Patrik Bitter

23 - Und Schnitt!


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kam es zu zähen Verhandlungen zwischen mir und der Freundin meines Vaters. Sie war ebenfalls Geschäftsführerin und Teilhaberin und die Einzige von uns mit einem geregelten Einkommen. Ich wollte, dass wir einen Kredit beantragen, um die Firma neu auszurichten. So ging es nicht weiter:

      Unsere Fixkosten überschritten unseren Gewinn Monat für Monat, wir verkauften fertige Produkte, die wir zukauften und unser Umsatz stagnierte. Die Verhandlungen mit ihr waren nervenaufreibend. Wir setzten einen Vertrag auf, dass mein Vater und ich das gesamte Risiko des Kredits tragen würden und noch viele andere Zugeständnisse zu ihren Gunsten. Als wir uns einig waren, war ich erleichtert. Alles war unterschrieben und ich hoffte, dass wir nun eine Lösung gefunden hätten. Ich machte meine Rechnung jedoch ohne sie. Am nächsten Tag informierte sie mich, dass ihr jemand davon abgeraten hätte.

       Letztendlich war meinem Vater und ihr die Firma egal. Sie hatte neben der Textilfirma ihres Bruders und ihrem Chirurgenjob noch eine kleine, eigene Akupunkturpraxis und er war noch freiberuflich in seinem alten Job tätig.

       So blieb mir nur, Geld aus meinen Reserven in die Firma zu investieren. Zunächst nur soviel, um die Firma am Laufen zu halten.

       Mein Vater holte wenig später seinen Cousin zu uns. Er war knapp um die 50, und zuvor jahrelang Verkäufer für alles Mögliche: Unter anderem Wäschespinnen und Tonerpatronen. Jetzt war er langzeitarbeitslos und für uns aufgrund der Unterstützung vom Arbeitsamt eine günstige Arbeitskraft. Er kam mit großem Elan und einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein zu uns, die schon an Überheblichkeit grenzte. Er hatte viele Vorschläge, von denen ich viele aufgriff und so wieder anfing, produktiv zu arbeiten. So hatte seine Anwesenheit durchaus etwas Positives.

       Lin meldete sich im Oktober auch wieder. Sie schickte mir ein Foto, auf dem sie einen großen Freudensprung machte, und forderte mich auf, ihr auch ein Bild zu schicken, auf dem ich einen ähnlichen Sprung mache. Ich konnte ihr nichts wirklich Positives berichten, außer ihr für das Bild und die Mail zu danken.

       Dann passierte etwas, dass eine große Signalwirkung hatte: Stevia wurde in den USA offiziell als Lebensmittel zugelassen. Nicht die ganze Pflanze, doch einige Inhaltsstoffe. Nun war es klar, dass die EU-Zulassung nicht mehr so fern sein könnte.

       Wir vertrieben Stevia seit 2003, und es hieß jedes Jahr, eine EU-Zulassung stünde bevor. Ohne eine Lobby war das wohl nicht möglich. Nun war die Lobby gegeben, denn in den USA hatten die Zulassung „Coca Cola“ und „Cargill“ tatkräftig angetrieben und die notwendigen Studien finanziert. Es war an der Zeit, die Firma neu auszurichten. Ich hatte eine klare Vorstellung, wie das auszusehen hatte:

       Wir brauchten eine eigene Marke mit professionellem Aussehen. Produkte mit eigenen Rezepturen, für uns in Deutschland hergestellt. Eine Webpräsenz, die professionell und ansprechend wäre.

       Dafür war nun mehr Einsatz nötig. Ich müsste auf mich selbst setzen. Eine riskante Wette.

       Zum Jahresende kam dann noch ein weiterer Tiefpunkt in der Beziehung zwischen mir und meinem Vater hinzu.

      Gerade nach diesem schweren Jahr für mich fuhr er mit seiner neuen Familie über meinen Geburtstag und über Weihnachten in die Türkei.

      Mehr und mehr wurde meine Mutter die Kraft in meinem Leben, die mich stützte.

       Für eine Weile funktionierte die Konstellation in der Firma.

       Ich ließ mich auf fast alle Vorschläge des Cousins meines Vaters ein, solange es nicht zu kostspielig war. Irgendwann kamen wir doch an einen Knackpunkt. Durch seine Art eckte er gerade bei meiner Mutter an, die schon jetzt mir auch in der Firma half. Er schaffte es, auch mich aus der Fassung zu bringen. Die Art und Weise, wie er mit mir umging, war wie mit einem Angestellten. Ich war sein Chef und das machte ich ihm dann einmal rigoros und lautstark klar. Ab dann waren die Fronten klar verteilt.

       In den nächsten Wochen kümmerte ich mich um Designentwürfe für die Marke und die Webseite. Hier prallten wieder Welten aufeinander. Sowohl er als auch mein Vater hatten sehr eigene Vorstellungen, die sich mit meinen absolut nicht vereinbaren ließen. Wäschespinnen und Tonerpatronen sind schon etwas anderes als ein natürliches Süßungsmittel, dachte ich nur.

      Fortan kümmerte ich mich alleine um das Vorantreiben der Projekte. Ich arbeitete klare Briefings aus, überwachte jeden Schritt der nun beauftragten Freiberufler. Nach ein paar Aufs und Abs stand dann Anfang 2009 zunächst das neue Markenlayout und die Firmenwebseite. Ich hatte einen jungen russischen Grafiker gefunden, mit dem ich das Markenlayout für „steviana“ entwickelte und einen jungen Polen, der zugleich technisch versiert und grafisch talentiert war, mit dem ich die Webseiten gestaltete. Zunächst wurde unser Online Shop neu gestaltet, dann eine Firmen- bzw. Markenpräsenz geschaffen und zu guter Letzt ein Communityportal zu Stevia. Wir fanden Partner und Lohnhersteller, die für uns kleine Mengen produzieren konnten und stetig entwickelte sich das Geschäft wieder in Richtung Profitabilität.

       Im April kam der Cousin meines Vaters dann zu mir. Er hatte seine Kündigung aufgesetzt und bat mich um meine Unterschrift. Ich war nicht überrascht und sogar etwas erleichtert: Seine Art zu verkaufen und Geschäfte zu machen passte nicht zu meiner. Ich war stets auf Ehrlichkeit und Authentizität bedacht, er hingegen auf Superlative und Aggressivität im Verkauf fokussiert. Er begründete seine Kündigung damit, dass er einen Job bei einer Werbeagentur in Köln gefunden hätte. Kurz nach der Unterschrift sagte er mir, dass er noch Resturlaub hätte und somit das sein letzter Arbeitstag wäre. Insgesamt war ich von der Art und Weise enttäuscht und spürte, dass das nicht die Wahrheit war.

       Mittlerweile hatte der Besuch von Lin im Sommer 2008 für mich eine andere Bedeutung. Je mehr Zeit verging, desto höher wurde für mich der Wert ihres Besuchs. Mehr und mehr hatte ich das Bedürfnis, ihr zu sagen, dass ich es zu dem Zeitpunkt nicht wertschätzen konnte und das es nun für mich unglaublich wichtig war. Sie war aus reiner Nächstenliebe zu mir gekommen, selbstlos und ohne Erwartungen.

       Mitte 2009 ging ich dann zu einem Neurologen in Essen. Ich schilderte meine Probleme und wie ich damit umging. Für ihn passte das alles auch nicht so zusammen – wäre ich wirklich so schwer depressiv, würde ich mein Leben nicht wieder so in Angriff nehmen. Er verstand, dass die Erfahrungen und die neuen Umstände, in denen ich nun lebte, nicht einfach waren.

       Über die nächsten Monate wurde es immer klarer, das meine Gedächtnisprobleme wohl eine andere Ursache haben müssten.

       Im Juni eskalierte die Situation in der Firma. Ich hatte die ständigen Querelen mit der Freundin meines Vaters satt. Sie hatte ihn voll in ihrer Hand und ich wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Als ich ihre Hilfe gebraucht hatte, um die Firma zu retten, hatte sie mich im Stich gelassen. Insgesamt hatte sie in der Firma nichts geleistet. Nun, als ich viel Zeit und Geld investiert hatte und diese Investitionen endlich Früchte trugen, wollte sie nicht gehen.

       Eigentlich wollte ich nur, dass sie als Geschäftsführerin Abtritt, denn sie tat faktisch nichts für die Firma, wohingegen ich Vollzeit arbeitete.

       Im Gegenteil: Sie wollte viel Geld von mir, damit ich vor ihr Ruhe hatte. Weiter benötigte die Firma jedoch Geld, um die Liquidität zu sichern. So forderte ich entweder ihre Unterstützung oder dass sie die Firma verlässt.

       Mein Vater und sie hatten mein Vertrauen missbraucht und Geld von unserem Firmenkonto auf ihr GbR Konto gebucht, was unser Konto in die Miesen brachte. Dazu kamen noch einige andere Dinge: Mein Vater ließ sich eine Bahnkarte finanzieren und sie ließen sich ihr Privatauto über die Firma finanzieren, inklusive Spritkosten und KFZ-Steuer. Sie nötigten mich, Spirulina Produkte zu kaufen und zu verkaufen. Auch dass sie den Firmensitz gegen meinen Willen verlegt hatten, ein teures Büro und Büromöbel von dem hart erarbeiteten Geld meiner Firma gekauft hatten, spielte eine Rolle.

       Mein Vater konnte sich daraufhin einen Kommentar nicht verkneifen: „Du hast vielleicht Geld, ich nicht“. Als ob das meine Schuld wäre. Sein Neid war seit dem Krankenhaus stets spürbar.

       Es kam einige Tage später zu einer Gesellschafter-versammlung mit dem Schwager meines Vaters als Schiedsmann. Letztendlich einigten wir uns auf ihr Ausscheiden, mein Vater machte ihr gegenüber wohl einige finanzielle Zugeständnisse, die mir nie wirklich klar waren. Soweit ich weiß, verpflichtete er sich, ein Jahr kostenfrei für sie zu arbeiten und ihr für ihren Anteil