Michaela Leicht

Dezember - Adventsgeschichte


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Confiserie stehen, betrachtete die reichlich dekorierte Auslage und musste kurz feststellen, wenn man einen Plan hatte, war es nicht allzu schwer das Geschenk im Weihnachtstrubel zu organisieren. Die zwei Stufen überwindend, öffnete sie die große Glastür und wurde von einem intensiven Duft von Schokolade, Kaffee und Tee eingehüllt. Diese Gerüche setzten eine Flut von Erinnerungen frei. Kurz blitzten Gedankenfetzen auf, ihre Oma in der Küche am Herd – Plätzchen backend, ihre Eltern am wuchtigen Tisch, wie sie Kaffee tranken. Sie hatte eine von Omas Lieblingstassen in der Hand und trank vorsichtig ihren heißen Kakao.

      Da traf sie von hinten ein kalter Luftzug, ein weiterer Kunde wollte eintreten. Mit einer entschuldigenden Geste bewegte sie sich weiter in den Raum. Überall standen schon Menschen, die sich die zauberhaften und geschmackvollen Eventuell-Geschenke besahen, darüber diskutierten, ob es Schwester X, Tante Y oder Oma Z gefallen könnte.

      Nach einigen Minuten gab sie es auf. Sie würde die Kamasutra-Tafeln selber nicht in der riesigen Auswahl finden. So peilte sie eine Verkäuferin an, die sie aufmunternd anlächelte ... Nach dem Motto – musst du mich fragen? Geh doch bitte zu meiner Kollegin! ... Nein, sie hatte Pech, sie war die Auserwählte, sie durfte ihr helfen.

      Freundlich und entschlossen lächelte sie ihr entgegen. Versuchte dabei, ihr Lächeln nicht zu genervt erscheinen zu lassen.

      „Schönen guten Abend ... Sie können mir doch bestimmt helfen?“ Lächeln – lächeln – lächeln. Bis es weh tut.

      „Natürlich, zumindest hoffe ich das.“ Wie nett ... Was, wenn ich einen Elefanten aus Schokolade haben, wöllte? Jessica konnte ihre Gedanken gerade noch zügeln, damit sie den Weg nicht durch ihren Mund fanden. Die liebenswürdige Verkäuferin konnte nun wirklich nichts dafür.

      „Sehr schön. Haben Sie noch die Kamasutra-Schokoladen-Täfelchen?“ Nett zu sehen, wie das Gesicht der Bedienung zu einer Maske erstarrte. Verlegen blickte sie nun um sich. Sehr viel leiser und verhaltener klang ihr „... da muss ich nachschauen.“

      Jessica lächelte weiterhin, ist doch nichts dabei. Es ist doch nur Schokolade.

      Einen Augenblick später kam die freundliche Dame mit einem, A4 großen, Metallkästchen zurück. Jetzt war es an Jessica zu schlucken, so groß hatte sie es sich nicht vorgestellt. Na gut, sie hatte es sich überhaupt nicht vorgestellt. Aber das war schon – groß.

      „Sie haben Glück, dieses eine war noch da. Soll ich es Ihnen einpacken? Als Geschenk?“ Guck an, jetzt saß auf deren Gesicht ein verruchter Ausdruck. Für wen dachte die denn, dass sie es kaufen wird?

      Aber Jessica konnte auch so.

      „Das wäre überaus nett, wenn Sie noch ein Kärtchen hätten und darauf schreiben könnten „Für Tanja – viel Spaß bei der Umsetzung?“ “

      Entgleitende Gesichtszüge sind herrlich. Immer wieder.

      „Selbstverständlich – kein Problem.“

      „Wunderbar.“

      Fünf Minuten später hatte sie ihr hübsch eingepacktes Weihnachtsgeschenk, und machte sich umgehend auf den Weg zurück zu ihrer Wohnung.

      Sie brauchte wirklich nur die paar hundert Meter zu laufen, gleich konnte sie sich von Neuem auf ihr Sofa räkeln und alles andere vergessen.

      Ganz in Gedanken versunken, ihr Päckchen fest unter den Arm geklemmt, lief sie mit eiligen Schritten die Straße entlang.

      Sie konnte nur mit Mühe der Katze ausweichen, die kreischend über die Straße lief, fast von einem Auto gerammt wurde und direkt auf sie zusteuerte. Der kleine Satz zur Seite brachte ihr allerdings keine Rettung.

      Als sie den einen Fuß wieder aufsetzen wollte, trat sie auf etwas weiches Nachgiebiges. Das sollte auf einer Straße nicht so sein, dachte sie noch. Kam ins Straucheln und fiel, wie im Fernsehen, im Zeitlupentempo nach hinten. Presste das Geschenk an sich, um es vor jeglichen Schaden zu bewahren, und landete auf ihren Allerwertesten.

      Ihr erster Gedanke – hoffentlich hatte es keiner gesehen. Denn natürlich musste sie auf Höhe eines Restaurants auf ihr Gesäß fallen. Der zweite Gedanke – war verdammt schmerzhaft.

      Ein „Autsch“ brachte sie kurz hervor, dann fiel ihr das Weiche ein. Hatte es gewinselt? Nein, das hatte sie sich doch bestimmt eingebildet? Aber nein, sie horchte genauer, da fietschte doch ganz leise etwas? Was für eine arme Kreatur hatte sie denn da aufgegabelt.

      Trotz ihres schmerzenden Hinterns suchte sie die Umgebung ab.

      In den schummrigen Lichtverhältnissen unterhalb der großen Fenster konnte sie zuerst überhaupt nichts ausmachen. Es dauerte eine geraume Weile, bis sich ihre Augen langsam an die dunkleren Sichtverhältnisse gewöhnten. Da sah sie es, etwas kauerte ganz dicht an der Mauer etwas Felliges, etwas Kleines.

      5. Dezember – Luke

      Luke saß in dem Hotelzimmer, drehte die Visitenkarte ständig zwischen den Fingern hin und her.

      Wie sollte er sich jetzt verhalten?

      So schnell hatte er wirklich noch keine Frau kennengelernt, eine die ihn von sich aus angesprochen hatte. Ein etwas seltsames Gefühl. Normalerweise war er derjenige, der die Initiative ergriff.

      Zu seinem Leidwesen verkörperte sie genau die Art Frau, die schon lange nicht mehr zu seinem Beuteschema gehörte.

      Wie sollte er sich denn da mit ihr verabreden? War das nicht ohnehin von vorneherein zum Scheitern verurteilt?

      In diesem Moment fühlte er sich verdammt hilflos, kraftlos und am schlimmsten – mutlos. Kalt lief ihn ein Schauer den Rücken hinunter, tausende Gedanken stürmten augenblicklich auf ihn ein. Erinnerungen von vor zwanzig Jahren, Begebenheiten von den letzten Monaten, er war nicht in der Lage sie zu stoppen. Wie eine reflektierende Lichtmaschine im Kino flimmerten die einzelnen Bilder vor seinen Augen.

      Er sah seinen Vater aufgebahrt in der Kirche ruhen. Die tiefe Verzweiflung seiner Mutter spürend, seine eigene immense Traurigkeit, wie er langsam die Hand in die seiner Mutter schob, um sie zuhalten, zu stützen, an sich zu binden. Der Verlust zerbrach sie fast. Er hörte immer noch den einen Satz, den sie immer wieder vor sich hin flüsterte „Wie soll ich weiterleben?“ Sie schuf ihn ihm ein Angstgefühl, das über all die Jahre nicht kleiner wurde, nein, es verfestigten sich weitere Gedanken, die ihn mehr wie beunruhigten.

      Er stellte sich Fragen nach dem Sinn des Lebens, wie lange er wohl leben würde, ob er so alt würde wie sein Vater?

      Dann sah er seinen Ausbilder, während er ihm sein Zeugnis überreichte und ihm dabei kräftig auf die Schulter klopfte, „Du gehst deinen Weg“ hatte er ihm gut zugesprochen. Von da an, wusste er auch, dass er seine Ziele erreichen konnte, wenn er sich reinhing, weiterbildete und vor allem in die Materie vertiefte. Sein Hauptziel, eine eigene Firma aufzubauen, verlor er nie aus den Augen. Eine Quelle an Informationen tat sich in der Zeit seiner Wanderschaft auf. Nach der Ausbildung arbeitete er zwei Jahre in verschiedenen Firmen, lernte dort von deren Meistern. Nebenbei absolvierte er einen Fernkurs in denen die Grundlagen einer Firmenführung, Buchhaltung, Personalwesen, Kalkulation von Angeboten und Preisen gelehrt wurden. Jede Woche kam er seinem Traum einen Schritt näher.

      In dieser Zeit hatte er weder Lust sich um eine Freundin oder geschweige denn, eine Frau zu kümmern. Voll und ganz ging er in seiner Berufung auf, besondere Einzelstücke aus Holz zu fertigen. Mittlerweile war seine Firma derart angewachsen, dass er dreißig Leute aus dem Dorf und den umliegenden Gemeinden beschäftigte. Privatleben gönnte er sich nicht. Wollte er nicht.

      Inzwischen glaubte er, den Grund dafür zu kennen. Er wollte einer möglichen Partnerin den Schmerz und die Verzweiflung nicht antun, die er bei seiner Mutter gesehen hatte, als Vater starb. So blieb er lieber allein und beendete Beziehungen bevor sie zu viele Erwartungen weckten.

      Nicht nur er beendete sich anbahnende Romanzen, einigen der Damen waren die Landluft zu ländlich, die Stadt zu weit weg, die Partys zu lasch und alles einfach zu öde. Sie wollten mehr, wollten Action in ihrem Leben, was er