Jörgen Dingler

Oskar trifft die Todesgöttin


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      »Du hast das Schloss geknackt… das kleine Rätsel gelöst. Das war schon mal nicht so schlecht.«

      »Ja, und ich wette, dass das von dir beabsichtigt war. Um mich jetzt und hier plattmachen zu können«, brummte er leise in sich hinein. Er sah sich um, nichts und niemand war zu sehen. Eine Zeit lang war Ruhe.

      »Warum hast du eigentlich nichts von Vaarenkroog?«, kam wieder die blecherne Stimme. Aha, das wusste sie also auch. »Außer Christine. Aber die hast du ja auch nicht mehr.«

       Sie will mich provozieren, diese Schei ß kuh!

      Scheiß drauf

       ich steig drauf ein!

      »Vielleicht kann ich‘s mir nicht leisten!«, rief er sarkastisch und änderte danach sofort seinen Standpunkt, indem er am Regal entlangglitt. Er drehte hektisch seinen Kopf, spähte in alle Richtungen.

      »Bezog sich das auf Christine?«, fragte die Stimme gedehnt, die nunmehr nicht mehr blechern, sondern neckisch klang. »Oder auf die Klamotten?«

      »Für die Klamotten reicht‘s so grad noch!«, rief er wieder und bewegte sich weiter in den Raum hinein. So lautlos es eben ging.

      »Hahahahaha!«, flutete ein hallendes Lachen den Raum. »Deswegen liebt sie dich also: nicht nur geistreich, auch witzig.« Für einen Moment war Ruhe. »Oh, sorry, Oskar. Vergangenheitsform«, kam es mit gespieltem Bedauern. »Deswegen hat sie dich geliebt.«

      Oskar nickte und sah ernst zu Boden.

       Die Alte will mich wirklich provozieren! Ihr gutes Recht. Und sie hat ja recht.

      »Tja, Christine, mein Schatz. Auch du scheinst unheimlich schnell zu sein.

      Was das Entlieben angeht«, brummelte er vor sich hin. »Wussten wir ja schon.«

      Er schüttelte ruckartig seinen Kopf, als wollte er damit alle Gedanken über Christine aus dem Kopf schütteln – Sentimentalität ausschalten, Professionalität einschalten.

      Kali sprach perfekt deutsch! Die Französin sprach perfektes Deutsch. Die multilinguale Christine Vaarenkroog und ihre tödliche französische Freundin waren in mancherlei Hinsicht das duo infernale. Kali war sicherlich ebenfalls multilingual. Passte erschreckend gut mit den beiden. Musste wohl so sein, bei einem an Professionalität und Perfektion nicht zu überbietendem Damen-Doppel.

      »Du bist wegen etwas Bestimmten hier, Oskar«, erklang es erneut aus allen Richtungen.

      »Das war doch mein Spruch«, brummte Oskar leise, der sich an seine Ansage bei Viktor Vaarenkroog erinnerte, um selbigen auf den Punkt kommen zu lassen. Zufall? Zufall.

      »Die Vaarenkroog-Filiale in der City hatte mir nicht genug Auswahl!«, rief er.

      Dieses Mal kam kein Lachen.

      »Glaub ich dir gern, Oskar. Diesen Vaarenkroog-Dress gibt es nur an mir. Und du willst ihn mir vom Körper reißen«, kam es sinnlich, lasziv. »Von meinem toten Körper. Als Trophäe.« Die Stimme war wieder blechern, entmenschlicht. Keine Spur neckisch, kein bisschen humorvoll. Kali kam auf den Punkt. Sah so aus, als ob es bald mal losgehen würde – der Showdown.

      »So nekrophil bin ich nicht. Und Trophäensammler bin ich auch nicht!«, blaffte er. Oskar vermutete seine Gegnerin in dem Häuschen auf der Empore, wahrscheinlich die Schaltzentrale des Lagers. Dort war dann wohl am ehesten die Ausrüstung, mit der Kalis Stimme den Raum fluten konnte: Computer, Mikrofon, Verstärker. Er pirschte sich näher an die Zentrale heran, drückte sich mit erhobener Walther an die Regale, konnte daher nicht sehen, wie sich eine Silhouette von der Empore hinunterließ. Eine dunkle Gestalt glitt mit ausgebreiteten Armen in Richtung Boden. Ihr Kopf sah nach unten, ihre halblangen schwarzen Haare hoben sich im Fallen von ihren Wangen ab. Es hatte die Anmutung einer Zeitlupe und war völlig geräuschlos. Sie wirkte schwerelos, war so furchteinflößend wie schön – ein Engel. Ein gefallener, schwarzer, tödlicher Engel. Ihre Fußspitzen berührten den Boden, ihr bleiches Gesicht mit der geschwärzten Augenpartie sah langsam auf. Es hätte eine Hochgeschwindigkeitskamera gebraucht, um die Bewegung ihrer Hand sichtbar zu machen, die sich für menschliche Augen unsichtbar schnell hob. In ihrer Rechten befand sich eine schallgedämpfte Halbautomatik.

      Ein Schuss streifte Oskars Schuh. Merklich. Er zuckte und sah schnell genug in Richtung des Ziels, sodass er die Funken des Projektils sehen konnte, als es vom Betonboden abprallte. Nur dieser Abpraller war zu hören. Natürlich benutzte Kali ebenfalls einen Schalldämpfer. War das ein Warnschuss? Wenn Kali so gut positioniert war, seinen Schuh treffen zu können, hätte sie ihn vielleicht auch richtig erwischen können. Oder zumindest sein Bein. Hier waren eindeutig zu viele Fragezeichen im Raum! Es stand leider nur eins fest. Selbst falls es ein Warnschuss und damit eine ‚nette Geste‘ von der Tödlichsten überhaupt war:

      Er musste Kali töten.

      Dass sie in der Lage war, ihn zu töten, hatte sie mit diesem Schuss mehr als bewiesen. Es musste ein Warnschuss gewesen sein. Gezielt daneben zu schießen, ist schwieriger, als direkt auf jemanden abzudrücken! Erst recht aus gewisser Distanz. Die Beste von allen war obendrein eine verflucht gute Schützin. Was auch sonst? Die Beste war nunmal die Beste. Er wollte Kali nicht wirklich töten. Seit diesem Warnschuss schon mal gar nicht. Noch vor ein paar Wochen wollte er Kali aus dem naheliegendsten Grund nicht töten. Er wollte – wie jeder andere Profi – niemals auf die Beste von allen losgelassen werden. Jetzt gesellte sich noch ein anderer Grund hinzu, spätestens jetzt. Kali war nicht nur eine enge Vertraute, eine Freundin der Frau, die er nach wie vor liebte. Sie kam ihm mittlerweile in der Tat vertraut vor. Fast eine Seelenverwandte, nur noch viel besser als er. Perfekt! Absolut professionell, bewundernswert, viel eher noch Respekt als Angst einflößend. Auch ihre provokanten Ansagen waren eigentlich alles andere als unsympathisch, wenn man‘s weniger persönlich nahm und Liebeskummer außen vor ließ. Er wollte nicht, er musste. Und würde sich nach getaner Tat dafür verfluchen. Viel wahrscheinlicher war aber sein Ableben. Auf jeden Fall würde er seine Haut mindestens so teuer verkaufen wie Christine ihre gegerbten und colorierten Häute. Daher hieß es jetzt besser aufzupassen. Wahrscheinlich hätte sie ihn bereits töten können – der Warnschuss. Er wollte alles dafür tun, dass es ein gutgemeinter Fehler ihrerseits war. Denn

       Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht!

      »Darf ich dich mal was fragen, Kali?«, rief er.

      »Alles«, kam die prompte Antwort mit einem Echoeffekt, gehaucht und sehr sinnlich. Irgendwie erinnerte ihn das an Veras gleichlautende Antwort. Damals.

      Er sah sich wieder nach allen Richtungen um. Sie musste oben in dem Häuschen sein. Für diesen Echoeffekt bedurfte es einer gewissen elektronischen Mindestausrüstung. Einem Computer zum Beispiel. Von dort oben hätte sie ihn aber nicht ins Visier nehmen können. Wahrscheinlich änderte sie ihre Standpunkte, so wie er es tat.

      »Warum willst du den Papst töten, werte Kollegin?« Nach jedem Sager wechselte er seine Position.

      »Bist du Papstfan, Oskarchen?«, hallte es. »Wir sind Papst!« Die nach der Papstwahl an alle Deutschen gerichtete Bild-Schlagzeile kam überraschend witzig rüber. Als hätte sie die Lippen zu einer Schnute gestülpt, um übertrieben wichtig den bösen Deutschen zu geben. Sie, die Französin! Oskar fand sie nunmehr wirklich sympathisch.

      »Nein, Kalichen, bin ein Ungläubiger in jeder Hinsicht. Nur so aus Interesse.«

      Er hatte sich wieder zurückgezogen, näher Richtung Eingangstür, wollte sie verwirren. Sie ging sicherlich davon aus, dass er auf direktem Weg zur Empore war. Nach ihrem kleinem Scherz blieb sie die Antwort schuldig. Er konnte die schwarzen Lippen nicht sehen, die sich aufgrund seiner Antwort zu einem breiten Grinsen verzogen.

       Schweigen. Keine Antwort. Nicht unerwartet.

       Sie ist nicht mehr in dem H ä uschen!

       Aufpassen, aufpassen!