Ulrike Vaube

Frauenglück


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drei Tagen krank, zu krank für Sex gewesen. Und wie er mitbekam, dass ich dieses Mal wegen der längeren Anfahrt bereits am Freitagnachmittag gehen würde, machte er ein Gesicht, als würden ihm sämtliche Felle davon schwimmen, und im Besonderen das am oberen Ende meiner Beine.

      Das Gehöft bestand aus drei eingeschossigen, u-förmig um einen Hof herum gruppierten Häusern. Die alten, schiefen Steinplatten in ihrer Mitte grenzten vor dem linken Haus an ein Blumenbeet, vor dem rechten an ein Kräuterbeet. Im linken Beet wuchsen wie in einem echten Bauerngarten alle erdenklichen Sommerblumen wild durcheinander. Er bot einen so bunten Anblick wie die Farbpalette eines Malers kurz vor dem Feierabend. Wicken, Sommerastern, Margeriten, Kornblumen und Nelken, die einen besonders würzigen Geruch verströmten. Rechts, im Kräuterbeet wucherten Schnittlauch, Petersilie, Basilikum, Minze, Zitronenmelisse, Zitronenverbene und etwas das ein bisschen wie Sellerie aussah, aber eine bizarrere Blattform hatte. Vor dem mittleren Haus standen zwei beige Zement-Töpfe, groß wie Traktorräder, mit rotem Oleander. Die Mitte des Hofes wurde von einer Pergola überdacht. Die quadratische Holzkonstruktion verschwand nahezu gänzlich unter Weinranken. Auch an einem heißen Tag wie heute würden sie an dem langen Holztisch mit seinen zwei Holzbänken im Schatten sitzen. Von dort führten zwei breite Sandsteinstufen zur Poolebene hinab. Das ovale Schwimmbad war nicht groß, nicht länger als sieben Meter, doch zum Plantschen und Abkühlen würde es reichen. Was früher einmal Ställe und was Bauernhaus gewesen war, ließ sich von außen nicht mehr erkennen. Das Gebäude war bis zur Unkenntlichkeit renoviert worden, nur wenn man das Holzfachwerk genauer betrachtete, sah man, dass es sich um Jahrhunderte alte Bausubstanz handelte.

      Das Erstaunlichste an den drei Häusern war ihre Inneneinrichtung. Ein jedes war im Stil einer anderen Epoche eingerichtet. In der Mitte lag die mittelalterliche Burg, rechts davon das französische Landhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert und links Mies van der Rohes Feriendomizil. Natürlich schauten wir sechs uns alle drei Häuser an. Es wurden hier die Intarsien eines Wohnzimmerschranks gelobt, dort bewundernd über den Samt eines Sesselbezugs gestrichen, und als Frauke im französischen Landhaus ein Himmelbett entdeckte, klatschte sie vor Freude in die Hände. Wer in welchem Haus übernachten wollte, ergab sich wie von selbst. Eva und Stephanie wählten die Burg. Die Wände waren düster gestrichen, es gab wenige Fenster, dafür einen riesigen, offenen Feuerplatz. Und über allem thronte ein Kronleuchter, der auch Tarzan ausgehalten hätte, wie Eva bemerkte. Trudi und Frauke zogen sich ins französische Landhaus zurück, das Frauke sofort auf den Namen ‚Quartier Français‘ taufte. Durch die dem Hof abgewandten Flügeltüren trat man auf eine rosengesäumte Terrasse mit Sicht auf die Weinberge. Die abschüssigen Rebenreihen in ihrem akkuraten Raster, nur hier und da tanzten ein paar Schösslinge aus der Reihe, würden auf sie eine magische Kraft ausüben, sinnierte Trudi und breitete die Arme aus, gerade so als wollte sie diese Kraft einfangen. Bei ihr als Gärtnerin würde das wohl unter Berufskrankheit laufen, amüsierte sich Frauke.

      Anneliese und ich bevorzugten die strengeren Formen der Moderne. In unserem Flügel war das Mauerwerk der Fachwerkgiebelwand des Wohn- und Esszimmerbereichs durch Glas ersetzt worden, sodass wir den Parkplatz zwischen den alten Eichen sehen konnten. Allerdings wurden unsere Autos von einem, direkt vor unserer Nase geparkten, weinroten, alten Rolls-Royce verdeckt.

      „Ist außer uns noch jemand hier?“

      Ich deutete auf den Wagen.

      „Nein, der gehört dem Besitzer. Er lässt ihn mit Absicht dort stehen, damit die Aussicht ein wenig verschönert wird, hat er mir erzählt“, grinste Anneliese.

      Wir warfen uns in unsere Badesachen und machten uns frisch. In meinem Fall bedeutete das, die Wimperntusche zu erneuern, die ich so selten auftrug. Wieder einmal war sie rund um die Augen verschmiert. Ich sah aus als hätte ich zu Hause bittere Abschiedstränen vergossen. Aber nichts lag der Wahrheit ferner. Als Anneliese mich abgeholt hatte, war ich mit dem angenehmen Gefühl des Entkommens bei ihr ins Auto gesprungen. Wegen Klaus‘ Grippe, hatte ich vorerst auf die Implementierung des kühnen Plans, den ich auf Juttas Terrasse gefasst hatte, verzichten müssen. Mein Mann hatte, seit er krank war, kaum mehr die notwendigsten Worte mit mir gewechselt. Er schien sich Lichtjahre von mir entfernt in einer ihm eigenen Welt zu bewegen. Sein Schweigen war die Strafe für mich. Es war eine stumme Schuldzuweisung. Ich war an allem schuld: Denn ich hatte keine Lust, seinem fiebrigen Schwanz zur Erlösung zu verhelfen. Es war meine Schuld, dass wir seit sechs Tagen keinen Sex hatten. Und bereit wie der Kirchgänger zum Abendmahl trank ich aus dem bitteren Kelch, nahm die Schuld an, und verhielt mich Klaus gegenüber extra lieb und extra fürsorglich. Vielleicht, überlegte ich, sollte ich an unserem Damen-Wochenende einmal das Thema ‚Schuld‘ anschneiden, nur so ganz allgemein, vielleicht verbunden mit dem Vorschlag, doch einmal Dostojewskijs ‚Schuld und Sühne‘ zu lesen? Ich wusste, Trudi liebäugelte seit längerem mit der russischen Literatur. Waren Frauen etwa genetisch prädisponiert für Schuldgefühle, konnten sie nicht anders, als Schuld auf sich zu laden? Oder hatte eine Jahrtausende alte, religiöse Erziehung verhindert, dass sie sich je vom Sündenfall erholen konnten. Hatte nicht bereits alles im Paradies begonnen, als Eva die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis pflückte?

      Ich musterte mein Antlitz im Spiegel. Meine blauen Augen blickten traurig zurück. Sie waren dunkler als sonst. Sie hatten die Farbe eines Meeres ohne Schaumkronen. Es fehlte ihnen das Glitzern, das helle Glitzern der Lebensfreude, des Wissens um ein glückliches Morgen. Hatten Anneliese und die anderen auch schon bemerkt, wie schlecht es mir ging? Ich unterzog den Rest meines Gesichts einer schnellen Routineuntersuchung. Die braunen, schulterlangen Haare saßen gut. In weiser Voraussicht hatte ich meinen letzten Friseurbesuch samt Farbspülung auf das Buchclubwochenende abgestimmt. Und die sündhaft teure Nachtcreme, eine von Stephanies Empfehlungen, schien tatsächlich zu helfen. Zwar sah mein Gesicht morgens immer etwas aufgeplustert aus, als hätte ich die ganze Nacht bei geschlossenem Fenster und voll aufgedrehtem Heizkörper geschlafen, doch die Lach- und Denkfalten waren eindeutig geglättet. Dafür störten ein paar neue, hässliche Furchen, die senkrecht von der Oberlippe Richtung Nase verliefen. Ich beschloss, Stephanie um Rat zu fragen. Ich versuchte verschiedene Mimiken. Ich war keine Raucherin. Aber woher kamen nur diese Falten? Mein Gesicht hing ganz nahe vor dem Spiegel. Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitzschlag, schnell, ohne Vorwarnung und unerbittlich. Ich zuckte zurück. Man konnte es mir ansehen! Andere Frauen konnten mir ansehen, wie oft ich meinem Mann einen blies. Wie von selbst formten meine vollen Lippen ein schockiertes ‚O‘. Das war es! Erschrocken kniff ich die Lippen zusammen, bis sie lediglich einen Strich in meinem Gesicht bildeten. Die Falten waren annähernd verschwunden. Allerdings konnte ich nicht den ganzen Tag mit zusammengekniffenen Lippen herumlaufen. Sollte ich die Falten über meinem Mund stolz zur Schau tragen wie ein Versehrtenmal, eine Verwundung, die ich mir im jahrelangen Zweitages-Kampf zugezogen hatte? Ein Mal, das meinen Genossinnen zurief, ‚seht her, dies alles tue ich für meinen Mann!‘ Im Hof knallten die ersten Sektkorken. Ja, ich würde meine Verwundung mit den anderen feiern. Und ich würde sie zu meinem Triumph machen. Seit dem Nachmittag auf Juttas Terrasse hatte ich einen Plan.

      Ich trat aus unserem Van-der-Rohe-Haus. Die anderen standen in leichter Badekleidung auf der Poolterrasse herum. Nur Eva hatte sich keinen Sarong um die Hüften geschlungen. Sie musste sich und ihren Körper immer in Szene setzen, sei es mit extra teuren, Figur betonten Designerklamotten oder wie in diesem Fall mit dem knappsten Bikini, den ich an einer Frau ihres Alters je gesehen hatte. Eva war die Verkörperung dessen, was die Männer gemeinhin als scharf bezeichneten. Ich gesellte mich zu den anderen. Frauke drückte mir einen Willkommenstrunk in die Hand. Jemand hatte Johannisbeerlikör mitgebracht und Trudi mixte fleißig Kir Royal.

      „Mensch, Anneliese, wie bist du eigentlich an den tollen Schuppen gekommen, und das zu diesem Preis?“, erkundigte sich Stephanie gerade.

      „Beziehungen“, antwortete Anneliese mit einem geheimnisvollen Lächeln und schüttete Cashewnüsse und gesalzene Mandeln auf rote Pappteller, deren Farbe erstaunlich gut zu unseren Getränken passte.

      „Und wo wohnt er?“, fragte Eva frech.

      „Wer?“

      „Du kannst aber auch fragen, deine Beziehung natürlich!“

      „Er hat ein Wochenendhaus dort oben auf dem Hügel.“

      Anneliese