Ulrike Vaube

Frauenglück


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die Sache ins rechte Licht rücken zu müssen. Meine gelegentlichen Artikel für den Kreisanzeiger hatten nur wenig mit Architektur zu tun. Nein, seit sechzehn Jahren baute ich ausschließlich an meinem eigenen Kerker herum.

      „Architektin, das war ich einmal, aber das ist lange her. Ich habe mittlerweile einen anderen Job.“

      Unbewusst verdeckte ich mit meinem Zeige-, und Mittelfinger die Falten über meiner Oberlippe.

      „Wenn es keine Klagen gibt, können wir ja nun weitermachen“, schlug Stephanie vor.

      Martin wollte sich verabschieden, man konnte ihm jedoch ansehen, wie seine Neugierde in ihm die Oberhand gewann.

      „Anneliese erzählte, Sie hätten einen Buchclub?“

      „Genau“, erwiderte Frauke vorlaut. „Wir lesen Bücher, unterhalten uns darüber, und in unserer freien Zeit schreiben wir auch … äh … schmutzige Literatur. Bücher mit dem gewissen Extra, wenn Sie wissen, was ich meine.“

      Frauke hatte die Augen halb geschlossen und den Kopf auf die Seite gelegt, was sehr sexy aussah.

      „Frauke!“, lachte Trudi auf, und Eva fing wie ein Schulmädchen hinter vorgehaltener Hand zu kichern an.

      Martins Entgegnung, ging im allgemeinen Gelächter der Damen unter.

      „Ich habe es demnach mit den ‚Calender Girls‘ der Literatur zu tun?“, wiederholte Martin seine Frage etwas lauter.

      „Also hören Sie mal, so alt sind wir auch wieder nicht“, entrüstete sich Frauke und strich ihr honigblondes Haar aus ihrem Puppengesichtchen.

      „Oder sehen wir etwa so aus?“, fragte Eva, wie üblich auf der Jagd nach einem Kompliment.

      Himmel, dachte ich, was war nur mit meinen Freundinnen los? Da tauchte ein gutaussehender, reicher Kerl auf, und sie hatten nichts Besseres zu tun, als sich ihm mit Wort und Tat an den Hals zu werfen. Konnte man ihr Verhalten für uns Frauen diesseits der Vierzig als repräsentativ bezeichnen? Oder bekamen die Weiber es zu Hause nicht oft genug gemacht? – Eine von Klaus Vermutungen. Vielleicht würden sie ja liebend gerne mit mir tauschen. Aber nein, die Falten würden sie sicherlich auch nicht haben wollen. Unvermutet drängte sich mir ein anderer Gedanke auf. Und wenn die 2-Tage-Regel eine allgemein gültige Regel war, eine Stammtischregel, an die sich alle verheirateten Männer und ihre Frauen hielten, nach der es alle machten? Müssten die Damen dann nicht dieselben Falten haben wie ich? Und wenn sie die nicht hatten, konnte das doch nur eines bedeuten: Sie hatten die Falten weggespritzt! Bei Eva konnte ich mir das durchaus vorstellen, bei Frauke zur Not auch, aber bei Trudi? Ich beschloss, den Damen noch heute Abend auf den Zahn beziehungsweise die Oberlippe zu fühlen.

      Der nackte Küchenchef

      Wir waren überrascht, unseren Vermieter so bald wiederzusehen. Als wir eifrig schnatternd zu unserem Tisch auf der Terrasse des ‚Le plat du jour‘ geführt wurden, saß Martin zusammen mit einer jungen Schönheit nicht weit von uns entfernt. Die junge Frau hatte lange, blonde Haare, große, blaue Augen und derartig ebenmäßige Gesichtszüge, dass sie beinahe langweilig aussah. Die beiden unterhielten sich angeregt. Zwischen ihnen standen Weingläser, Kerzen und ein halbleeres Brotkörbchen. Eva, Frauke und Trudi stürzten sich hinter vorgehaltener Hand sofort in eine Kurzanalyse.

      „Der fährt den zweiten Satz.“

      „Das ist die Trophäen-Frau. Wie die ihm ihr Dekolleté unter die Nase hängt ist ja widerlich.“ „Habe ich mir gleich gedacht. Wenn einer so gut aussieht, kann er nicht von der treuen Sorte sein.“

      „Katrin, sieh dir mal die geilen Aufreißerschuhe an, die der trägt“, forderte Eva mich mit Kennermine auf und nickte zu Martins rechtem Schuh, der wie eine schwarz-weiß geflecktes, neugieriges Kätzchen unter der langen, weißen Tischdecke hervorschaute.

      „Ich will nicht wissen, wo sein anderer Fuß ist.“

      Oje, war mir dieser typische Klausausspruch wirklich über die Lippen gerutscht? Auf einmal herrschte Stille am Tisch, doch nur für einen winzigen Augenblick.

      „Aber Katrin“, empörte sich Stephanie, „was sind denn das für Worte!“

      Klaus-Worte. Jedoch sagen konnte ich das nicht. Ich erschrak. Hatte ich Klaus‘ Sprache bereits soweit verinnerlicht, dass ich sogar laut in ihr dachte?

      Die Bedienung kam, um unsere Bestellung aufzunehmen. Außer Frauke aßen alle eine Vorspeise. Da einige von uns Fisch bestellten, die geräucherten Forellenfilets waren eine lokale Spezialität, und andere ein Fleischgericht, einigten wir uns auf eine Flasche Riesling und einen Pinot Noir. Als der Wein kam, stießen wir auf das Restaurant und die gelungene Tischreservierung an. Auf der Terrasse war es voll geworden. Es war einer der ersten lauen Sommerabende. Das Zirpen der Grillen wurde von leiser, klassischer Musik begleitet. Ich tippte auf Händel. Es roch nach feucht gewordenem, frisch gemähtem Gras. Vor der Terrasse, auf dem Rasen lag ein eingelassener, beleuchteter Fischteich. Die Goldfische waren karpfengroß und bewegten sich mit einschläfernder Langsamkeit. Irgendwo plätscherte Wasser. Ich betrachtete abwechselnd die Fische und Martins fellbesetzten Katzenschuh. Den Damen hörte ich nur mit einem halben Ohr zu. Der Katzenschuh lag in der Richtung des Fischteichs auf der Lauer. Wann würde der Katzenschuh in den Fischteich springen? Die Vorstellung ließ mich laut auflachen.

      „Was ist daran so komisch, dass wir immer noch kein Essen haben?“, fragte Stephanie irritiert.

      „Nichts, ich habe mir nur gerade überlegt, ob ich mir so einen Goldfischkarpfen selber an Land ziehen soll, wenn die das in der Küche nicht schaffen.“

      Ich deutete zum Teich hinüber.

      „Du hast doch gar keinen Fisch bestellt“, erinnerte mich Anneliese.

      Martin und seine schöne Begleiterin bekamen ihr Hauptgericht serviert. Sie bedankten sich bei der Bedienung mit demselben knappen Kopfnicken, woraus ich sofort schloss, dass die beiden schon öfter gemeinsam aus Essen gewesen waren. Irgendwie beruhigte mich das. Wie würde Klaus sagen: Das ist kein One-Night-Stand. Klaus kannte sich aus. Er hatte viele One-Night-Stands gehabt. Aber seit wir verheiratet wären, hätte es damit ein Ende, und darauf wäre er sehr stolz, meinte er in regelmäßigen Abständen. Um zu hinterfragen, was genau es mit diesem Stolz auf sich hatte, dazu hatte es mir bisher an Mut gefehlt. Ein Gefühl, wie wenn man sanft fallenden Schneeflocken zuschaute, hatte mich bisher davor bewahrt, die Hand auszustrecken, zu fragen, denn ich befürchtete, von der Antwort wie von der kalten Nässe der auf meiner Haut schmelzenden Flocken desillusioniert zu werden. War ICH stolz darauf, in sechzehn Jahren keinen Seitensprung begangen zu haben? Nein. Und warum nicht? Für mich hatte diese Tatsache nichts von einer Leistung oder Errungenschaft an sich. Ich war einfach ein aus Prinzip treuer Typ. Ich hatte vor meiner Ehe nur einen One-Night-Stand gehabt und den nur, um mitreden zu können, und weil ich auch auf diesem Gebiet meine Jungfräulichkeit verlieren wollte. Es war eine äußerst unpersönliche Angelegenheit gewesen, unter normalen Umständen hätte ich mich so schnell wie möglich bemüht sie zu vergessen, wenn ich dabei nicht meine erste außerkörperliche Erfahrung gemacht hätte. Ich konnte uns von der Zimmerdecke aus beobachten. Er lag auf mir, ich schlaff unter ihm und er rammelte auf mir herum wie ein Hase. Seine langen, durch einen Mittelscheitel geteilten Haare waren Ohren, Rammlerohren, die hin und her flappten. Gerade hatte ich sie noch von oben gesehen, da wippten sie wieder über mir. Ich lachte verwundert. Das rhythmische Vor und Zurück stoppte abrupt – Koitus abruptus. Und das war gut so, da wir vorher nicht einmal genügend Zeit gehabt hatten, uns über das Thema Verhütung zu unterhalten.

      Trudi war die erste von uns, die nach der Vorspeise die Toilette aufsuchen musste. Danach gingen wir in schneller Reihenfolge rundum. Alle wollten die nackten Küchenchefs sehen. Sie befanden sich auf der Herrentoilette. Warum Trudi in die Herrentoilette gegangen war, blieb unklar, gab aber Anlass zu zahlreichen, heftigen Spekulationen. Im Vorraum über dem Händetrockner hingen sie. Überschrieben war das Poster mit ‚La route des vins d’Alsace‘. Darunter waren ungefähr zwanzig Portraits von Köchen abgebildet, mit Kochschürzen und -mützen, nackt und von hinten aufgenommen. Manche