Patrik Bitter

23 - Und Schnitt!


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Ich tat mein Bestes, mich möglichst unauffällig und dennoch ansehnlich zu bewegen, bis Mitternacht und somit der Jahreswechsel, sich näherten. Spontan sprangen wir alle in unserer Abendgarderobe um Punkt zwölf in den Pool. Das war ein würdiger Höhepunkt, wie ich ihn mir kaum hätte besser ausmalen können. Wenig später lag ich in meinem Bett, erschöpft, doch mit einem Gefühl der Zufriedenheit und Dankbarkeit für die Erfahrungen und Erlebnisse, die ich auf Bali machen durfte.

      Neujahrsmorgen um acht Uhr Yoga – das schien nach der Nacht sehr unwahrscheinlich und es war zwischen dem Sekt und dem Poolsprung beiläufig abgesagt worden. Ich konnte selbst an diesem Morgen nicht wesentlich länger schlafen und daher schlich ich mich aus Neugier zum Yoga Barn. Siehe da:

      Ted wartete nichts ahnend. Leicht amüsiert sagte ich ihm, dass die Stunde später stattfände und Schritt wieder von dannen, um etwas Morgenluft zu schnappen. Am Nachmittag ging es dann zum zweiten Ziel des Retreats: Canggu.

      Das war eine kleine Stadt in der Nähe der Küste, unweit der Touristenmetropole Kuta. Im Vergleich zu Kuta war sie noch frei vom Party- und Pauschaltourismus. Auf dem Weg machten wir noch Halt am „Pura Luhur Uluwatu“, einem Tempel direkt an den Klippen. Wir hatten bis den ersten Tag auf Bali und dem Regen am Abend der Ramayana stets traumhaftes Wetter und so auch hier. Wir genossen die beeindruckende Kulisse der Tempelanlage und des Meeres. Wir trafen auch ein paar alte Bekannte wieder: Affen, die auf alles aus waren, was nicht niet und nagelfest war. Unser Ziel in Canggu war „Desa Seni“. Das war ein luxuriöses und recht teures „Eco Village Resort“. Traditionelle Hütten aus ganz Indonesien waren hier hergebracht und originalgetreu aufgebaut worden.

      Es wurde mediterrane Küche auf höchstem Niveau geboten, es gab einen großen Pool und eine wunderschöne Yoga-Hütte. Die unmittelbare Küstennähe rundete das beeindruckende Gesamtbild ab. Auch hier stand ein Amerikaner an der Spitze des Unternehmens. George war ein großer, athletischer und kahler Endvierziger aus Chicago mit schwarzen Doggen.

      Er war freundlich, aber unter anderen Umständen mochte ich ihm nicht begegnen. Rund um das Resort befanden sich viele Baustellen. Besonders wohlhabende Indonesier und andere Asiaten ließen sich hier nieder, sodass es in ein paar Jahren wohl auch nicht mehr so ein ruhiger und Touristenarmer Ort seien würde. In Canggu war nun auch die Surf-Option gegeben. Ich verzichtete und stattdessen machten wir, die Patchworkfamilie und ich, uns zu Fuß Richtung Kuta auf. Theoretisch ganz einfach: immer am Strand entlang.

      Praktisch jedoch war der Küstenstrich länger als gedacht und leider hatte ich kein Smartphone mit Navigation.

      Der Optimismus wurde schnell von Anspannung überlagert.

      Zu unserem Glück kamen wir mitten im Nirgendwo an einem kleinen Restaurant vorbei. Wir wurden herzlich begrüßt und man rief uns ein Taxi. Hier trennten sich unsere Wege und ich fuhr allein mit meinem Vater nach Kuta.

      Kurz nach Mittag erreichten wir Kuta und ohne klare Orientierung war unser Ziel zunächst, etwas Essbares zu finden. Ein Tandoori Restaurant kam uns da gerade recht. Ich aß eine indische Pilzsuppe und Chicken Tandoori.

      Vom Letzteren gab es für einen recht hohen Preis nur eine kleine Portion, die dafür jedoch perfekt zubereitet war. Der junge Kellner ließ sich von mir mit Fragen löchern, denn der Tandoori Ofen war etwas, was mich schon vorher fasziniert hatte. Ich schwamm in diesen Tagen auf einer Welle kindlicher Neugier und Begeisterung, was dann immer in nicht aufhören wollenden Gesprächen (Monologen) endete.

      Ich war so angetan, weil nicht nur im Tandoori-Stil gewürzt, sondern das Essen auch wirklich in einem Lehmofen zubereitet worden war.

      Zum Abschluss gab er mir einen kleinen Zettel mit seiner Telefonnummer und Adresse. Für den Fall, dass ich nach Bali zurückkehren würde und einen Job für ihn hätte. Gestärkt liefen wir noch etwas ziellos durch Kuta, bis wir in Küstennähe an einer Surfschule vorbeikamen, in der uns ein wohlbekanntes Gesicht begrüßte: Jeff.

      Noch immer leicht lädiert, saß er hier und wartete auf den Rest unserer Gruppe, die surfen war. Ein Mitarbeiter der Schule gab uns mit einem Wasserschlauch eine kleine Fußdusche, die aufgrund unseres Marsches Stunden zuvor im schlammigen Sand sehr willkommen war. Wenige Minuten später tauchten Lin und Co. auch am Laden auf. Wir fuhren gemeinsam zurück nach Desa Seni.

      Der unvermeidliche Tag der Abreise und des Abschieds war gekommen. Noch vor Beginn der Yogastunde morgens saß ich in dem kleinen Barhaus in der Mitte des Desa Seni Dorfes mit meiner Reiselektüre „Practical Ayurveda“ von Atreya Smith. Es war ein sehr interessantes Buch, weil der Autor seine eigene Geschichte erzählte. Er berichtete von einer schweren Darmerkrankung, die er mithilfe von Ayurveda in den Griff bekommen hatte. Nun saß ich da, um kurz nach sieben morgens, und trank einen tiefschwarzen balinesischen Kaffee. Vor der Abreise wollte ich ihn doch mal probieren, weil ich schon viel Gutes gehört hatte. Mein Gefühl, das er relativ stark war, bestätigte sich. Nach dem ich das letzte bisschen Flüssigkeit aus der Tasse getrunken hatte, blieb ein tiefschwarzer, dicker Kaffeesatz. Während des Lesens und Kaffeetrinkens versuchte ich unter Zuhilfenahme von Atreyas Beschreibungen meine Pulse zu ertasten und war begeistert, als ich sie gefunden hatte. Dann war es aber auch Zeit, sich auf die Yogastunde vorzubereiten. Meine Letzte auf Bali. Diese Stunde blieb mir in Erinnerung.

      Nicht weil wir irgendetwas Besonderes gemacht hätten, sondern weil Lin zu Beginn der Stunde uns etwas erzählte. Sie redete von Nächstenliebe und Respekt, gerade den Armen und Schwachen gegenüber. „Einem Bettler, auch wenn man ihn nichts geben kann, zumindest ein Lächeln zu schenken.“

      Ich saß ihr direkt gegenüber. Es war ein so intimer Moment, den sie mit uns teilte. Während sie erzählte, fing sie an zu weinen. Auch ich war sehr ergriffen. Ich fühlte mich in diesem Moment sehr mit ihr verbunden. Es schien so, als hätte sie ihr Herz für uns alle geöffnet. Nur wenig später folgte der Moment des Abschieds. Ich umarmte Lin und hob sie dabei hoch. Ich schenkte ihr zum Abschied einen kleinen „Ongkara“ Anhänger, der balinesischen Variante vom OM-Zeichen. Es war meine Lieblingsvariante des Zeichens.

      Zudem schenkte ich ihr ein Gedicht, das ich Monate zuvor auf Deutsch geschrieben hatte und für Sie ins Englische hier übersetzt hatte.

      Kopfkosmos

      Selten vermute ich:

      ...Die Menschheit verliert den Bezug zur Unendlichkeit

      und zerstört sich selbst.

      ...Die Dunkelheit das Licht und die Liebe auslöscht

      und ich das erste Opfer seien werde.

      ...Mein Leben ist eine schmerzhafte Qual

      und nur mir geht es so.

      Doch Beweise finde ich nie.

      Manchmal glaube ich:

      ...Dass die Welt durch Materialismus bestimmt wird

      und sich keiner mehr an Ethik, Nächstenliebe und Selbstlosigkeit erinnern will.

      ...Die Boten des Lichtes sind bereits vertrieben

      und ich bin allein und machtlos.

      ...Egal was ich tue, ich werde verletzt

      und meine Schwächen gnadenlos ausgenutzt

      ...Einsamkeit ist mein Schicksal

      und mein Herz gefriert für immer.

      Doch die Hoffnung verliere ich nie.

      Oft denke ich:

      ...Dunkle Wolken sind düstere Gedanken

      und ich versuche sie aufzulösen.

      ...Jeder Tag ist ein Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis

      und ich beschreite ihn mit Freude.

      ...Der Duft der Pflanzen stärkt meinen Körper

      und ich fühle mich in Harmonie mit der Natur.

      ...Ich empfinde echtes Glück

      und ein Kribbeln erfasst mein Gesicht.

      ...Ich bin ein Fremder in dieser Welt.

      Doch