Elisabeth Eder

Die Wächter


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Luft hing, raubte ihm fast das Bewusstsein.

       Endlich klickte es leise.

       Er stieß die Türe auf und fand sich vor einer Treppe. Fackeln hingen an den Wänden und tauchten die Steine in braungoldenes Licht. Ohne sich umzusehen hechtete er hinauf. Bald schon war einer der Wölfe hinter ihm, Kai spürte seinen heißen Atem im Nacken, aber er kümmerte sich nicht darum. Sein einziger Gedanke war: Raus! Weiter unten brach ein Kampf aus, denn die Sux wollten auch an die Freiheit. Kai sah eine Eichenholztüre mit poliertem Eisengriff. Er drückte die Klinge hinunter und warf sich dagegen. Mit einem lauten Krachen flog die Tür auf, Kai ließ den Griff los und taumelte ein paar Meter in den nächsten Raum. Oder besser gesagt in den Hauptraum der Bibliothek, in dem es von schwer bewaffneten Soldaten nur so wimmelte. Einen Augenblick blieb er atemlos stehen, dann zückte er sein Schwert und duckte sich hinter einem der Tische, denn mehrere Pfeile sausten auf ihn zu. Sie schlugen in das Holz ein und bohrten sich hindurch. Einer streifte Kais Wange. Panisch starrte er zu den Wölfen, die herausgestürmt kamen und sich bellend auf die Soldaten stürzten. Diese waren so erschrocken, dass sie keine Zeit mehr hatten, Pfeile an die Sehnen zu legen. Kai erblickte Exoton, der stehen geblieben war und offenbar nach ihm Ausschau hielt. Er sprang auf den Tisch und machte einen großen Satz. Er verlor beinahe das Gleichgewicht, als er auf dem Rücken des Wolfs landete. Der ließ ihm nur kurz Zeit, sich an sein Nackenfell zu klammern, dann preschte er auf den Ausgang zu. Kai sah sich hastig nach seinen Dieben um, aber die waren nirgends zu sehen. Hinter ihm ertönte das gierige Krächzen der Sux, die sich nun auch ins Getümmel stürzten und sowohl Soldaten als auch Wölfe angriffen. Schreie, Knurren, Jaulen und Heulen waren zu hören. Die große Halle verstärkte diese Geräusche mit ihrem Echo. Die Wölfe sprangen die Soldaten an und brachen ihnen mit einem lauten Knirschen das Genick, während die Sux nach Armen und Beinen schnappten. Einige der Soldaten rannten davon, andere sprangen auf Tische und warfen ihre Dolche. Neben Kai ging ein Wolf zu Boden, dem ein Messer im Genick steckte. Am Ausgang standen fünf der Männer postiert. Ihre langen Lanzen deuteten drohend auf ihn und Exoton. Kai zuckte zusammen, während die Soldaten am Eingang eine kauernde Haltung einnahmen. Er packte sein Schwert fester und schickte ein Stoßgebet an alle vorhandenen und nicht vorhandenen Götter, ehe Exoton knurrend stehen blieb. Mit überraschender Schnelligkeit packte er die Lanze des nächsten Soldaten mit seinem scharfen Gebiss und riss sie ihm aus der Hand, dann drehte er den Kopf mit den wissenden Augen in Kais Richtung. Der verstand sofort, packte den groben Holzstab, den der Wolf im Maul hatte und drehte ihn. Die Soldaten drängten nach vor. Exoton wich langsam zurück. Einer der Männer des Königs rannte von hinten auf Kai zu. Er wartete, bis er nahe genug war und stieß ihm die Lanze vor die Brust. Sie hinterließ eine Delle in seiner Rüstung, ließ ihn zurücktaumeln und zu Boden sinken. Rasch wandte sich Kai wieder dem Geschehen vor ihm zu. Exoton schlug mit seinen riesigen Pranken nach dem unbewaffneten Soldaten, der schreiend zu Boden krachte, als ihm ein Teil seines Kettenhemdes vom Leib gerissen wurde und die Krallen tiefe Schnittwunden in seinem Fleisch hinterließen. Die anderen Vier wichen nun beständig zur Seite. Kai schwang drohend die Lanze und sein Schwert in beide Richtungen, ehe Exoton mit einem gewaltigen Satz vor die Tür sprang und hinaushechtete. Einer der Speere bohrte sich nur Zentimeter entfernt in die offenen Türflügel.

       5 Flucht

      Auf dem großen Hauptplatz war die Hölle losgebrochen. Diebe und Soldaten kämpften brüllend gegeneinander. Einige Magier waren aus deren Schule gekommen und attackierten Kais Diebe mit grünen und blauen Energieblitzen, die sie schreiend zusammenbrechen ließen. Fässer fingen Feuer, als verfehlte Zauber sie trafen. Von überall hörte man Brüllen und Fluchen, dann mischte sich das untrügliche Geräusch von Hufen, die auf den Steinboden schlugen, dazu.

       Einige Soldaten auf Pferden galoppierten schreiend auf den Platz. Die Diebe waren zunehmend in eine Ecke gedrängt worden, ein kleiner, unorganisierter Haufen aus Jugendlichen mit lumpiger Kleidung und alten, verrosteten Waffen. Exoton hielt auf die kleine Kavallerie zu, obwohl ihn Kai anbrüllte, den Jungen und Mädchen zu Hilfe zu eilen.

       Schließlich sprang er von dem Wolf. Er landete hart auf den Knien und stützte sich mit seiner Schwerthand ab, rappelte sich auf und stand vor einem grinsenden Soldaten. Ohne zu Zögern rammte er ihm den Speer in die Magengegend, den er noch immer in der Hand hielt. Er wandte rasch den Blick ab und lief weiter, in Richtung seiner Diebe.

       Einer der Männer kam auf einem gigantischen Schlachtross auf ihn zu. Kai duckte sich und spannte die Muskeln an. Er spürte, wie er zitterte. Noch nie hatte er getötet, er hatte gedacht, nie damit anfangen zu müssen und schon gar nicht hatte er damit gerechnet, sich diesen vielen Soldaten in den Weg stellen zu müssen. Die Sterne waren von dunklen Wolken verschluckt worden, der Mond halb hinter ihnen verborgen. Die Kampfgeräusche und Schreie der Verwundeten und Sterbenden hallten in seinen Ohren. Es roch nach Blut und Metall und Pferden.

       Plötzlich sprang Exoton den Reiter an. Der Wolf schlug ihm seine Fänge ins Genick und warf ihn vom Pferd, überschlug sich beinahe und rollte über den Boden, während er den Soldaten biss. Das Pferd wieherte und scheute, stellte sich auf die Hinterbeine und schlug kräftig aus.

       Kai warf sich platt auf den Boden. Ein Klappern sagte ihm, dass es wieder auf die Hinterfüße gekommen war. Keuchend schoss er in die Höhe, bevor das Pferd erneut durchgehen konnte. Er packte die ledernen Zügel und schwang sich hinauf. Dann nahm er die Magier ins Visier, die nun bedrohlich auf den Wolf zukamen, in ihren Händen leuchten zuckende, dunkelviolette Blitze.

       Als Exoton sah, was der junge Dieb vorhatte, rannte er bellend und zähnefletschend auf das Pferd zu. Das stellte sich schrill wiehernd auf die Hinterfüße, während es wild mit den Vorderhufen ausschlug. Kai klammerte sich mit aller Kraft an den Hals des Tieres. Seine Armmuskeln protestierten, sein Körper war ohnehin schon erschöpft vom Kampf. Das panische Wiehern hallte in seinen Ohren, als das Pferd auf die Hufe kam und losgaloppierte. Vage bekam er mit, wie der Wolf das Pferd in eine der Seitenstraßen scheuchte, weg von den schreienden Jungen und Mädchen und den Magiern und den Soldaten. Ein Lichtblitz schlug neben ihm in den Boden. Krachend wurden Fliesen herumgeschleudert – das Pferd schlug erneut mit den Hinterbeinen aus und beschleunigte sein Tempo.

       Häuser und überraschte Soldaten zischten an ihm vorbei. Die Kampfgeräusche wurden leiser. Keuchend schnappte er nach Luft. Er wagte es, den Griff um den muskulösen Hals des Tieres zu lockern und richtete sich auf.

       Vor ihm thronte das Innenstadttor. Niemand war davor postiert – alle schienen bei der Bibliothek zu sein. Keuchend nahm er die Zügel wieder in die Hand. Kai fühlte das weiche Leder unter seinen nervösen Fingern. Dann erinnerte er sich daran, wie das Reiten funktionierte und lenkte das Pferd in seinem schnellsten Galopp durch die dunklen Gassen, in denen die schrecklichsten Gefahren lauern konnten. Hin und wieder blieb das Ross stehen und tänzelte unruhig, doch Kai brachte es immer erneut dazu, weiterzulaufen.

       Er war beinahe am Stadtrand, als der Ruf einer ihm allzu bekannten Stimme ertönte: „KAI!“

       Der Angesprochene riss so stark an den Zügeln, dass das Pferd aufstieg und ihn abwarf. Keuchend griff er nach seinem Waffengürtel, aber das Schwert hatte er im Kampfgetümmel verloren. Er konnte von Glück reden, dass ihn die schweren Hufen nicht zerquetschten, als der Hengst davongaloppierte.

       Angsterfüllt drehte er sich im Schlamm auf den Rücken und wollte sich aufsetzen, da drückten ihn zwei riesige Knie zu Boden.

       Kai begann zu Zittern. Vor ihm war Brimir.

       „Da bist du also! Was tust du mit dem Soldatenpferd?“

       Er spürte eine kalte Klinge an seiner Kehle. Kai wagte nicht, sich zu rühren. Er spürte, wie alle Farbe aus seinem Gesicht wich. Die eisgrauen Augen starrten ihn verächtlich an: „Du blutest. Hast du das Pferd geklaut?“

       „Geht dich nichts an“ Kais Stimme klang mehr wie ein Piepsen als wie eine Drohung.

       Brimir lachte und strich mit der Klinge über seinen Hals. Kai verkrampfte sich schlagartig.

       „Vermutlich“, sagte der Mann, „wirst du es mir sowieso erzählen. Aber das interessiert mich im Moment nicht. Der Preis wird verdoppelt. Allerdings hast du mir lange nichts gebracht, hm?“

       „Ich