Patrik Bitter

23 - Und Schnitt!


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mit Tacrolimus war dann das Ende der Fahnenstange erreicht. Ich hatte eine große Blutung, bestimmt einen halben Liter Blut auf einmal. Die Notoperation wurde anberaumt. Was genau dabei herauskommen würde, war ungewiss. Im besten Falle würde nur ein Teil des Dickdarms entfernt, im schlimmsten Falle der gesamte Dickdarm samt Teile von oder der gesamte Dünndarm. Es war der 7. April. Mein Vater war am selben Tag wieder aus China zurück und kam ins Krankenhaus, als ich gerade operiert worden war.

      Meine Mutter erzählte mir später, dass sie beide im Aufwachsaal gewartet hätten. Mein Vater war hysterisch und haderte an der Entwicklung. Auch hier muss sich wieder ein skurriles Bild gegeben haben: Er konnte es nicht akzeptieren. Er weinte und litt vor sich hin. Eine Pflegerin sagte zu ihm: „Reißen sie sich zusammen. Schließlich sind es nicht sie, der da drin liegt.“

      Anhand der OP-Berichte konnte ich später lesen, dass die Operation unter Vollnarkose sechs Stunden gedauert hatte.

      Ich kam in einem Aufwachraum mit mehreren Personen wieder zu Bewusstsein. Ich hatte mich über die Wochen an Schmerzen gewöhnt.

      Auf das, was ich jetzt jedoch spürte, war ich trotzdem nicht vorbereitet. Der Schmerz war so unerträglich, dass ich mit meinen Füßen strampelte, um es irgendwie aushalten zu können. Den Patienten neben mir ging es ebenfalls nicht allzu gut und die Schwestern waren sichtlich überfordert. So ließen sie ihren Verdruss auch an den Patienten aus.

      Ich kam nach und nach mehr zu Sinnen. Mir wurde erklärt, dass ich eine Schmerzpumpe hatte, die ich bei Bedarf drücken sollte. Die Dosis und Menge wurde automatisch geregelt. Häufiges Drücken führte also auch zu nichts.

      Wenig später wurde ich auf die Chirurgiestation verlegt. Im Gegensatz zur MX1, auf der ich zuvor gelegen hatte, war diese im noch nicht renovierten Teil der Klinik. Alte, mechanische Betten, Gegensprechanlagen um nach Pflegern zu rufen und Zimmer, die auf einem Stand von vor 30 Jahren waren.

      Eine Besserung sah anders aus: Ich hatte nun einen ZVK – zentraler Venenkatheter am Hals, durch den ich weiterhin niedrig-dosiert Kortison, die Schmerzmittel über die Pumpe, Flüssigkeit und nun auch künstliche Ernährung erhielt, dazu eine Magensonde, eine Wunddrainage links am Bauch, den Stomabeutel rechts am Bauch, eine große Wunde in der Mitte des Bauches und zu guter Letzt einen Urinkatheter – ich war voll verkabelt und fühlte mich schlimmer als je zuvor.

      Die Schmerzpumpe half mir nicht viel. Schlaf und Ruhe zu finden war jetzt noch weniger möglich als zuvor. Täglich bat ich bei der Visite um etwas gegen die Schmerzen, aber außer den Standardmedikamenten gab es nichts. Am Ende des Tages gab es meist eine Opiatspritze ins Bein, die mir dann zumindest wiederum für einige Minuten bis zu einer Stunde den Schmerz erträglich machte.

      Zuerst wurde ich die Magensonde los, dann den Urinkatheter. Leider konnte ich weiterhin kaum trinken. Daher überraschte es zumindest mich nicht, dass ich kein Wasser lassen konnte. Trotzdem wurde mir der Katheter noch einmal gesetzt – diesmal jedoch im Wachzustand. Viel möchte ich dazu nicht sagen, außer, dass es nicht angenehm war. Nach dem zweiten Versuch blieb er dann aber permanent draußen. Mir wurde dann auch die Armzerstecherei erspart, weil man nun über den ZVK einfach Blut abnehmen konnte.

      Meine Moral sank über die nächsten Tage zusehends, da sich mein Zustand kaum besserte. Hatte mir Dr. Tischler nicht versprochen, dass nach der Operation alles besser seien würde?

      Sogar das Bluten wollte nicht aufhören. In einer „Nachtaktion“ - es muss 3 oder 4 Uhr morgens gewesen sein - wurde ich in einen Raum mit Gynäkologenstuhl gebracht – unbeheizt – und mir ein spezielles Zäpfchen verpasst. Zwei Tage lang versuchte das Zäpfchen ein brennendes Gefühl, dann waren die Blutungen jedoch gestillt.

      Zwischenzeitlich wurde mir das Ergebnis der Untersuchung des entnommenen Organs mitgeteilt: Die Entzündung beruhte auf einer Infektion „unbekannten Ursprungs“. Das war dann wohl nichts mit der Colitis Ulcerosa Behandlung, dachte ich. Außerdem blieb dadurch die Angst, dass die Infektion alleine durch die Operation noch nicht ausgestanden war.

      Weiterhin fiel mir das Essen und Trinken schwer. Die künstliche Ernährung wurde mir aufgezwungen. Ich erreichte einen moralischen Tiefpunkt. Für mich hatte mein Zustand wenig mit Menschsein zu tun: Gefesselt an ein Bett, mit Schmerzen, künstlich ernährt und mit Medikamenten vollgepumpt. Zudem wurde entschieden, dass ich nach den ersten Tagen wieder „normale Kost“ zu mir nehmen sollte. „Der Junge muss ja wieder zu Kräften kommen“, sagte einer der Ärzte. An sich war die Aussage nicht falsch. Ich hätte jedoch erwartet, wenn man hier öfters solche Operationen durchführte, dass die Ernährung entsprechend abgestimmt würde. Ein künstlicher Darmausgang ist äußerst klein, und ballaststoffreiche, rohe und schwer verdauliche Lebensmittel verursachen Blockaden, starke Schmerzen und sogar Darmverschlüsse. Ich wurde zunächst ins offene Messer laufen gelassen: Oft waren die Speisen kaum durchgegart. Zudem gab es auch Bohnen und Pilze. Mein Glück war es, dass ich nur wenig essen konnte. Ansonsten wären noch mehr Schmerzen und Komplikationen vorprogrammiert gewesen.

      Doch mein größtes Problem blieb unerhört: Schnell merkte ich nach der Operation, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich konnte mich nur schwer an die Zeit vor dem Krankenhaus erinnern. Ich nahm kaum wahr, wann ein Pfleger kam und ging, geschweige denn, welchen Namen sie oder er hatte. Zumindest war mir zu dem Zeitpunkt noch bewusst, dass das vorher anders war. Ich schilderte es den Ärzten oft, doch meinten sie, das wäre nach so einer Operation normal. Das musste ich akzeptieren.

      Die Wunddrainage wurde nach einigen Tagen ebenfalls entfernt. Obwohl weiterhin Sekret aus der Wunde floss, wurde der Schlauch herausgenommen und die Öffnung zugenäht. Ich erhielt Besuch von einem Stomatherapeuten, der mir eine Broschüre in die Hand drückte und zeigte, wie ich die Stomabeutel und -platten zu wechseln hatte.

      Gerade in diesen Situationen wurde mir bewusst, dass ich mir kaum etwas merken konnte. Alles, was komplett neu war, wollte nicht so richtig haften.

      Die Broschüre zeigte, was man noch alles mit einem Stoma machen konnte: viele Bilder von Senioren, die noch Radfahren und Wandern konnten. Das war nun auch nicht sonderlich erbauend. Außerdem fanden sich darin die Ernährungsrichtlinien. Sie standen im krassen Widerspruch zur Kost, die ich bekam.

      Die Nekrose am Steißbein war weiterhin ein großes Problem. Ich wurde häufig auf eine Seite gelagert, wo die Schmerzen für mich noch größer waren als in Rückenlage.

      Die Pfleger kamen nur, wenn ich über die Gegensprechanlage mein Anliegen gut erklären und begründen konnte. Ich war meist zu schwach, um mich klar auszudrücken. Nur beharrliches Drücken und Bitten führte nach einigen Versuchen zum Erfolg. Eine der Schwestern erzählte, dass sie auch mal auf Bali war und dort ebenfalls an Darmproblemen litt. Sie ging zu einem balinesischen Heiler. Er gab ihr Kräuter, die ihr halfen. Es war eine interessante Geschichte, die an meiner Situation jedoch auch nichts mehr änderte.

      Die Stomaversorgungen taten ihr Übriges zu meinen Problemen. Sie waren zu klein und durchsichtig, sodass ich den noch geschwollenen und dunkelroten Ausgang samt Fäden stets sehen musste. Die Beutel wurden fast täglich durch starke Gasentwicklung undicht. Einige Male lag ich daher sogar im wahrsten Sinne des Wortes in der Sch**sse.

      Das Zimmer teilte mit mir ein alter Mann. Interessanterweise hatte er auch ein temporäres Stoma, doch bei ihm war es zurückverlegt worden. Bei ihm war es jedoch eine andere Ausgangssituation:

      Zuvor hatte er Darmkrebs gehabt. Deswegen waren Teile des Darms stillgelegt worden. So konnte bei ihm der Dickdarm wieder angeschlossen werden. Auch bei ihm lief nicht alles problemlos. Er holte sich nach ein paar Tagen eine Lungenentzündung und wurde dann mit Antibiotika behandelt.

      Meine schlaflosen Nächte wurden durch sein Röcheln und Husten zumindest etwas abwechslungsreicher. Womit wir beim Stichwort wären: Galgenhumor.

      Einige Tage nach der Operation hatte ich ein ganz komisches Gefühl. Irgendetwas würde passieren, sagte mir mein Bauchgefühl. Am nächsten Tag geschah dann etwas, auf das mich keiner vorbereitet hatte. Ich hatte einen Prolaps. Während ich auf dem Bett lag, kam mein Darm bestimmt 30 cm aus der Bauchdecke. In dem Moment dachte ich: Ich sterbe. Ich stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ein Arzt versuchte mit seinen Händen den Darm wieder rein zudrücken, nur um zu festzustellen,