Susanne Kilian

Brave Tochter, altes Kind


Скачать книгу

jetzt oder in der Zukunft, jedes Fest im Haus meiner Eltern läuft in den letzten Jahren haargenau nach dem gleichen Schema ab.

      Das sind meine „Schnittchentage".

      Da bin ich fast den ganzen Tag bei meinen Eltern.

      Mein Mann bringt mich hin, gratuliert und macht sich - so schnell es geht - aus dem Staub.

      Sohn oder Tochter kommen, gratulieren und sind verschwunden.

      Oder sie rufen an.

      Oder sie rufen nicht an.

      Weil sie es vergessen haben oder was weiß denn ich … das ist natürlich unmöglich.

      Und wer kriegt dann den ganzen Tag das Gejammer ab?

      Klar.

      Nächsten Monat steht der Geburtstag meiner Mutter an.

      Ab und zu schleichen sich Bemerkungen dazu in die allabendlichen Telefongespräche ein.

      Etwa die ewige Frage:

      „Wer kommt?"

      Aber es ist ja noch Zeit.

      Die Tischdecken wird sie schon mal sichten.

      Auch Gläser und Geschirr im Schrank schon mal durchspülen.

      Das muss ja alles sauber sein.

      Wenn man in den Schrank greift und da wäre was staubig, weil ewig nicht gebraucht …

      Nicht auszudenken.

      Vielleicht macht sie eine Torte?

      Vielleicht belegt sie einen Obstboden?

      Ich fasse es nicht, das ist immer das Gleiche.

      Muss sie ständig ihre genauesten Anweisungen geben?

      Könnte sie mich nicht einfach mal machen lassen, wie ich mir das denke?

      Das würde mir viel Zeit sparen.

      Keine tagelanges Geschwätz, nein, nicht am Telefon.

      Da habe ich gefälligst bei ihnen anzutanzen.

      Und dann machen wir doch wieder wie eh und je die vermaledeiten „Schnittchen".

      Aber es hilft ja nichts.

      Morgen ist es wieder so weit.

      Eine Woche vor ihrem Geburtstag.

      Und wir werden eine Woche lang von nichts anderem reden.

      Der Geburtstag

      Same procedure as …

      Wir sitzen in der Küche und sind wie vor jedem Fest beim ewig gleichen Thema.

      Da lagert teurer Wein und kostbarer Sekt im Keller.

      Den muss man endlich mal trinken.

      Ich lege keine Flasche kühl und kippe das Zeug nachher weg.

      Der Keller ist zu warm, die Sachen sind nicht optimal gelagert und mit Sicherheit untrinkbar.

      Meine Eltern werden das nie einsehen.

      Aber weil sie sich nicht blamieren wollen und ich mich standhaft weigere, erkämpfe ich mir am Ende doch die Erlaubnis, Wein und Sekt zu kaufen.

      Das ist wenigstens auch für dieses Mal klar.

      Wer kommt?

      Kommt überhaupt jemand?

      Ich kann’s wirklich nicht mehr hören.

      Natürlich kommt immer irgendjemand.

      Auf den Einkaufszettel gehören:

      Kräcker. Spundekäs'. Trauben.

      „Kauf nur keine kernlosen, die schmecken ja nicht."

      Wären für mich aber bequemer. Sie braucht die anderen ja nicht zu entkernen.

      „Also in zwei Farben. Blau und grün. Die mit Kernen sind auch größer. Kauf die."

      Na eben.

      Wie immer.

      Die kommen auf die mit rosa Spundekäs' bestrichenen Kräcker.

      Ich hätte lieber runde, sie besteht auf TUC von ALDI.

      Sekt. Orangensaft. Orangensaft mit Sekt. Wasser? Wein?

      „Wie Wasser? Wein? Also wirklich! Das trinkt man doch nicht beim Empfang. Wer soll das da schon trinken? Wenn überhaupt jemand kommt. Wasser und Wein gibt’s nicht beim Empfang. Das gibt’s erst später. Wenn jemand kommt."

      Tja dann.

      Die Schnittchen reicht man auch erst um Viertel vor zwölf und in keinem Fall zusammen mit den Kräckern.

      Ja, das kenn ich.

      Und dann wird jeder hin und her und vor und zurück genötigt, bis alle aufgegessen sind.

      Ein Theater ist das immer.

      Peinlich.

      Für die Schnittchen schreibe ich endlos lange Listen:

      „Unbedingt Hackepeter. Ja. Den isst dein Vater so gern. Der muss sein. Da machst du dann wieder ganz ganz dünne Zwiebelringelchen drauf. Wenn die zu dick sind, kann man die nicht richtig kauen, viel zu hart. Gekochten Schinken auch, dünn geschnitten, aber bloß nicht zu dünn. Der fällt sonst auseinander. Und Kaiserfleisch. Das auch dünn geschnitten. Bring nur keinen rohen Schinken mehr, der ist ja nicht zu beißen mit unseren Zähnen. Nein. Auch hauchdünn geschnitten nicht. Wie sieht das denn aus, da denken die Leute, die kommen, wir wären geizig. Nein. Lass den weg. Gut wäre eine feine Salami. Aber nicht wieder so scharf! Letztes Mal war die viel zu scharf. Guck mal nach einer anderen. Die muss aber hauchdünn geschnitten sein. Da kannst du ja dann drei oder vier Scheibchen drauf legen. Und Silberzwiebelchen. Nicht so groß, die ganz ganz kleinen."

      Als ob es riesige Silberzwiebeln gäbe. Gürkchen. Maiskölbchen.

      „Lass nur den eingelegten roten Paprika weg. Der liegt so schwer im Magen, den verträgt auch nicht jeder. Wenn überhaupt jemand kommt. Ach, dass man auch nie weiß, wer kommt …“

      „Ihr ladet ja auch nie jemand ein, dann wüsste man das besser …"

      „Also Susel. Das haben wir noch nie gemacht. Wer kommt, kommt. Nur wenn jemand kommt, wann kommt er dann? Na vor elf Uhr glaub ich ja nicht. Manchmal kommen die aber auch schon früher, so um zehn Uhr. Da muss alles fertig sein. Dein Vater aus dem Bett und gefrühstückt. Die Kräcker machst du ja immer erst hier. Die weichen sonst durch. Da darfst du aber nicht zu spät kommen. Ja wann kommst du denn überhaupt?"

      Sie wird ja dann gar keine Ruhe haben, muss ständig ans Telefon rennen, an die Tür …

      Ach, und dass mein Vater dann auch noch Ende des Monats Geburtstag hat, da darf sie jetzt gar nicht dran denken.

      Mein Gott.

      Mir wäre es auch lieber, wenn die zwei stressigen Schnittchentage mehr übers Jahr verteilt wären. Hat aber den Vorteil, dass ich nach diesem Monat erst mal wieder Luft holen kann. Aber mich fragt hier sowieso keiner.

      „Das Brot. Kauf kein Weißbrot. Nimm das Dreikorn. Du schneidest das doch wieder in Dreiecke? Petersilie. Tomaten. Nimm nur die ganz kleinen. Obwohl … da ist die Schale so hart. Na, nimm sie trotzdem. Die sehen hübsch aus. Fällt dir jetzt noch was ein? Du garnierst das doch alles wieder so schön? Mach nur nicht so viel. Du machst immer viel zu viel. Wer soll das denn essen, wenn niemand kommt?"

      Ich möchte sie nicht hören, wenn ich zu wenig machen würde.

      Nein, mir fällt jetzt auch nichts mehr für die Schnittchen ein.

      Was ist mit dem Kuchen zum Kaffee?

      „Ich würde so gerne wieder mal eine Torte machen. Aber die Marianne sagt, sie schenkt mir dieses Jahr eine. Die macht sie auch