Heike Möller

Weltenwanderer-Chroniken I


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wieder hochfahren ließ.

      Die Beschimpfungen, die Gisela Baier über Sondra ergoss, hätten so manche Bordsteinschwalbe der Reeperbahn erröten lassen. Sondra biss sich auf die Zunge, weil sie sich die Antworten einfach ersparen wollte. Thomas Sandmann, ihr Anwalt, ermahnte Gisela jedoch immer wieder, dass jede Beleidigung ihrerseits eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen würde. Gisela war aber so hysterisch, dass Vernunft bei ihr abprallte.

      Sondra konnte Gisela sogar ein bisschen verstehen, schließlich war Gregor Giselas Sohn und ihr Junge war in Schwierigkeiten. Nur war er erwachsen und inzwischen für seine Handlungen definitiv selbst verantwortlich.

      Seufzend unterschrieb Sondra ihre Aussage und die Anzeige. Dann stand sie auf, nahm ihre Jacke und ging mit ihrem Anwalt aus dem Polizeirevier.

      „Nette Verwandte haben Sie. Kolbrink hat mich ja schon gewarnt, aber die Live-Show war beeindruckend“, sagte er.

      Sondra grinste, bereute es aber gleich wieder, da ihre rechte Wange höllisch wehtat.

      Thomas Sandmann war Anfang dreißig und machte den Eindruck, als ob er Anwalt mit Leidenschaft war. Er wirkte nicht unbedingt wie jemand, der auf den Paragraphen herum ritt und das BGB und das StGB als Bibel betrachtete. Der Ring an seinem rechten Ringfinger war mehr als deutlich und innerlich seufzte Sondra deshalb ein wenig.

      >Mann, musst du das nötig haben<, dachte sie.

      „Kolbrink hat mir erzählt, dass sie verreisen wollten. Diese Pläne müssen Sie jetzt um mindestens einen, vielleicht sogar zwei Monate verschieben.“

      Sondra wurde abwechselnd kalt und heiß. „Das geht nicht, ich … ich muss verreisen. Ich werde erwartet.“

      Thomas Sandmann schüttelte den Kopf. „Ich versuche den Prozess so schnell als möglich zu bekommen oder auf das nächste Frühjahr zu verlegen. Ich weiß trotzdem erst in zwei bis drei Wochen - frühestens -, wann der Termin sein wird.“

      Sondra überlegte und setzte sich ihre dunkle Sonnenbrille auf. An diesem trüben Septembertag war das eigentlich nicht nötig, aber Teile ihres Gesichtes nahmen langsam eine Färbung an, die man mit der Palette eines Malers vergleichen konnte.

      „In Ordnung“, sagte sie. „Versuchen Sie den Termin ins nächste Frühjahr zu verlegen. Ich muss diese Reise machen und werde einen oder zwei Monate weg sein. So bin ich dann garantiert zum Prozess wieder hier. Aber der Patriarch wird wahrscheinlich alles versuchen, um den Prozess entweder vorzuverlegen oder gar nicht stattfinden zu lassen.“

      „Sondra!“

      Die vertraute Stimme ließ sie lächeln. Andreas Laurenz kam gerade aus dem Gebäude raus. Sein Gesicht wirkte ein wenig besorgt und seine Augen blickten prüfend in ihr Gesicht.

      Sondra machte die beiden Männer kurz miteinander bekannt.

      „Wir sind ja soweit durch, Frau Wieland. Meine Karte haben Sie ja. Wenn Ihnen noch irgendwas einfällt oder unklar ist, melden Sie sich bei mir, ja?“

      Sondra fiel auf, das er das Wort ´Ja` gerne benutzte.

      Beim Italiener suchte Sondra sich eine stille, kaum einsehbare und dunkle Ecke aus. Als ihr Wasser kam, fischte sie die Eiswürfel aus dem Glas, wickelte sie in die Serviette und presste das ganze gegen ihr Gesicht.

      „Lassen Sie mal sehen“, forderte Andreas sie auf.

      „Ich glaube, dass haben Sie in Ihrem Beruf schon mehrfach gesehen.“

      Andreas Laurenz gab einen unbestimmten Laut von sich, griff über den Tisch und nahm Sondra sanft die Brille ab. Scharf zog er die Luft zwischen den Zähnen ein und schluckte krampfhaft. Vorsichtig setzte er die Sonnenbrille wieder auf Sondras Nase.

      „Was ist passiert?“, fragte er leise.

      Sondra erzählte noch einmal, was passiert war. Sie merkte auf einmal, dass es ihr jetzt schwerer fiel als vorher auf dem Polizeirevier. Plötzlich war ihr zum Heulen zumute, aber sie beherrschte sich.

      Andreas sah erneut ein Leuchten auf der Haut von Sondra, aber diesmal war es anders. Es wirkte eher dunkel, traurig. Verwirrt blinzelte der Kommissar.

      „Ich könnte mich jetzt noch ohrfeigen, weil ich Gregor ins Haus gelassen habe“, sagte sie zwischen zwei Bissen gebratene Leber.

      „Ich habe das mit der Fahrerflucht recherchiert. Die Frau, die Gregor damals angefahren hatte, hat zwar überlebt, muss aber für den Rest ihres Lebens im Rollstuhl sitzen. Das bedeutet, da kommt ein weiterer Prozess auf Gregor Baier zu. Da kann auch der Patriarch nicht viel machen.“

      Andreas steckte sich das letzte Stück Thunfischsteak in den Mund und kaute geistesabwesend.

      „Woran denken Sie?“, fragte Sondra nach einer Weile.

      „An Ihre Reisepläne.“

      Sondra runzelte die Stirn. Sofort zog ein heftiger Kopfschmerz von ihren Schläfen in den Nacken. Sie musste wohl einen Laut von sich gegeben haben, denn Andreas griff ihre Hand.

      „Alles in Ordnung?“

      „Er hat wohl heftiger zugeschlagen, als ich dachte“, presste sie zwischen den Zähnen hervor.

      „Soll ich Sie in ein Krankenhaus bringen, oder ….“

      „Nein, nein. Wirklich nicht nötig. Ich brauche nur etwas Ruhe und Schlaf“, unterbrach sie ihn.

      >Ein Krankenhaus, das fehlte noch. Ein Blick auf mein Blutbild und dann werden Fragen gestellt, die ich nicht beantworten kann.<

      Sie lehnte sich ein bisschen zurück und schloss die Augen. Dabei rutschte ihre Hand aus der Hand von Andreas, was sie irgendwie bedauerte.

      „Ich muss meine Reisepläne um bis zu zwei Monate verschieben. Leider!“, sagte sie leise.

      Sie öffnete ihre Augen wieder leicht und bemerkte, wie Andreas sie mit leicht schrägem Kopf musterte.

      „Was?“, fragte sie verunsichert. Andreas hatte eine Art sie anzusehen, die sie bisher von keinem Menschen gewohnt war: direkt in die Augen, ohne zu blinzeln und eine Reihe von Fragen mit möglichen Antworten in seinem Blick.

      Sondra bemerkte, dass ihr Mund trocken wurde.

      „Es ist jetzt nicht der richtige Augenblick, Sie mit meinen Fragen zu bombardieren. Das kann warten, bis es Ihnen besser geht.“

      „Wenn es dienstliche Fragen sind, nur raus damit“, forderte sie ihn auf. Aber Andreas Laurenz schüttelte den Kopf. „Sie sind nicht dienstlich“; sagte er nur.

      Einen Moment schwiegen sie, dann räusperte sich Andreas.

      „Soll ich Sie noch zu dem Anwesen der Kolbrinks fahren oder wollen Sie zu sich nach Hause?“, fragte er.

      „Es wäre sehr nett, wenn Sie mich zu Holger und Renate Kolbrink fahren würden.“

      Er nickte, rief den Kellner und bezahlte. Dann stütze er Sondra, die beim aufstehen ein wenig schwankte.

      „Ganz sicher, dass Sie keinen Arzt wollen?“, fragte er sanft.

      „Ganz sicher.“

      Vor dem Haus der Kolbrinks hielt er an und half Sondra aus dem Wagen.

      „Ich glaube, jetzt kann ich alleine gehen“, murmelte sie und presste ihre Hand auf die Stirn. Sie hatte wirklich rasende Kopfschmerzen.

      „Das glaube ich kaum“, sagte Andreas und fing Sondra gerade auf, als ihre Beine nachgaben.

      Die Haustür ging auf und Renate Kolbrink stand in der Tür. Sie wurde schlagartig blass, als sie sah, das Sondra auf den Armen eines ihr fremden Mannes war. Andreas Laurenz stellte sich kurz vor und erklärte die Situation, während er Sondra hineintrug. Sie war nicht bewusstlos, aber kaum ansprechbar. Renate Kolbrink zeigte Andreas den Weg in das Gästezimmer und ging dann schnell in die Küche, um eine Kühlkompresse zu holen.

      Vorsichtig legte Andreas Sondra auf das Bett. Sanft strich er über das Gesicht