Ulrike Vaube

Frauenglück


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erklärte ich nachdrücklich.

      Eva lächelte traurig.

      „Ich wusste du würdest es nicht verstehen.“

      Wie hatte ich mich gerade noch mit der Welt und meinen Freundinnen so eins fühlen können, wenn unsere Welten so verschieden waren? Eva war in eine Welt hineingeboren und erzogen worden, in der die Spielregeln eindeutig von den Männern aufgestellt worden waren. Es war wichtig gewesen gut auszusehen. Ich war in einem Akademikerhaushalt groß geworden. In unserer Familie zählten die sogenannten inneren Werte. Waren ich und meine Familie in der Minderheit? Was war schlimmer: Wie Eva ein wunderschön anzusehender Apfel zu sein, von dem keiner wusste, dass er im Inneren am verfaulen war, weil ihn alle immerzu bewundernd ansahen und keiner ihn probieren wollte? Oder wie ich, das verrunzelte Äpfelchen, das super lecker schmeckte, was jedoch auch keiner wusste, da keiner es ansah und es erst recht keiner probieren wollte? Waren nicht in beiden Fällen die inneren Werte des Apfels verloren? Würde nicht die Lösung des Problems, darin bestehen, neue Spielregeln aufzustellen. Waren wir dies nicht unseren emanzipatorischen Vorkämpferinnen schuldig? Spielregeln, die unter anderem besagten, dass wir nicht spätestens alle zwei Tage die Beine breit zu machen brauchten.

      „Ich kenne den Grund, warum Frauke sich einen Spaß daraus macht, die Männer aufzugeilen“, bekannte Trudi und durchbrach somit das Schweigen, das um den Tisch herum entstanden war. „Aber ich weiß nicht, ob ich es euch sagen kann.“

      Hatte Trudi Tränen in den Augen?

      „Alles, was hier gesagt wird, bleibt unter uns“, meinte Anneliese ernst. „Das weißt du doch.“

      Sie warf Trudi einen aufmunternden Blick zu. Trudi biss auf ihrer Unterlippe herum und wir anderen sahen ihr dabei zu.

      „Also gut“, fing sie zögernd zu reden an. „Als sie ziemlich betrunken war, hat Frauke mir einmal erzählt, ihr Vater hätte manchmal so komische Spielchen mit ihr gespielt. An das meiste könnte sie sich nur vage erinnern, sie wäre noch sehr klein gewesen. Er hätte sie nicht in direktem Sinne missbraucht …“

      Trudis Worte schlugen bei mir ein wie eine Bombe. ‚Er hätte sie nicht direkt missbraucht‘? Ich hatte ihren Vater vor einem Jahr bei Fraukes Vierziger-Party kennengelernt. Auf der Einladung hatte damals gestanden, wir sollten in einem sexy Outfit auftauchen. Klaus hatte sich schon gefreut, in seiner Tanga-Badehose gehen zu können. Ein altes ausgeleiertes Ding, das hinten wie vorne gleich wenig verbarg. Ich hatte es ihm glücklicherweise ausreden können. Schlussendlich hatte er seine alte krachlederne, kurze Hose angezogen, seine bayrische Tante hatte sie ihm zum Achtzehnten geschenkt. Die obersten zwei Knopfreihen hatte er nicht mehr zubekommen, daher hatte der Latz auf eine etwas obszöne Art nach unten gehangen. Am Oberkörper war er bis auf das Lederhosengeschirr nackt gewesen. Ich war in Ermangelung einer besseren Idee so hingegangen, wie ich aus der Dusche gekommen war. Ein kleineres Badehandtuch hatte ich um den Kopf, ein größeres locker um den Körper geschlungen. Von außen betrachtet hatte es so ausgesehen, als würde mir das Handtuch jeden Moment von der Brust gleiten. Aber natürlich hatte ich es von innen mit zahllosen Sicherheitsnadeln so festgesteckt, dass es sich keinen Millimeter bewegte. Selbst Klaus‘ spätere Auswickelversuche auf der Tanzfläche hatten ihm nichts anhaben können.

      Und ich hatte mich den halben Abend lang angeregt mit einem Mann unterhalten, der gerne mit kleinen Mädchen herummachte, und dem es nichts ausmachte, wenn dieses kleine Mädchen seine eigene Tochter war – Hilfe! Auch jetzt, als ich an die Geburtstagsfeier zurückdachte, konnte ich es nicht glauben: Ich hatte mich zusammen mit einem Kinderschänder über das Motto der Party und die vielen leicht bekleideten Partygänger mokiert! Fraukes Vater hatte in seiner Bundfaltenhose mit Hemd und Krawatte genauso fehl am Platz gewirkt wie ich. Aus diesem Grund waren wir miteinander ins Gespräch gekommen. Ich erinnerte mich, ich hatte ihn als einen distinguierten, völlig asexuellen, älteren Herrn eingestuft. Nicht ein einziges Mal hatte er auf meine bloßen Schultern oder meinen Badehandtuchausschnitt geschielt. Er hätte früher an einem humanistischen Gymnasium als Lateinlehrer gearbeitet. Auch heute würde er noch täglich Virgil oder Homer lesen, hatte er mir erzählt. Ich konnte es nicht fassen, hatte ich mir bisher zu Unrecht etwas auf meine gute Menschenkenntnis eingebildet?

      „Sie findet es prima, die Männer anzumachen. Sie lässt sie jedoch nicht echt an sich heran. Irgendwie ist es als würde sie an ihnen Rache verüben“, mutmaßte Trudi. „Deshalb sind Lothar und sie bereits seit einiger Zeit bei einer Eheberatung.“

      „Ach wie, du meinst, Frauke hat auch bei ihrem Mann Schwierigkeiten Nähe zuzulassen?“, fragte Anneliese.

      Trudi nickte stumm und schaute in ihr leeres Weinglas als könnte sie dort eine andere Antwort finden.

      „‘Schwierigkeiten Nähe zuzulassen‘, das hatten wir doch letzthin in einem Buch“, fiel mir ein. „Entsinnt ihr euch an diesen Sprachwissenschaftler, der zu einer Konferenz nach Italien ging, den Mund nicht aufbekam und nicht einmal seiner Tochter von seinen Problemen erzählen konnte?“

      „Du meinst ‚Perlmanns Schweigen‘ das ist wie der ‚Nachtzug nach Lissabon‘ auch von Peter Bieri?“, half Stephanie nach.

      „Genau, und dieser Perlmann war höchst depressiv und keiner hat es bemerkt“, meinte Eva, die sich mit Depressionen bei Männern, oder um präzise zu sein, bei denen ihres Mannes, bestens auskannte.

      „Frauke nimmt Antidepressiva“, offenbarte Trudi.

      „Wie, und dazuhin trinkt sie so viel?“, entfuhr es Stephanie. „Das ist nicht gut.“

      Ich war geschockt. Frauke tat mir leid. Sie war die erste aus unserer Gruppe, von der ich erfuhr, dass sie Antidepressiva nahm. Sie sollte nicht die Einzige bleiben.

      Zum Glück hatte Frauke nicht gehört, wie ich sie noch vor wenigen Minuten in denselben Topf mit Eva geworfen hatte, was das Anmachen von Männern betraf. Trotzdem nahm ich mir in meinem angedudelten Zustand vor, mich morgen bei ihr zu entschuldigen.

      „Ich weiß nicht, ob eine Eheberatung das Richtige ist. Um Fraukes emotionalen Block zu behandeln, müsste sie …“, hob Anneliese an, wurde aber von Stephanie unterbrochen.

      „Ich denke, den beiden könnte eine Eheberatung helfen.“

      Wurde Stephanie rot, oder täuschte ich mich.

      „Du hörst dich an, als wüsstest du, von was du redest“, bohrte ich nach.

      Stephanie wurde definitiv rot.

      „Ich, wir, Christoph und ich“, stotterte sie herum, „waren auch einmal, ich meine …“

      „Wie, ihr ward auch einmal bei einer Eheberatung?“, fragte Eva ungläubig nach und bekam große Augen. „Ich dachte immer, nach Anneliese hättest du die beste Ehe von uns allen. Zumindest hast du dich immer so angehört.“

      Kämpfte Stephanie mit den Tränen?

      „In jeder guten Ehe, gibt es eine Zeit der Probleme. Ich hatte Tage, da hat es mich schon alleine aufgeregt, wie Günther ins Frühstücksbrötchen gebissen hat“, gab Anneliese zum Besten.

      Ihre Bemerkung erzielte jedoch nicht den gewünschten Effekt. Keiner lachte. Im Gegenteil, Stephanie brach in Tränen aus, Eva und Trudi machten bestürzte Gesichter, und ich hatte inzwischen das dumpfe Gefühl, die Hauptverantwortliche für die dramatische Wende zu sein, die unser sorglos-netter Abend genommen hatte.

      „Christoph hat eine … er hat eine Freundin“, brachte Stephanie unter Schluchzen hervor.

      Wir schwiegen betroffen.

      „Es geht bereits seit einiger Zeit. Sie, sie ist alles, was ich nicht bin. Sexy, klein, …“

      Der Rest ging in ihrem haltlosen Schluchzen unter. Anneliese erwachte als erstes aus ihrer Starre und nahm Stephanie spontan in die Arme.

      Wiederum legte ich den Kopf in den Nacken. Ich war aus den Sternen gefallen. Ihr Glanz zerfloss zusammen mit den Tränen auf meinen Wangen. Ich fühlte mich schuldig, und die Sterne standen kalt und zu weit weg am Nachthimmel. Sie konnten mir nicht mehr helfen. Ihr vielversprechendes Funkeln,