Heike Möller

Weltenwanderer-Chroniken I


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      Vorsichtig spähten sie aus dem Höhleneingang. Die Höhle lag etwas oberhalb des Nadelwaldes, der sich vor ihnen ausbreitete. Frühnebelfelder bedeckten den Boden und Schatten verschiedener Größe huschten durch sie hindurch. Schnee war noch nicht gefallen, aber die Kälte kroch langsam in die Höhle herein.

      Sondra sah zum Himmel. Die Sonne würde heute nicht scheinen, aber es würde auch nicht regnen.

      Jetzt war es draußen hell genug.

      Sondra wusste, wo sie langgehen mussten. Thorben Wieland hatte im Laufe der Jahre nicht nur eine genaue Karte Vilgards angefertigt, sondern auch einen Kompass gebaut, der ähnlich wie ein Kompass auf der Erde funktionierte.

      Nur in Vilgard war der magnetische Pol nicht im Norden, sondern im Südwesten.

      Sondra und Andreas verließen die Höhle und gingen den Hang hinab zum Waldstück. Andreas drehte sich nach ein paar Metern um und suchte den Höhleneingang.

      Er konnte ihn nicht entdecken.

      Schweigend, um Kräfte zu sparen, marschierten sie durch den Wald in Richtung Süden.

      Irgendwann gelangten sie aus dem Unterholz auf einen durch Pferdefuhrwerke gewalzten Weg und folgten diesem weiter nach Südwesten. Sie liefen bestimmt schon drei oder vier Stunden, als sie an eine kleine Lichtung kamen. Dort standen mehrere Baumstümpfe, Überreste vor Jahrzehnten geschlagener Bäume. Die Wanderer nahmen ihre Rucksäcke ab und legten eine kurze Rast ein. Sparsam gingen sie mit dem Essen und dem Wasservorrat um.

      „Glaubst du, dass die alte Holzfällerhütte noch steht und uns Schutz bieten kann?“, fragte Andreas, der die ganze Zeit vor sich hin gegrübelt hatte.

      Sondra zuckte mit den Achseln. „Als Vater vor drei Jahren Vilgardzeit hier war und mir berichtete, stand sie noch. Sie ist mit magischen Sprüchen übersät und müsste uns wenigstens vor den Trollen schützen können.“

      „Wie lange müssen wir noch laufen?“

      Sondra prüfte den Sonnenstand, was durch die Wolkendecke nicht ganz einfach war.

      „Noch etwa drei oder vier Stunden, wenn wir gleich weiter gehen. Wir sollten da sein, bevor die Dunkelheit anbricht.“

      Sie verstauten den Proviant wieder und schulterten ihre Rucksäcke. Wieder liefen sie schweigend weiter.

      Gelegentlich sahen sie Hirschrudel in einiger Entfernung vorbeiziehen. Einige Male knackte das Unterholz in ihrer Nähe und das Grunzen von Wildschweinen war zu hören.

      Als sie endlich die Holzfällerhütte sahen, atmeten beide erleichtert auf. Aus dem Schornstein stieg Rauch auf. Sondra sah Andreas fragend an, doch der zuckte nur mit den Schultern und zog eine Augenbraue hoch.

      Irgendwo heulte ein Wolf, kurz danach stimmten mehrere Wölfe in den Gesang mit ein.

      „Wir sollten uns nicht ran schleichen, sonst denken die Bewohner vielleicht, dass wir feindlich gesonnen sind“, gab Andreas zu bedenken.

      Sondra stimmte ihm zu und sie liefen offen auf die Hütte zu.

      Die Hütte war umzäunt mit einem einfachen Holzzaun. Rechts neben der Hütte hatte jemand verschiedene Gemüse und Kräuter angebaut, die jetzt weitestgehend abgeerntet waren. Auf der linken Seite unter einem Verschlag stapelte sich Brennholz.

      Die Wanderer erreichten das kleine Tor im Zaun und blieben stehen.

      „Hallo!“, rief Sondra. „Hallo, ist da jemand?“

      Andreas fragte sich gerade, warum er die Sprache, die hier offensichtlich gesprochen wurde, verstand. Dann fiel ihm ein, dass er und Sondra, seitdem sie durch das Tor in die Höhle getreten waren, in dieser Sprache gesprochen hatten. Andreas war verblüfft. Er hatte nie diese Sprache gelernt. Offensichtlich hatte auch hier die Magie wieder die Hand im Spiel.

      Die Tür der Hütte ging knarrend auf und ein Faun trat heraus.

      Seine Ziegenhufe klapperten auf dem harten Untergrund und seine Beine und sein Unterleib wurden von schwarz-weißem Fell bedeckt. Der Oberkörper war sehr muskulös und steckte in einer Weste, um sich gegen Kälte zu schützen. In seinem Gesicht wuchs ein schwarzer, spitz zulaufender Bart und die befellten Ohren standen ein wenig seitwärts ab. Die Hörner waren nicht sehr groß, aber Andreas wollte lieber keine Bekanntschaft mit den Spitzen machen. Die hellblauen Augen blickten forschend in die Gesichter der Reisenden.

      „Seid gegrüßt, Reisende!“

      Seine Stimme klang freundlich, aber auch leicht vorsichtig. Sondra wusste, dass die Waffen an ihrer Kleidung ihn misstrauisch machen mussten.

      „Sei gegrüßt, Herr Faun. Wir sind Reisende und erbitten eine Unterkunft für die Nacht. Wir haben keine Lust, als Trollfutter zu enden.“

      Hinter dem Faun trat eine junge Frau heraus. Sie hatte eine menschliche Gestalt, aber ihre Zartheit war verwirrend. Andreas hatte plötzlich ein beengendes Gefühl in seiner Leistengegend.

      Die Frau war etwas kleiner als der Faun, ihre braun-grünen Haare hatte sie zu einem kecken Pferdeschwanz gebunden, der bei jeder ihrer Bewegungen wippte. Die Augen waren von einem hellen Blau mit Silber vermischt. Sie flüsterte dem Faun etwas kichernd ins Ohr.

      „Nereide bittet euch herein zu kommen“, sagte der Faun und lächelte.

      „Sondra, irgendetwas beunruhigt mich an der Frau“, wisperte Andreas ihr zu.

      Sondra sah Andreas ungläubig an. „Es würde mich auch wundern, wenn es nicht so wäre. Sie ist eine Nymphe.“

      Andreas wurde tiefrot. „Ist es dann klug, wenn wir da rein gehen?“

      „Haben wir eine andere Wahl?“ Sondra ging in die Hütte und Andreas folgte ihr.

      Drinnen loderte ein Feuer im Kamin, der auch gleichzeitig als Kochstelle diente. Ein Tisch mit drei unterschiedlichen Stühlen und zwei Hocker standen im Raum, sowie eine Art Kommode, wo das Holzgeschirr aufbewahrt wurde. Eine Tür führte in einen Nebenraum. Andreas vermutete, dass das das Schlafzimmer war.

      „Der Eintopf ist gerade fertig. Habt ihr Hunger?“, fragte die Nymphe. Ihre Stimme war wie ein zarter Gesang und Andreas bekam erneut ein beklemmendes Gefühl.

      „Ja, das haben wir. Dein Essen riecht sehr gut, Nereide. Darf ich dir helfen?“, fragte Sondra, während sie ihren Mantel auszog und zu der Nymphe ging.

      Seitdem sie das Haus betreten hatten, zog ein leicht pulsierender Schimmer über Sondras Haut. Silbern und zartrosa.

      „Mein Name ist For“, sagte der Faun und ging zu der Kommode, um die Teller und Löffel rauszuholen. Er blickte stirnrunzelnd zu Sondra. Offenbar hatte er das Schimmern auch bemerkt.

      „Wir haben nicht sehr oft Gäste, freuen uns aber, dass ihr da seid“, ergänzte Nereide.

      „Ich bin Sondra, und das ist mein Gefährte Andreas.“

      Andreas hatte sein Gepäck und seinen Mantel inzwischen auch abgelegt und stand etwas unschlüssig herum.

      „Hol doch bitte Becher aus dem Schrank“, sagte For zu Andreas.

      Dieser kam der Aufforderung sofort nach. For holte einen Krug hervor, zog den Stöpsel, der aus einem Aststück geschnitzt war und goss die goldfarbene, klare Flüssigkeit in die Becher.

      Andreas roch sofort, dass es sich um einen Met handeln musste.

      „Ihr seid sehr gastfreundlich, du und deine Gefährtin, For. Wir danken euch dafür“, sagte Andreas.

      Der Faun lächelte und entblößte dabei große, unregelmäßige Zähne.

      „Setz dich, Andreas!“

      Andreas setzte sich auf einen der Hocker, For nahm den größten und breitesten Stuhl.

      Sondra setzte sich neben Andreas und Nereide kam mit dem großen Kochtopf und stellte ihn auf den Tisch.

      Der Eintopf der Nymphe roch nicht nur gut, er schmeckte