Heike Möller

Weltenwanderer-Chroniken I


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sofort eingeschlafen.

      „Sie ist eingeschlafen, Frau Kolbrink. Vielleicht sollte später doch ein Arzt nach ihr sehen.“

      Andreas Laurenz und Renate Kolbrink gingen zur Haustür.

      „Sondra ist, was Ärzte betrifft, extrem misstrauisch. Aber ich werde sehen, was ich tun kann.“ Sie sah seinen prüfenden Blick in Richtung Gästezimmer, als er sich umdrehte, um sich von Renate Kolbrink zu verabschieden. „Keine Sorge, Herr Laurenz. Ich passe auf sie auf. Sondra ist für mich wie eine Tochter.“

      Andreas lächelte und merkte, dass er rot geworden war.

      „Sondra ist etwas besonderes, Frau Kolbrink. Ich habe noch nie jemanden wie sie getroffen.“

      Renate Kolbrink sah dem jungen Mann lächelnd nach.

      Andreas Laurenz kaute auf seiner Unterlippe, während er in seinem Golf zu sich nach Hause fuhr. Er grübelte immer noch, als er die drei Treppen zu seiner Wohnung hoch lief, die Wohnungstür aufschloss und hineinging. Automatisch schloss er die Tür, zog seine Jacke aus und warf sie über die Garderobe. Nachdem er seine Schuhe in die Ecke geworfen hatte, ging er zum Kühlschrank und schnappte sich eine Cola. Seine Mutter hätte ihm jetzt die Leviten gelesen, weil er direkt aus der Flasche trank, aber Andreas war mit seinen Gedanken woanders.

      >Verdammt, ich kann doch nicht dermaßen falsch liegen<, dachte er sich.

      Seufzend nahm er seine Lesebrille aus seiner Jacke und setzte sie sich auf die Nase.

      >Warum wolltest du nicht in ein Krankenhaus, Sondra? Würden die Ärzte etwas finden, was nicht gefunden werden sollte?<

      Seufzend ging er zu seinem Bücherregal im Wohnzimmer. Er griff nach einem Buch, das schon ziemlich abgenutzt aussah. Auf dem Einband stand ´Thorben Wieland – Weltenwanderer-Chroniken Band 1`.

      „Dann fange ich eben noch mal von vorn an. Die Antworten liegen hier drin, das weiß ich!“

      Kapitel 4: Fiktion und Realität

      Die Sonne stand schon tief, aber Sondra wollte jede Minute Tageslicht ausnutzen.

      Sanft legte sie den Pfeil in den Bogen und während sie ihn auf Augenhöhe hob, spannte sie die Sehne. Kurz hielt sie den Atem an und schoss. Das Geschoss traf den inneren Ring der Zielscheibe in fünfzehn Meter Entfernung.

      „Verdammt“, zischte sie. Es war wie verhext. Sie konnte das Goldene heute einfach nicht treffen.

      Zwei Wochen waren seit dem Überfall Gregors vergangen. Ihr Haus war wieder aufgeräumt, Gregor saß noch in Untersuchungshaft und der Patriarch und Gisela Baier machten Sondra täglich das Leben zur Hölle. Die meisten blauen Flecke verblassten längst. Aber dort, wo Gregor sie mit dem Handrücken im Gesicht getroffen hatte, schillerten alle Farben des Regenbogens. Wenn Sondra aus Versehen die Stelle anfasste, zog immer noch ein leichter, aber aushaltbarer Schmerz durch ihren Körper.

      Sondra Wieland versuchte sich erneut zu konzentrieren und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Als diesmal der Pfeil die Sehne verließ, traf sie am Rand des Goldenen.

      „Gar nicht mal schlecht“, sagte eine Stimme hinter ihr.

      Erschrocken drehte Sondra sich um, den Bogen wie eine Schlagwaffe haltend. Andreas Laurenz blieb in einiger Entfernung stehen und hob leicht die Hände.

      „Mann!“ Sondras Herz raste und sie atmete wieder. Sie funkelte Andreas böse an, während sie den Bogen sinken ließ.

      „Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Er lächelte und hatte ein schlechtes Gewissen. „Ich habe geklingelt. Als Sie nicht öffneten, bin ich halt hinten lang.“

      „Ich wollte noch die Lichtverhältnisse ausnutzen.“ Sie registrierte, dass Andreas eine gefütterte hellbraune Lederjacke anhatte, die ihm sehr gut stand. Die Haare waren frisch geschnitten und modisch gestuft. Als er lief, humpelte er leicht mit dem linken Bein.

      „Was ist mit Ihrem Bein?“, fragte Sondra.

      „Ich bin mal als Kind vom Pferd gefallen. Blöd aufgekommen. Seitdem habe ich, wenn sich das Wetter ändert, Probleme mit meinem Knie.“

      Andreas stand jetzt dicht vor Sondra und betrachtete ihre rechte Wange.

      „Auch ´ne Wettervorhersagemöglichkeit.“

      Andreas war mit seinen Gedanken schon wieder weiter gewandert. „Hm?“

      „Das Knie!“

      Er lächelte verlegen. „Ja. Richtig.“

      „Sie können also reiten. Können Sie auch hiermit umgehen?“

      Sondra hielt ihm den Kurzbogen, den sie immer noch in der Hand hielt, entgegen. Andreas Laurenz nahm den Bogen und prüfte die Spannung.

      „Ein wenig zu weich für mich. Die Sehne ist auch nicht mehr die Beste.“

      Sondra dachte zuerst, Andreas wollte sie wieder mal auf dem Arm nehmen.

      „Ist schon ein paar Monate her, dass ich auf dem Übungsplatz war.“

      Er nahm einen Pfeil aus dem Köcher, der neben ihm auf einem Gartentisch lag. Dann stellte er sich leicht schräg und hob den Bogen. Als er die Sehne spannte merkte er, dass der Bogen einen leichten Drall nach rechts hatte. Instinktiv zielte er gegensätzlich und schoss.

      Der Pfeil traf genau die Mitte des Goldenen.

      Scharf zog Sondra die Luft zwischen ihre Zähne ein.

      >Wer ist er?<, fragte sie sich.

      Andreas legte den Kurzbogen auf den Tisch. Der Langbogen aus Eibenholz war auf Sondras Größe ausgelegt. Trotzdem nahm Andreas ihn auf und prüfte auch ihn. Für einen kurzen Moment vergaß er, wo er war.

      „Wo waren Sie die vergangenen zwei Wochen?“

      Sondra biss sich sofort auf die Lippen. Eigentlich hatte sie das nicht fragen wollen. Nachher dachte Andreas noch, dass sie ihn vermisst hätte.

      Hatte sie ja auch!

      Ärgerlich runzelte sie die Stirn.

      Er lächelte, zeigte dabei seine Zähne. „Haben Sie mich etwa vermisst?“, fragte er und sah sie ein wenig seitlich an, während er einen neuen Pfeil nahm und in den Langbogen legte.

      >Da! Wieder das sanfte Schimmern auf der Haut! Ich bilde mir das doch nicht ein!<

      „Ihre Fragen haben mir gefehlt.“

      Sondra versuchte sich aus dieser Situation zu manövrieren, aber sie merkte, dass sie darin nicht sehr geübt war.

      Fast zärtlich berührten seine Lippen die Sehne, als den Bogen spannte. Diesmal traf er nur den Rand des Goldenen.

      „Ich hatte viel zu tun. Musste ein paar Dinge klären und habe Recherchen gemacht.“

      „Über mich etwa?“

      Sie hatte mit einer scherzhaften Antwort gerechnet. Andreas blickte ruhig in Sondras Augen. „Ja.“

      Sondra wusste, dass der Moment gekommen war, wo sie auf alle seine Fragen antworten würde müssen.

      „Okay“, sagte sie leise. „Kommen Sie, drinnen kann man besser reden.“

      Nachdem Sondra sämtliche Bögen und Pfeile in der trockenen Kammer verstaut hatte, die im Flur unterhalb der Treppe lag, ging sie in die Küche. Sie musste daran denken, dass sie vor fast drei Wochen schon einmal Tee für sich selbst und Andreas zubereitet hatte.

      Sie spürte, dass er hinter ihr stand.

      „Ich bin nicht Ihr Feind, Sondra. Das ich hier bin, ist rein Privat und hat nichts mit dem Tod ihres Vaters oder mit Gregors Überfall auf Sie zu tun.“

      Sondra drehte sich um und sah in braune Augen. Auf seinen Schläfen bildeten sich plötzlich kleine rote Flecken