Ulrike Vaube

Frauenglück


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die holistische Ärztin, die Fußreflexzonenmasseurin und ihre buddhistische Wahrsagerin würden ihr davon abraten. Die Wahrsagerin hätte übrigens ihren Hund erfolgreich von seinem Schilddrüsenleiden kuriert. Seitdem wäre er zwar zum Vegetarier geworden, aber es gäbe Schlimmeres für einen Hund, oder nicht, hatte sie gelacht.

      Wenn mich jemand fragen würde, mein Verhältnis zu Frauke zu beschreiben, würde ich antworten, es ist wie das eines Schmetterling-Fängers zu einem wunderschönen Schmetterling. Ich konnte Frauke nicht zu fassen bekommen. Sie flatterte permanent zwischen uns fünfen hin und her, machte immer dort mit, wo gerade am meisten los war und lachte dabei am lautesten. Ihre Lebensberater, deren Weltanschauungen sie immerzu mit großer Begeisterung kurzfristig adaptierte, wechselten ständig. Nur ihrer Wiener Wahrsagerin, zu der sie zweimal im Jahr zu einer Konsultation flog, war sie bisher treu geblieben. Als ich Anneliese einmal von meinen Schwierigkeiten mit Frauke erzählte, bestand ihr Trost aus genau sieben Wörtern: ‚Die hat jede Menge Leichen im Keller.‘ Aber hatten wir die nicht alle, diese ungelösten, unlösbaren Probleme, die wir seit Jahrzehnten in den Kellern unserer Seelen fein säuberlich unter Verschluss hielten?

      Trudi verstand sich am besten mit Frauke. Wenngleich die beiden grundverschieden waren. So flatterhaft Frauke war, so bodenständig war Trudi. Frauke war zierlich mit einem Gesichtchen wie eine Käthe-Kruse-Puppe mit langen, honigblonden Haaren und großen blaugrünen Babyaugen. Trudi, beinahe doppelt so lang wie Frauke, hatte breite, slawisch geschnittene Gesichtszüge mit hohen Wangenknochen und dunkelbraunen fast schwarzen Augen. Das eckige Gesicht wurde durch den kinnlangen Bob noch betont. So würde das Resultat von Generationen von Bauern aussehen, hatte sie einmal geklagt. Zugegeben Trudi war nicht so hübsch wie Frauke, doch irgendwie sah sie meiner Meinung nach interessanter aus. Es musste an der geschmackvollen Art liegen, wie sie sich zurechtmachte. Nur die Reste von Blumenerde unter ihren Fingernägeln zeugten von ihrem bäuerlichen Erbe und standen in krassem Gegensatz zu Fraukes fein säuberlich, im französischen Stil manikürten Nägeln. Trudi betrieb eine kleine Gärtnerei neben dem Friedhof.

      Sicherlich, meinte sie einmal, die Lage wäre nicht optimal, sie bekäme leider nicht viel Laufkundschaft. Die meisten ihrer Kunden wären tot, aber zum Leben würde es reichen. Frauke andererseits kannte keine Geldsorgen. Lothar, ihr Mann, hatte eine sehr gut gehende Rechtsanwaltspraxis. Ihren Beruf als Rechtsanwaltsgehilfin, würde sie zwischenzeitlich eher zuhause ausüben, hatte sie Klaus und mir, als wir uns vor ein paar Jahren auf einer Party kennengelernt hatten, mit einem seltsam anzüglichen Lächeln erklärt. Meine Vorstellungen, was Fraukes Heimarbeit betraf, ich hatte an Akten tippen gedacht, wurden von Klaus als naiv hingestellt. Quatsch, der hätte die zuhause wahrscheinlich in einem Talar rumrennen, ohne was drunter, so würde die ihrem Rechtsanwalt helfen. Obwohl Frauke Klaus Mutmaßung logischerweise nicht gehört hatte, lud ich sie, vermutlich aus einer Mitleidsregung, noch am selben Abend zu unserem nächsten Buchclubtreffen ein.

      Evas Haut hatte einen gesunden Olivton. Und gerade als ich mir überlegte, wie viele Stunden sie an den Wochenenden mit Sonnenbaden verbracht haben musste, tönte sie:

      „Alles Selbstbräuner. Geht auch im Wasser nicht ab. Schaut!“

      Zum Beweis rieb sie mit ihrem Zeigefinger zwischen ihren unnatürlich auf der Wasseroberfläche treibenden Brüsten herum, die irgendwie an Fettaugen auf einer Hühnerbrühe erinnerten. War an Eva überhaupt etwas echt, fragte ich mich. In ihren Haaren schimmerten so viele verschiedene Farbtöne, dass ich nicht hätte sagen können, welche Farbe sie eigentlich hatten. Blond-rot-braun kam der Sache am nächsten. Außerdem hatte sie sich kürzlich die Zähne überkronen lassen. Deren mäuseartiges Aussehen, hätten nicht zu ihrem Image gepasst, hatte sie sich uns gegenüber verteidigt. Für wen machte Eva das alles? Und von welchem Geld? Sie und ihr Mann betrieben ein Reisebüro. Versprach sie sich von ihren Hasenhauern mehr Kundenverkehr? Oder war es so, dass Eva den Verkehr hatte und ihr Mann die Kunden? Vielleicht war Eva gar nicht so treu wie sie immer beteuerte, und die Depressionen ihres Mannes hatten einen ganz anderen und um ein Vieles realeren Grund?

      Anneliese war mit ihrem Sektglas in der Hand in den Pool gegangen. Nun stellte sie das leere Glas auf dem Poolrand ab und stieg aus dem Wasser. Ich musste an Klaus Worte denken: ‚Ganz schön scharf für eine Großmutter‘. In den sanften Strahlen der inzwischen tiefer stehenden Sonne sah Anneliese beileibe nicht wie eine dreiundfünfzigjährige Großmutter aus.

      „Welches Buch sollen wir zuerst besprechen den ‚Nachtzug nach Lissabon‘ oder ‚Erklärt Pereira‘?“, fragte Anneliese, während sie sich genüsslich abtrocknete.

      Wenn wir für ein Buchclubwochenende weggingen, nahmen wir uns oft zwei Bücher vor.

      „Ich bin dafür, dass wir mit Antonio Tabucchis ‚Pereira‘ beginnen“, schlug ich vor. „Für den ,Nachtzug‘ brauchen wir mehr Zeit. Den besprechen wir morgen, wenn wir frisch sind.“

      „Du meinst frisch verkatert“, fügte Frauke kichernd hinzu.

      „Du brauchst ja nicht dauernd soviel zu trinken“, wandte Stephanie ein und sprach aus, was mir bereits auf der Zunge gelegen hatte.

      „Gut, wir treffen uns in einer Viertelstunde auf der Terrasse vor Trudi und Fraukes Quartier Français“, verkündete Anneliese munter. „Und bis dahin wird kein Alkohol mehr getrunken! Der Pereira hat schließlich auch immer nur Limonade getrunken.“

      „Das war bei ihm aber aus politischen Gründen“, warf Frauke leicht verschnupft ein.

      „Mensch Frauke, toll! Du hast das Buch gelesen!“, rief Trudi überschwänglich aus.

      „Du hast es nur gelesen, weil es so schön dünn ist, gib es zu!“

      Eva hatte mit dem was sie sagte nicht ganz unrecht. Frauke fehlte für dicke Bücher schlichtweg das Durchhaltevermögen. Normalerweise redete sie sich heraus. Sie hätte das Buch angefangen, aber irgendwie sei es nicht hundertprozentig in ihren Interessensbereich gefallen. Und nach drei Jahren Buchclub musste leider gesagt werden, das einzige, was hundertprozentig feststand, war, dass nichts hundertprozentig in Fraukes Interessensbereich fiel.

      Ich trat durch die französischen Flügeltüren auf Trudi und Fraukes rosenumsäumte Terrasse. Der helle Natursteinboden unter meinen Füßen glitzerte in der Abendsonne. Am Nachmittag hatte Trudi uns erklärt, die korallenroten Rosen würden Duftwolke heißen. Unwillkürlich kam mir Ingeborg Bachmann in den Sinn: ‚Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen ist die Nacht von Dornen erhellt, …‘ Normalerweise mochte ich Gedichte nicht sehr, aber beim Lesen dieser Zeilen vermeinte ich damals die mit Rosenduft durchtränkte, schwüle Luft eines Sommergewitters zu riechen. Hier, auf der Terrasse mischten sich die Duftwolken mit dem Schwefelgeruch, der von den Weinbergen herauf wehte. Die untergehende Sonne filterte durch das Laub der Reben und tauchte alles in ein warmes, weiches Licht. Die Umrisse der sauber getrimmten Reihen, die Schatten dazwischen, alles verschwamm im goldenen Licht. In der Ferne schimmerten Dächer. Doch das Dorf war zu weit entfernt, um Einzelheiten erkennen zu können. Grillen zirpten. Es würde ein lauer Abend werden. Perfekt für ein nächtliches Baden im warmen Pool, dachte ich. Frauke hielt schon ein Glas Weißwein in der Hand, Anneliese war dabei sich einzuschenken. Die beiden saßen an einem Bistrotisch. Auf der Marmorplatte standen ein irdener Wasserkrug und eine Schale mit grünen Oliven. Trudis halbmondförmige Lesebrille, ihr verbeulter Strohhut und der aufgeschlagene ‚Pereira‘ lagen daneben. Es sah aus wie ein Stillleben, das darauf wartete auf eine Leinwand gebannt zu werden. Trudi stand drei Meter entfernt und versuchte die Bohème Stimmung mit ihrem Photoapparat einzufangen. Anneliese winkte mich heran.

      „Komm mit aufs Bild Katrin! Bei der Beleuchtung siehst sogar du gut aus.“

      Das konnte nicht ihr Ernst sein, oder? Die Hauptbedingung für eine Aufnahme in unseren Literaturclub wäre wohl, dass man gut aussähe, und nicht, dass man des Lesens und Schreibens mächtig sei, hatte Klaus einmal behauptet.

      Tief in mir begann eine dumpfe Saite zu schwingen. Es wäre schade, meinten meine Eltern, dass sich das gute Aussehen in unserer Familie in der männlichen Linie fortgepflanzt hätte. Worin genau meine Schönheitsmängel bestanden, wurde nie gesagt. Ich war überzeugt, dass sich meine Eltern auf meinen Nasenhöcker und meine zu kleinen Augen bezogen. Auch Schminke konnte