. Kurz stellte sie ihm Andreas vor und den Zweck seiner Anwesenheit. Dr. Kolbrink begrüßte auch Andreas Laurenz mit Handschlag und lächelte ihn freundlich an. Andreas bemerkte, dass Sondra nicht gelogen hatte; Dr. Kolbrink war ein charmanter und aufrechter Mann.

      Nachdem Dr. Kolbrink auch die anderen begrüßt hatte ließ er sie sich hinsetzen.

      Sondra saß zur Linken vom Anwalt. Die Chefsekretärin hatte sich schräg hinter Dr. Kolbrink mit einem Stenoblock hingesetzt und schrieb Protokoll mit. Der Patriarch saß zur Rechten und somit genau gegenüber von Sondra. Neben Sondra hatte sich Paul Baier hingesetzt, ihm gegenüber saß seine Mutter. Roland, der älteste Sohn des Patriarchen saß neben Gisela, daneben das jüngste Geschwisterkind, Wolfgang. Gregor saß neben Paul und Sondra konnte sein aufdringliches Rasierwasser riechen.

      >Was für ein Gruselkabinett<, dachte Andreas.

      Kolbrinks warme und leise Stimme erfüllte den Raum, als er das Testament von Thorben Wieland vorlas. Die Einzelheiten und Erklärungen dauerten an und alle Anwesenden schalteten geistig ab.

      Sondra mochte den Anwalt, deshalb gebot es ihr die Höflichkeit, wenigstens so zu tun, als ob sie aufmerksam zuhören würde. Gregor betrachtete seine Fingernägel und knibberte heimlich unter dem Tisch daran rum. Gisela unterdrückte mehrfach ein Gähnen. Paul versuchte aufmerksam zuzuhören und machte sich dabei einige Notizen. Wolfgang kaute nervös auf seine Unterlippe und seine Augen, wässrig und von fahler Farbe, huschten von einem Gesicht zum anderen. Roland war eingenickt und gab leise Schnarchlaute von sich.

      Der Patriarch hatte seine Augen auch geschlossen. Kerzengrade saß er auf seinem Stuhl, die gepflegten Hände akkurat auf dem Tisch gelegt.

      >Der schläft nicht, sondern ist hochkonzentriert<, dachte Andreas.

      „Und somit komme ich zur Aufteilung meines Vermögens“, las Dr. Kolbrink aus dem Testament von Thorben Wieland vor.

      Sofort waren alle Anwesenden hellwach und konzentriert.

      Nur der Patriarch und Sondra hatten ihre Körperhaltung nicht verändert.

      „Meinem Vater und meinen Geschwistern Roland, Gisela und Wolfgang vermache ich jeweils 150.000 Euro. Mögen sie damit machen was sie wollen. Falls sie das Testament anfechten, verlieren sie in dem Moment, wo eine Klage eingereicht