Elisabeth Eder

Die Wächter


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dem sie sich befinden mussten.

       „Hey, Dieb!“, rief einer. „Sperr das auf!“

       „Wie, wenn ich nichts sehe?“, fauchte Kai.

       Plötzlich blendete ihn ein helles Licht. Anias blasses Gesicht wurde in strahlendes Gelb getaucht und überschwemmte die Dunkelheit. Mit zusammengekniffenen Augen starrte Kai zu ihr. Er blinzelte öfters und das nicht nur wegen dem blendenden Licht.

       Sie hielt eine weißgelbe Lichtkugel in der Hand. Mit offenem Mund fragte er: „Ania – wie?“

       Die Angesprochene lächelte schmal, als wäre sie stolz darauf, es endlich erzählen zu dürfen. Als hätte sie das Geheimnis lange mit sich herumgetragen. „Wir sind nicht nur Friedensfürsten. Wir von Phyan werden auch Wächter genannt, Wächter der Natur und des Friedens. Einige haben magische Begabungen. Aber was uns alle verbindet: Wir können uns in Tiere verwandeln.“

       „Wieso erzählst du ihm das?“, fragte Exoton scharf.

       In Kais Kopf drehte sich alles, während Ania fortfuhr, ohne auf Exoton einzugehen: „Ich bin eine Katze. Bei den Sterblichen werden Hexen immer mit Katzen in Verbindung gebracht. Jetzt rate mal, woher das kommt.“ Sie grinste schelmisch und tippte dann Exoton auf den gigantischen Brustkorb: „Diese Herrschaften hier sind die Wölfe. Es gibt mehrere Tiere; auch Fabelwesen. Wir müssen uns zusammenschließen, damit wir mit unseren Königen das Land zurückerobern können. Denn es gibt einen neuen König und eine neue Königin. Sie wurden auserwählt.“

       „Er ist ein Dieb!“, zischte Exoton und kam grimmig auf Kai zu, der zurückwich. Der Dolch blitzte in seiner Hand auf. „Das wirst du niemandem erzählen, klar?“

       „Als würde euch Verrückten jemand Glauben schenken!“, knurrte er. Schon spürte er das kalte Metall an seiner Kehle und sammelte seine Kräfte zum Gegenschlag; währenddessen huschten seine Augen von einem Mann zum Nächsten, um einen Schwachpunkt in der Kette zu finden …

       „EXOTON!“ Anias Stimme war durchdringend und scharf. Ihre Augen funkelten wütend und Exoton drehte sich mit zusammengekniffenen Brauen zu ihr um. Die Hexe trat neben Kai: „Er soll es wissen!“ Exoton nahm den Dolch zurück, während Kai verwirrt die Stirn runzelte. Die „Wölfe“ wurden unruhig und warfen sich gegenseitig Blicke zu. Verwirrung lag in ihren Gesichtern, Missfallen und Misstrauen. „Und du garantierst mir das?“, fragte Exoton scharf, der es als oberste Priorität erachtete, das Geheimnis zu wahren und dem es nicht gefiel, dass ein Dieb alles verraten könnte. „Ja, garantierst du es für den schmutzigen, kleinen Dieb, der euch alle hier reingebracht hat?“ Kai funkelte sie wütend an und verschränkte die Arme vor der Brust. Ania schüttelte stumm den Kopf: „Alles wird sich weisen. Es hat seine Richtigkeit.“ „Dann mach weiter“, befahl Exoton. Wütend trat er auf die Tür zu und rammte den Dolch ins Schloss. Einige Drehungen seines Handgelenks später schwang die Tür nach innen auf. Der Geruch von Feuchtigkeit und Verwesung stieg ihm entgegen. Er steckte den Dolch zurück und knurrte: „Bitte sehr, der Weg für die Herrschaften!“ Exoton nickte, aber er musterte Kai mit völlig neuen Augen. Kam es dem jungen Dieb nur so vor oder sah er Neugierde, Respekt, Nachdenklichkeit? Auch die anderen sahen ihn mit diesem Blick an, der Kai langsam unheimlich wurde. Was war hier los? Was hatte zu dem plötzlichen Stimmungswandel geführt? Langsam wurde es heiß. Die Lichtquelle von Ania verströmte auch Hitze, aber je länger sie dastanden, desto mehr Zeit rann ihnen durch die Finger. Die Männer traten zögernd in das Kellergewölbe. In der Dunkelheit knurrte etwas, schnappte mit den Zähnen. Kai sah kurz das Blitzen zwei giftgrüner Augen, dann herrschte wieder Schwärze. „Oh nein“, fluchte Exoton. „Sie halten da unten Sux!“ „Sux?“ Kai schluckte. Er dachte an die buckeligen Wesen mit grünem Fell und rattenartigem Schwanz, die oft als Suchtiere eingesetzt wurden. Sie waren zwar klein, aber kräftig gebaut und ein Hieb konnte einem Menschen den Kopf vom Körper schleudern. Er wich zurück. Er war Vieles, aber sicher nicht lebensmüde. Exoton hingegen knurrte ebenfalls. Er bäumte sich auf, seine Arme und Beine schienen zu wachsen. Seine Nase und sein Mund wurden länglich, die Ohren spitzer. Fell spross ihm aus dem gesamten Körper, sein Rücken wurde buckelig und seine Zähne lang und rasiermesserscharf. Mit klopfendem Herzen beobachtete Kai, wie sich der Mann tatsächlich in einen bärengroßen Wolf verwandelte und dann knurrend ins Dunkle starrte. Ania nickte dem Wolf zu, der sich bei der Türe aufbaute und teilte ein: „Kai – du reitest auf Exoton. Klettere hinauf, keine Sorge. Wir bringen dich zu einem der Fenster und dann rennst du davon. Wir kümmern uns um die anderen Diebe. Du musst aber wegrennen. Weg, verstanden?“ Kai rührte sich nicht. „Hab ich dein Wort, dass die überlebenden Diebe in Sicherheit gebracht werden?“ Sie nickte. „Ich schwöre.“ „Gut.“ Exoton machte sich kleiner. Kai schwang ein Bein um den Wolf und vergrub seine Hände in dem schwarzen, dichten Fell. Schwungvoll richtete sich der Wächter auf und ging langsam rückwärts. Einige der anderen seiner Gruppe hatten sich ebenfalls in Wölfe verwandelt. Nur die Fellfarbe und die Augenfarbe zeugten noch davon, dass sie keine normalen Tiere waren. Kai konnte es nicht fassen. Er war – ohne es zu wollen – in eine magische Welt voller Verschwörungen, Geheimnisse und Prophezeiungen geraten, das spürte er so deutlich wie die Kälte, die aus dem Keller kam. Die Wölfe traten langsam und bedrohlich knurrend in die Dunkelheit. Einen kurzen Moment überlegte Kai, ob er nicht einfach wieder hinaufrennen und sich den Soldaten ausliefern sollte, entschied sich aber dagegen. Sein Blick fiel auf die steinernen Fließen am Boden. Dann löschte Ania die Lichtkugel in ihren Händen. Das Letzte, was Kai sah, war, dass vier der Wölfe Exoton und ihn flankierten.

      Langsam setzte sich der große Körper unter ihm in Bewegung. Kai klammerte sich an das Fell und spürte, wie sich die Rückenmuskeln anspannten, Scharren und Knurren war zu hören. Die grünen Augenpaare leuchteten wie Schlitze aus der Dunkelheit, plötzlich hörte er ein tiefes Grollen, ein Fauchen und Gedränge. Wieder ertönte Knurren und Fauchen, die Wölfe bellten wild. Kai hörte das Geräusch von Zähnen, die aufeinander schnappten und zog sein Schwert aus der Scheide. Mit einer Hand hielt er sich im Fell fest und in der anderen hatte er das Schwert.

       Exoton hatte angefangen zu laufen. Kühle Luft sauste ihnen entgegen. Das Kampfgeräusch der Tiere hielt weiter an, hin und wieder schnappte Exoton mit seinen kräftigen Kiefern zu. Kai kam sich hilflos vor und hoffte, dass alles gut gehen würde.

       Endlich kamen sie zu einem der Fenster. Durch die Gitterstäbe schien blassweißes Mondlicht und erhellte den dreckigen Boden. Kleine Knochen lagen auf dem Stein.

       Eines der Sux ließ sich auf einmal von der Decke fallen. Kai zuckte zusammen und riss sein Schwert hoch, als er die hungrigen, grünen Augen erblickte. Das Tier spannte die Muskeln, ebenso wie der Wolf –

       Es sprang.

       Kai hatte gerade noch Zeit, das Schwert hochzureißen. Exotons Kiefer schnappten nach einem Bein des Dämons und rissen ihn so aus dem Sprung. Einen Moment lang verharrten die scharfen Reißzähne des Ungeheuers direkt vor Kais Stirn. Dann schlug er kräftig nach dessen Kopf. Blut spritzte ihm ins Gesicht und er schloss die Augen. Er hörte ein dumpfes Geräusch, Exoton bewegte ruckartig den Kopf, als würde er etwas wegschleudern – dann rannte der Wolf hechelnd weiter.

       Kai wischte sich über das feuchte Gesicht. Zwei Wölfe ordneten sich wieder vor ihnen ein und ihre grauen Schwänze waren drohend nach hinten gelegt. Die nächsten Sux, denen sie begegneten, wichen fauchend und knurrend zurück, sprangen jedoch das nachfolgende Rudel an.

       Der Dieb auf dem Wolfsrücken starrte zu den Fenstern, doch sie waren alle vergittert. Die kalten Eisenstangen glänzten im Mondlicht. Plötzlich blieb Exoton stehen. Kai wäre fast von dem Rücken des riesigen Tieres gestürzt und starrte nach vorne.

       Eine Eisentüre.

       Ania tauchte aus der Dunkelheit auf und ließ eine pulsierende Lichtkugel vor das Schloss schweben. Ihre schwarzen Augen blickten ihn unergründlich an. Eine Blutsspur rann über ihre bleichen Wangen. Kai schwang sich von dem Wolf und zückte sein kleines Messer, während er mit der anderen Hand das blutverschmierte Schwert in die Scheide steckte – zum Säubern war keine Zeit. Er fühlte die Blicke der lauernden Sux wie Dolche im Nacken.

       Knurrend und zähnefletschend versammelten sich die restlichen Wölfe im Kreis um ihn. Nervös kniete er sich zum Schloss und stocherte darin herum. Seine