Heike Möller

Weltenwanderer-Chroniken I


Скачать книгу

Er räusperte sich.

      >Verdammt, benimm dich nicht wie ein Teenager im Liebesrausch<, schallt er sich selber.

      „Ich gebe ja zu, dass der Tod Ihres Vaters mein Interesse neu geweckt hat, wie eine Art Auslöser fungiert hat. Aber all die Fragen, die mich schon seit beinahe zwanzig Jahren beschäftigen, haben mich letztendlich hierher geführt, Sondra.“

      „Neu geweckt?“, fragte sie. Irgendwie hatte Sondra Probleme, Andreas richtig zu folgen.

      Andreas schnappte ein paar Mal, als ob er sprechen wollte, den Satzanfang verwarf und neu anfing.

      „Ich war zehn, als ich Ihren Vater bei einer Signierstunde begegnete. Ein Jahr zuvor habe ich das erste Mal ein Buch von Thorben Wieland gelesen. Die Art und Weise, wie er die Reise des Weltenwanderers beschrieb, seine Abenteuer und das alles fesselten mich.“

      Andreas Laurenz zog seine Jacke aus und warf sie über einen Küchenstuhl. Er wirkte nervös, kämpfte um die richtigen Worte.

      „Ihr Vater hatte eine frische Narbe auf der linken Wange. Sah aus wie ein Schnitt. Ein Jahr später kam dann wieder ein Roman raus, indem sein Protagonist bei einem Kampf einen Messerschnitt ins Gesicht bekam. Lange Zeit dachte ich, das Thorben Wieland wirklich ein Weltenwanderer ist und seine eigene Geschichte aufschrieb. Doch dann wurde ich älter und verwarf meine Fantasien.“

      Sondra reichte ihm eine Tasse Tee. Andreas verbrannte sich fast die Zunge, aber er war so aufgeregt wie seit langem nicht mehr.

      „Haben Sie aus Bewunderung für meinen Vater reiten und Bogenschießen gelernt?“

      „Reiten konnte ich schon, als ich drei Jahre alt war. Ich bin auf einem Gestüt aufgewachsen. Als ich sechs Jahre alt war, fing ich mit Judo, etwas später dann mit Karate an. Mit zehn quengelte ich meine Eltern voll, dass ich Bogenschießen lernen wollte. Daran war Ihr Vater nicht ganz unschuldig.“

      Andreas stellte die Tasse leise auf den Holztisch ab. Mit geschlossenen Augen atmete er kurz aus und schluckte. Dann zwang er sich, Sondra in die Augen zu sehen.

      „Ich weiß, dass ich mich jetzt wie ein Groupie anhöre, aber ich muss es wissen. Ist Vilgard Realität?“

      Sondra sah in zwei braune Augen, die verunsichert in ihre grünen blickten.

      >Irgendwann musst du mal jemanden dein Vertrauen schenken<, hatte Holger Kolbrink ihr vor wenigen Tagen gesagt.

      >Eines Tages bin ich nicht mehr da. Wer soll dann eine Geschichte mit Reisen oder ähnlichem in Umlauf bringen. Du solltest jemanden suchen, dem du dein Geheimnis anvertrauen kannst. Und wenn ich mich nicht sehr täusche, hast du bereits jemanden gefunden.<

      Konnte sie Andreas Laurenz wirklich ihr Vertrauen schenken? Sie kannte ihn doch erst seit ein paar Tagen.

      „Vilgard ist Realität“, sagte sie schließlich.

      Andreas sackte ein wenig in sich zusammen und hielt sich am Holztisch fest. Als er seine Frage gestellt hatte, leuchtete ihre Haut regelrecht kurz auf. Jetzt pulsierte ein schwacher, immer schwächer werdender Schimmer.

      „Dann sind Sie Keelas Tochter?“

      Noch nie war Sondra auf ihre Mutter angesprochen worden. In der Schule fragten damals einige Mitschüler nach ihrer Mutter, doch als Sondra ihnen erzählte, dass die Mutter gestorben sei, als sie noch ein Baby war, wurde nicht weiter nachgefragt.

      Sie nickte. Sondra bemerkte, dass Andreas leicht zitterte.

      „Jetzt ahne ich auch, warum sie nicht zu einem Arzt oder ins Krankenhaus gegangen sind. Sie wären wahrscheinlich wie ein Alien behandelt worden.“

      „Kommen Sie“, forderte sie ihn auf und streckte ihm ihre Hand entgegen.

      Zögernd ergriff Andreas die Hand und wurde von Sondra zu einem Regal an der Küchenwand geführt. Darin standen einige Gewürz- und Kräutergläser. Am Rand waren vier alte Metallhaken angebracht, woran Topflappen und Küchenhandtücher hingen. Sondra griff nach einem Haken und drehte ihn ein wenig zu sich.

      Hinter der Wand ertönte ein leicht knirschendes Geräusch und es gab ein leises metallischen „Pling“. Das Regal sprang ein paar Millimeter weit auf. Sondra zog an dem Regal, es schwang wie eine Tür zur Seite und gab den Weg frei in einen Keller. Sie schaltete das Licht an und führte Andreas die schmale und eng stufige Treppe hinunter. Am Fuß der Treppe befand sich ein großer, fast rechteckiger Raum mit mehr als einem Dutzend Weinregale. Einige dieser Weine, so bemerkte Andreas beim Vorbeigehen, waren fast 100 Jahre alt, die meisten aber unter fünfzig.

      „Ich dachte immer, dass Häuser in Norddeutschland keine Kellergewölbe dieser Art hätten“, sagte er erstaunt.

      „Die wenigsten haben einen Keller. Das liegt am sandigen Untergrund. Das Haus hier ist von meinem Ururgroßvater auf Fels erbaut worden. Er hat den Keller in den Fels treiben lassen.“

      An der Rückwand des Kellers war eine fast zwei Meter große Weinfassatrappe. Sondra blieb davor stehen und drehte sich zu Andreas um. Sie sah ihm fest in die Augen.

      „Sie wissen, dass ich Ihnen gerade großes Vertrauen entgegenbringe!“

      Andreas sah in zwei grüne, ihn forschend ansehende Augen.

      „Seit fast 20 Jahren träume ich von diesem Augenblick. Ich sagte mir immer wieder, dass meine Fantasie mit mir durchgeht. Nichts und Niemand kann mich dazu bringen, Ihr Geheimnis preiszugeben.“

      Sein Händedruck war warm und fest und Sondra glaubte ihm.

      „Außerdem, wer würde mir schon glauben?“, schloss er.

      Sondra lächelte und löste ihre Hand aus seiner. Dann ergriff sie zwei Paneele des Weinfasses in Brusthöhe und zog daran. Wie ein Fächer schoben sich daraufhin sämtliche Verstrebungen ineinander zusammen und gaben den Blick frei auf eine grob behauene Felswand. Noch innerhalb des Weinfassringes auf der rechten Seite befand sich ein Metallring. Sondra zog leicht an ihm und drehte ihn etwas nach links. Wieder ertönte ein Knirschen, diesmal aber nicht von einem „Pling“ oder ähnlichem gefolgt. Sondra zog erneut kraftvoll an dem Ring und die Tür öffnete sich scheinbar federleicht.

      Andreas bemerkte die eigentümliche Konstruktion, die es ermöglichte, dass Tonnen schweren Gesteins so leicht aufgingen wie eine Tür aus Holz. Ehe er fragen konnte, wer sich das ausgedacht hatte und wann hatte Sondra einen weiteren Lichtschalter betätigt.

      Andreas blinzelte, weil seine Augen sich erst an das Licht gewöhnen mussten. Sondra war in den Raum hinter der Tür eingetreten und bedeutete Andreas mit einem Kopfnicken, es auch zu tun.

      Als Andreas den Raum aus massivem Felsen betrat, hatte er das Gefühl, das alle seine Fragen nun beantwortet worden waren.

      Gleichzeitig wurden neue aufgeworfen.

      In diesem Raum befand sich ein Torbogen, gute drei Meter fünfzig hoch am höchsten Scheitelpunkt und über zwei Meter breit. Das dunkle Holz war mit Schnitzereien übersät.

      Menschen, Elfen Trolle, verschiedene Tiere und Pflanzen. Es gab Dörfer und Städte, hohe Türme, trutzige Burgen und wehrhafte Mauern. In einigen Schnitzereien waren Intarsien aus Gold, Silber und Edelsteinen eingearbeitet.

      Andreas hörte sich selbst geräuschvoll ausatmen. Er drehte sich zu Sondra um, die lächelnd an der Felswand neben der Tür lehnte.

      Als Andreas sich wieder dem Torbogen zu wandte, fiel ihm ein Zentaur auf, der eine Ebene entlang galoppierte. Auf der anderen Seite des Tores jagten ein paar Menschen Wildschweine in einem Waldstück.

      Die Motive bewegten sich!

      Jetzt erst merkte Andreas, dass der Bogen ein Summen von sich gab.

      Vorsichtig strich er mit seinen Fingerspitzen über das Holz.

      Es war warm und vibrierte.

      Der Torbogen lebte!

      Keuchend trat Andreas ein paar Schritte zurück.

      „Vor drei Tagen war