Susanne Kilian

Brave Tochter, altes Kind


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      „Nicht doch."

      Mein Vater verschwindet im Bad.

      Sie ist aber selbst noch im Morgenrock.

      Aber wie sie versichert, ist sie gewaschen, gekämmt, war auf der Toilette und hat alles drunter schon an bis auf ihr Kleid.

      Mein Mann trollt sich, ich bringe ihn zum Auto; na, bis heute Abend; der hat es gut.

      Wieder drin, gehe ich ins vordere Wohnzimmer, da ist der Tisch schon ausgezogen und die längste und breiteste Tischdecke liegt auf. Gläser, Teller, Besteck und Servietten stehen auf der Anrichte bereit. Soviel zu „kommt überhaupt jemand?".

      Gleich kann ich mich den Kräckern widmen, wird auch Zeit.

      Friedliche Stille.

      Meine Mutter ist im Schlafzimmer.

      Mein Vater immer noch im Bad.

      Telefon.

      Türklingel.

      Mein Vater reißt die Badezimmertür auf und brüllt:

      „Telefooon! Es klingelt! Nun geh doch einer mal …"

      „Herrgott, ich komm ja schon!"

      Wütend reißt sie die Schlafzimmertür auf und rast ohne Morgenmantel im Korsett und auf Strümpfen zum Telefon.

      Inzwischen bin ich längst an der Tür.

      Da steht ganz verschüchtert die Mieterin von oben, Frau Grabert.

      Hier ist aber auch ein Gebrüll!

      Eigentlich müsste sie das gewöhnt sein, seit Jahrzehnten wohnt sie hier.

      Sie wollte nur fragen, wann es recht ist, zum Gratulieren zu kommen; und weg ist sie.

      Mein Vater verschwindet kopfschüttelnd im Schlafzimmer:

      „Kinder, Kinder. Nee!"

      Meine Mutter ist immer noch am Telefon, sie quatscht mit einer alten Schulfreundin.

      Ich schaue nach, ob genügend Sekt und Orangensaft kühl liegen.

      Dann mache ich mich mit Kräckern, Spundekäs' und halbierten Trauben ans Werk.

      Sind sie denn nun fertig mit Frühstück oder nicht?

      Ich schiebe mal einfach alles zur Seite.

      Mein Vater erscheint als Erster, komplett angezogen jetzt.

      „Hach, ich war doch noch gar nicht fertig. Ist das mein Kaffee? Wo sind denn meine Tabletten? Wo ist denn die Mutti?"

      Am Telefon, telefoniert mit der Maja.

      „Menschenskinder. Nee, die Maja, die findet ja nie ein Ende!"

      Er wirft die Arme in die Luft.

      Dann richtet er seinen ausgestreckten Zeigefinger auf mich und sagt anklagend:

      „Das muss man sich mal vorstellen. Am Geburtstag. Und da ruft der Fritz schon um halb acht in aller Herrgottsfrühe an. Am Geburtstag! Nee!"

      Das „Nee“ spuckt er regelrecht aus und setzt bekümmert seine Kaffeetasse an den Mund.

      „Telefoniert sie denn immer noch mit der Maja? Das ist ja furchtbar heute. Und wo sind denn meine Pillen?"

      Jetzt erscheint meine Mutter auf der Bildfläche, endlich auch fertig angezogen.

      „Ach. Ich hab ja noch gar nicht fertig gefrühstückt; mein Kaffee. Die Post … sag mal, hast du schon nach der Post …"

      „Ja, wann soll ich denn? Wie soll ich denn? Ich hab ja meine Pillen noch gar nicht; mein Kaffee ist gleich alle."

      „Du kannst die Pillen doch einmal selbst holen, hier nebendran liegen sie doch. Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt!"

      „Mein Gott. Also wirklich."

      Genau das werde ich mir den ganzen Tag anhören müssen.

      Immer in erhöhter Lautstärke.

      Keine Sekunde vergeht, in der nicht einer der beiden quasselt.

      So.

      Sekt, Orangensaft und Kräcker haben wir jetzt ohne größere Nötigungen durch.

      Frau Grabert ist da und Bekannte aus der Nachbarschaft, na immerhin.

      Das nächste Highlight sind die Schnittchen.

      „Könnte ich mal von dem Hackepeter? Ich seh doch nix."

      Ich habe die Platte genau vor ihn hingestellt, man kann den Hackepeter unschwer an den Zwiebelringen erkennen.

      „Wo? Na, nun gib mal drauf."

      Er braucht wirklich nur die Hand auszustrecken; na gut, geb ich’s ihm auf den Teller.

      Alle schwatzen munter durcheinander.

      Dem Geburtstagskind sieht man zwar an, dass ihm das Freude macht, aber wegen ihrer Schwerhörigkeit wird sie bei dem Stimmengewirr wie immer nur „Bahnhof" verstehen.

      Die Schnittchen schwinden dahin.

      „Könnte ich jetzt endlich auch mal von dem Hackepeter?"

      Da hat meine Mutter Pech.

      Ich hatte schon gesehen, wie die Hand meines Vaters über das Tischtuch tastete und immer die richtigen Schnittchen traf.

      Still und emsig hat er fast alle aufgegessen.

      „Kann ich jetzt von dem Kochschinken? Tu mal drauf!"

      Er hält mir seinen Teller hin.

      Hat meine Mutter vorhin nicht gesagt, ich hätte wieder viel zu viel gemacht und wer das alles essen soll? Viel bleibt hier nicht übrig, ich muss nachher neue machen für heute Abend.

      Die Besucher sind weg, werden aber zum Kaffeetrinken wieder kommen.

      Vielleicht kann ich mich mal für fünf Minuten allein auf die Terrasse in die Sonne setzen.

      Weit gefehlt.

      Erst muss ich unter Anweisung meiner Mutter abräumen.

      Sie lässt nicht locker.

      „Nein. Tu das nicht hinten in den Kühlschrank, das kommt hier unten hin. Wo ist denn der Sekt? Wie viel haben die denn … nur eine halbe Flasche? Ach so. Eine ist leer und das ist die zweite. Ach so. Na dann. Warum tust du denn den Löffel umgekehrt in die Flasche rein? Damit die Kohlensäure nicht raus geht? Aber Ssussell. Wir haben doch so einen schönen Sektflaschenverschluss! Den kriegst du nicht drauf? Ich hol den mal und mach den drauf. Was sind denn das hier für Päckchen? Wie? Schnittchenbelag für heute Abend? Aber da kommt doch niemand mehr. Ach, für uns? Aber da sind doch noch welche übrig. Was, das sind nur noch drei? Also, ich esse heute Abend sowieso nichts. Wo ist denn der Kuchen? Wieso ist der nicht im Kühlschrank? Ach, der ist unten im Keller. Ich weiß nicht … mit meinem Magen. Ach, ich bin so unruhig. Brauche ich nicht sein? Na, du machst mir Spaß. Ich weiß ja, dass du das alles machst. Aber mein Magen. Ich glaube, ich koche mir ganz schnell einen Magentee. Ich bin so unruhig. Wenn der Tag doch nur schon vorbei … Hoffentlich kommt die Marianne mit der Torte rechtzeitig. Hoffentlich schmeckt die auch. Ich mache jetzt erst mal den richtigen Verschluss auf diese Flasche. Dass du den aber auch nicht drauf …"

      Sie steht die ganze Zeit mit der Sektflasche in der Hand vor dem offenen Kühlschrank und hält ihren Monolog.

      Zack.

      Die Kühlschranktür fliegt vor ihrer Nase zu, beinah wäre ihr vor Schreck die Flasche aus der Hand gefallen.

      „Also! Mach doch den Kühlschrank zu!"

      Weder sie noch ich haben meinen Vater kommen hören.

      „Sowas! Jetzt erschreck mich doch nicht so! Warum knallst du denn den Kühlschrank einfach zu? Wir müssen doch hier was gucken. Jetzt geh doch mal aus den Füßen! Leg dich lang! Du kannst hier sowieso nichts