Ulrike Vaube

Frauenglück


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Alle standen stramm, die muskulösen oder nicht so muskulösen Beine eng aneinander geschmiegt. Keiner gab den Blick frei auf einen vorwitzigen Pipimann oder dessen Anhängsel. Nur der dreizehnte hatte O-Beine, aber zu sehen war trotzdem nichts. Die meisten der Photos waren am Arbeitsort entstanden. Im Hintergrund sah man Töpfe, Pfannen, Siebe, Schaumlöffel, Küchenanrichten, Gasherde, alles aus hellglänzendem, rostfreien Stahl. Ein Bild war in einem Kräutergarten aufgenommen worden, ein anderes vor einem riesigen Lavendelbusch. Den Koch, hinter dem ein Fischteich mit karpfengroßen Goldfischen zu sehen war, beschaute ich mir näher. Im Gegensatz zu Anneliese war ich keine ‚Popologin‘. Hinterteile törnten mich im Allgemeinen nicht an. Der Mann auf diesem Bild war muskulös, ein Koch, der sicherlich viele Gemüsekisten und halbe Schweine herum wuchtete, und ich musste zugeben, sein Hintern hatte etwas, das gewisse Etwas, was die Po-begeisterte Anneliese wahrscheinlich als die perfekte Form bezeichnen würde, und was mich irgendwie an Klaus erinnerte.

      Beim Hauptgericht wurde unser Gespräch von den nackten Köchen beherrscht.

      „Ich finde es diskriminierend, dass sie nur auf der Herrentoilette hängen“, beklagte sich Anneliese.

      „Hast du denn bei den Damen nachgeschaut?“, fragte Trudi.

      „Ich weiß gar nicht wieso ihr euch über so ein paar Männerpos so aufregen könnt“, meinte Stephanie, verdrehte die Augen und spießte mit mehr Vehemenz als nötig die Gabel in ihr Lammkotelett.

      „Nun tu doch nicht so, als würde dir das alles am Hintern vorbeigehen“, kicherte Frauke.

      „Der Wirt ist wahrscheinlich schwul“, stellte Eva fest, „sonst würde er so etwas nicht in der Männertoilette aufhängen.“

      „… oder der Koch … oder sie sind beide schwul und sie sind ein Paar“, ergänzte Frauke.

      „Unser Vermieter kommt bestimmt öfter hierher, du kannst ihn ja fragen“, schlug Eva vor und nickte in Martins Richtung.

      „Oder du fragst unseren Koch persönlich“, murmelte Trudi.

      „Oh, hallo, da sind Sie ja. Sind Sie der nackte Chef? Könnten Sie sich gerade mal kurz umdrehen, damit ich mir ganz sicher sein kann?“

      Annelieses und mein Kopf schnellten gleichzeitig von unseren Tellern hoch. Neben unserem Tisch stand ein Mann mit Kochschürze und -mütze. Anneliese brachte wegen ihrer vollen Backen nur ein Hamsterlächeln zustande. Ich hingegen wurde rot bis zu den Haarwurzeln und fragte mich wieder einmal, ob es mir je gelingen würde, aus dieser pubertären Zurschaustellung meines Schamgefühls herauszuwachsen. Schnell glitt mein Blick zu den anderen Damen. Außer Stephanie und mir schien die Situation niemandem peinlich zu sein, und Frauke gleich gar nicht.

      „Entschuldigen Sie, welcher Nachtisch ist das, den die Gäste dort hinten essen?“

      Stephanie wies zu Martins Tisch. Der Koch drehte sich um. Sechs Augenpaare trafen sich auf seinem kariert behosten Hinterteil. Anneliese leckte sich die Lippen.

      „Bratensoße“, erklärte sie mit einem entschuldigenden Grinsen in meine Richtung.

      „Das ist eine Pavlova“, er drehte sich wieder zu uns um, „mit frischen Waldbeeren, eine Spezialität des Hauses.“

      „Sieht vorzüglich aus“, pries Eva und hob langsam die Augen von seiner Schritthöhe.

      „So, wenn die Damen weiterhin keine Fragen mehr haben, dann wünsche ich Ihnen einen guten Appetit, und bewahren Sie sich ein kleines Plätzchen für die Pavlova auf“, verabschiedete er sich und verschwand so plötzlich wie er aufgetaucht war.

      „Der hat gar nicht reagiert. Denkt ihr, er hat nichts bemerkt?“, wunderte sich Stephanie.

      „Du meinst, als wir ihm alle auf den Po gestarrt haben? Das hat er, denke ich, nicht gesehen“, gab Frauke mit einem süffisanten Lächeln zurück.

      „Und war er’s?“, fragte Eva.

      „Klar war er’s!“, diagnostizierte Anneliese fachmännisch.

      „Was, schwul?“, fragte Stephanie ungläubig.

      „Nein, sein Po“, prustete Eva los.

      Die anderen stimmten in das Gelächter mit ein. Stephanie warf ihre Serviette hin und erhob sich zu ihrer vollen Körpergröße von einem Meter zweiundachtzig.

      „Bist du jetzt eingeschnappt?“, erkundigte sich Eva in gespielt erschrockenem Ton.

      „Nee, muss nur noch mal nachschauen gehen.“

      Weiteres Gelächter explodierte um den Tisch herum. Eigentlich traute man Stephanie mit ihrem belehrenden Getue und ihrem strengen Äußeren gar keinen Humor zu. Die rotblonden Haare trug sie immer straff nach hinten gebunden. Ihre braune Hornbrille war zugegebenermaßen modisch, aber beherrschte ihr Gesicht viel zu sehr, was wohl an dem scharfen Kontrast zu ihrer beinahe krankhaften Blässe lag. Die Blässe ließ sich bei ihr als Berufskrankheit bezeichnen. Stephanie war unsere Kosmetikberaterin, und in der ihr verbleibenden Zeit praktizierte sie als Hautärztin. Im Unterschied zu vielen ihrer Kollegen hätte sie noch einen Ehrenkodex, hatte sie mir zu Beginn unserer Freundschaft erklärt. Wenn gewisse Patientinnen in die Praxis kämen, mit gewissen Wünschen, wie zum Beispiel Botox gespritzt zu bekommen oder sonstigen kleineren, kosmetischen Eingriffen, würde sie im Geiste ihren Doktorvater konsultieren. In ihrem Sprechzimmer, hinter dem Patientenstuhl, hätte sie ein Photo von ihm aufgehängt, auf dem er ihr die Doktorwürde überreichte. Seine Devise wäre stets gewesen, ‚man solle sich von den nicht wirklich kranken Menschen nicht die Zeit stehlen lassen, in der man den wirklich Kranken helfen könnte‘. Stephanie betrieb demnach eine botoxfreie Praxis, was nicht bedeutete, dass sie eine botoxgespritzte Stirn nicht erkannte, wenn sie ihr geboten wurde.

      Martins Begleiterin stand auf. Ob sie auch auf die Herrentoilette ging? Martin saß alleine am Tisch und schaute mich an. Mich? Gut Stephanie und Anneliese konnte er schlecht ins Auge fassen, die saßen mit dem Rücken zu ihm. Aber was war mit Eva? Zur Feier des Abends hatte sie ein überaus raffiniertes Oberteil angezogen, mit vorne einer Schleife, die den Eindruck erweckte, man müsse nur an ihr ziehen, um ihren armen, hochgequetschten Brüsten in die wohlverdiente Freiheit zu verhelfen. Trug sie nicht die drei simplen Buchstaben S-E-X, am Ausschnitt beginnend, vertikal über ihre Vorderseite verteilt? Oder Trudi, in ihrem schwarzen Spaghettiträger-Kleid, die Haare etwas tiefer in der Stirn, was ihre slawischen Gesichtszüge noch besser zur Geltung brachte. Oder Frauke mit ihren vom Alkohol geröteten Bäckchen, die Augen halb geschlossen, sahen sie nicht alle verführerisch aus? Mein Blick kehrte zu Martin zurück. Er nickte mir zu. Was hatte das zu bedeuten? Bemühten sich meine züchtig zugeknöpfte Bluse und ich nicht genug, keine sexuellen Signale auszusenden, im Gegensatz zu den drei Damen um uns herum? Mann-oh-Mann, als ob ich zuhause nicht schon genug zu tun hätte!

      „Guten Abend, meine Damen. Es freut mich, dass sie soviel Spaß haben. Ich will Sie auch nicht lange stören …“

      „Ach Martin, du störst uns doch nicht“, fiel Anneliese ihm ins Wort.

      „Gut. Ich wollte dich nur kurz fragen, wann du morgen vorhattest, vorbei zu schauen?“

      Anneliese besann sich einen Moment.

      „So um die Mittagszeit herum, wenn es dir recht ist?“

      „Perfekt. Jake kommt um halb eins.“

      Martin wandte sich zum Gehen, hielt jedoch inne, als wäre ihm soeben noch etwas eingefallen.

      „Ach Katrin, wenn Sie Lust haben, können Sie Anneliese ja begleiten. Sie als Architektin würde das bestimmt auch interessieren.“

      Ich war keine Architektin mehr, wie oft musste ich ihm das noch sagen? Ich merkte, wie ich rot wurde, aber dieses Mal nicht vor Scham, sondern vor Zorn. Was wollte dieser blöde Schnösel mit den weichen Katzenfellschuhen und dem harten Haselnussblick von mir? ‚Die Männer, Katrin, wollen immer nur das Eine‘, hatte die kühle, distanzierte Stimme meiner Mutter mich im Alter von dreizehn Jahren aufgeklärt.

      „Sie als Architektin, würde das bestimmt auch interessieren“,