Ulrike Vaube

Frauenglück


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was sage ich in solch einem Fall? ‚Die Zwanzigjährigen haben nun mal auch nicht alles‘“, gab Eva im Brustton der Genugtuung von sich.

      „Warum, was hatte seine denn nicht? Für mich sah sie ziemlich perfekt aus“, konstatierte Frauke und hielt sich ihr kühles Weinglas an die Wange.

      „Ganz einfach, Erfahrung“, erwiderte Eva mit einem Seufzer, der zum Ausdruck bringen sollte, in welchem Übermaß sie selbige besaß.

      „Was musst du morgen bei ihm machen?“, fragte Trudi Anneliese.

      „Martin und ich haben zurzeit einen sehr reichen und überaus schwierigen Kunden. Er ist Amerikaner und kann leider nichts visualisieren. Der Arme hat überhaupt kein Vorstellungsvermögen. Martin will ihm morgen in seinem Haus ein paar unserer Ideen quasi ‚in natura‘ zeigen. Was ist, Katrin? Du machst ein Gesicht, als wäre dir einer auf die Füße getreten.“

      – Ja, und zwar mit Katzenfellschuhen.

      „Findest du es nicht nett von Martin, dass er dich eingeladen hat?“

      Die Enthüllungen

      Ich saß am Pool, legte den Kopf in den Nacken und machte mich über dem nächtlichen Südhorizont auf die Suche nach dem Sternbild des Skorpions. Obwohl ich, wenn ich gefragt würde, nicht in der Lage wäre es aufzuzeichnen, fiel es mir im Sommer nie schwer seine Konstellation unter den Millionen von Sternen am Firmament ausfindig zu machen. Es war ein unbewusstes Erkennen, wie das einer Pinguinmutter, wenn sie nach der Nahrungssuche zu ihrem Jungen in der Pinguin-Kolonie zurückkehrte. Heute Abend war ich ein Kind der Sterne, mit dem kindischen Wunsch, dass diese Nacht nie vorübergehen sollte. Die Sterne beschützten mich. Ihre Unendlichkeit hatte nichts Beängstigendes an sich. Unter ihnen fühlte ich mich so geborgen wie im Schoß der drei Gebäude um mich. So eins wie mit meinen Freundinnen. Sie waren ein Teil von mir, so wie ich ein Teil von ihnen war. Ich war glücklich. Die Welt mit all ihren Sternen war in mir. Ich fühlte mich eins mit dem Universum. Ich fühlte mich eins mit mir selbst. Ich schloss die Augen und überließ mich meinem Glücksgefühl. In meinem Kopf fing sich alles an zu drehen. Ich riss die Augen auf. Die Sterne brachten mich wieder an meinen Platz zurück. Ich war ihr Kind, heute Abend war ich ein Kind der Sterne. Nüchtern betrachtet hasste ich das Gefühl zu viel getrunken zu haben, zu merken, wie mir langsam die Kontrolle über mich selbst entglitt. Würde es helfen, wenn ich mich einfach vornüber in den Pool fallen ließe, oder würde es reichen den Kopf ins Wasser zu stecken? Aus Gründen der Einfachheit entschied ich mich für den Kaffee, den die anderen tranken, stieg die Stufen zur Pergola hinauf und setzte mich zu ihnen an den Tisch. Jemand hatte gute, dunkle Schokolade mitgebracht.

      „Wo ist Frauke?“, fragte Stephanie.

      „Die hat vorsorglich zwei der Anti-Kater-Pillen von ihrer holistischen Ärztin geschluckt und ist ins Bett gegangen. Wirklich erstaunlich, wie viel sie bei ihrer kleinen Statur verträgt. Früher hat sie nie so viel getrunken. Manchmal frage ich mich, ob wir sie nicht auf ihre Probleme ansprechen sollten. Dafür sind wir schließlich da“, meinte Anneliese und schaute in Trudis Richtung.

      „Ich weiß nicht. Sie hat doch ihre Lebensberater und … ich weiß nicht“, verstummte Trudi.

      „Vielleicht solltest du, als ihre beste Freundin, ihr erzählen, dass wir uns Sorgen machen“, fügte Anneliese hinzu.

      „Jedenfalls war Frauke ganz schön in Fahrt. Fandet ihr nicht? Wie die den Koch angemacht hat … zum Glück hatten wir keine Männer hier, die wären heute Abend vor unserem Fraukelein nicht sicher gewesen“, scherzte Eva.

      „Naja, vor dir auch nicht“, entfuhr es mir unter Einfluss des Alkohols schärfer als gewollt. „Ich verstehe nicht, wieso ihr die Männer immer so gnadenlos anmachen müsst. Ist es, damit ihr sie nachher umso härter fallen lassen könnt? Oder seid ihr etwa bereit, das zu halten, was ihr mit eurer Kleidung und eurem anzüglichen Getue versprecht?“

      Ich wusste, ich war im Begriff, zu weit zu gehen, aber es gab kein Zurück mehr. Letztendlich hatte sie die Silikon-Titten, an denen sich mein Mann aufgeilte, um später seinen Dampf an mir abzulassen. Und ich? Ich hatte die Blow-Job-Falten!

      „Werde erwachsen Katrin, es ist alles ein Spiel.“

      „Spiele sind für Kinder“, entgegnete ich wütend und starrte Eva über die flackernden Kerzen an.

      „Nur, weil du nicht mitspielen willst, kannst du nicht diejenigen kritisieren, die es tun. Wir haben Spielregeln.“

      „Wer bestimmt die Spielregeln? Sind sie allgemein gültig? Und besagen sie auch, dass die Männer die ihr aufgeilt, sich nicht zu Hause an ihren armen Frauen abreagieren sollen.“

      „Arme Frauen! Wie prüde du dich anhörst.“

      Wenn ich eines nicht bin, dann ist es prüde, hätte ich Eva am liebsten ins Gesicht geschleudert.

      „Katrin, es ist überall um uns herum im Fernsehen, in den Zeitungen, auf der Straße … wir leben im Zeitalter des Sex, falls du es noch nicht bemerkt hast!“

      „Ja, und im Zeitalter der Äußerlichkeiten. Sind wir nicht auf dem besten Weg, uns von den hoch entwickelten Lebewesen, die wir sind, von der von uns erschaffenen, kulturellen Umwelt auf ein tierisch, sexuelles Etwas reduzieren zu lassen?“

      Vielleicht war Klaus, das Etwas, das mich fickte, am Ende das Opfer unserer Zeit, ständig aufgegeilt zum einen durch die Medien, zum anderen durch die Weiber um ihn herum, kurz, ein gebeutelter reizüberfluteter Mann, dem seine Hormone den Rest gaben?

      „Interessanter Punkt“, warf Anneliese ein.

      – Oje, hatte ich laut gedacht?

      Ich konnte Anneliese ansehen, dass sie die Diskussion zwischen Eva und mir genoss. Warum sagte Stephanie nichts? Stephanie war die Emanzipierteste von uns allen. In ihrer Studentenzeit hatte sie bahnbrechende Autorinnen der feministischen Bewegung gelesen, angefangen von Simone de Beauvoir über Betty Friedan bis hin zu Kate Millett. Doch jetzt war sie gänzlich in den Anblick der Zuckerdose vor ihr auf dem Tisch vertieft.

      „Schau Katrin: Jeder Mann, dem ich begegne, schaut mir als Erstes in den Ausschnitt und erst danach ins Gesicht.“

      Wie um ihre Aussage zu bekräftigen, beugte sich Eva nach vorne, um mir einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté zu gewähren.

      „Und was war mit Martin?“

      „OK, es gibt Ausnahmen.“

      „Du provozierst es. Wenn du nicht wolltest, dass die Männer dir auf die Ti… Brüste schauten, würdest du dich anders anziehen. Begreif doch, Eva, du hast es nicht nötig. In meinen Augen bist du eine selbstbewusste, liebenswerte Frau mit Grips, die sich nicht über ihre Ti… Brüste definieren muss.“

      „Aber Katrin, du verstehst nicht, es ist überall um uns herum. Und wenn man über die vierzig ist, muss man sich etwas einfallen lassen, um nach wie vor dazu zu gehören.“

      „Du meinst, wie zum Beispiel einen Boob-Job.“

      Eva zuckte zusammen. Sie faltete die Hände über der Brust, wie um sie vor solchen rüden Anschuldigungen zu schützen.

      „Du kannst das vermutlich nicht nachvollziehen“, sagte sie leise. „Meine Eltern waren ganz einfache Leute. Mein Vater war Müllkutscher. Meine Mutter hat in der Zahnradfabrik gearbeitet. Sie hatte zu Hause nicht viel zu melden. Ich war ihr einziges Kind. Ich sollte es einmal besser haben. Mit meinem Aussehen würde ich es weit bringen, hatte mein Vater immer betont. Und glaube mir, in meiner Welt war das Aussehen wichtig“, schnaubte Eva. Sie hatte sich in Fahrt geredet. „In der Schule hat mich der Mathelehrer vor dem Durchfallen bewahrt. Er war frisch von der Uni und ein kleines bisschen in mich verliebt. Wir hatten diesen Deal … Und nach der Schule war ich es, die unter den sechs Bewerberinnen den Ausbildungsplatz zur Reisekauffrau bekommen hat. Ich hatte beim Vorstellungsgespräch dieses weit ausgeschnittene T-Shirt getragen. Mein Chef … ach, egal.“ Eva schüttelte ihre bunten Haare aus dem Gesicht und blitzte mich an. „Und warum, denkst du,