Norma Rank

Schlampe, Opfer, Schwein.


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aber das führte dann doch zu weit.

      Ich dachte eigentlich, einen Menschen vor mir zu haben, der alles besaß, was man sich nur wünschen konnte: Erfolg im Beruf, Geld, eine Familie und Gesundheit. Was war das Problem? Reichte das denn nicht? Was wollte er denn noch? Abenteuer? Dann sollte er sich vielleicht mal im „Dschungel-Camp“ bewerben und ein paar Maden fressen!

      Manchmal machte mich das regelrecht wütend! Ich wollte ihn ja gerne verstehen, ohne ungerecht zu werden, ihn wachrütteln und ihm die Augen für all das Schöne öffnen, aber es gelang mir nicht. Sah er denn nicht, wie gut es ihm eigentlich ging? Warum konnte er sein Glück nicht schätzen? Hatte er es verlernt, die Dinge zu genießen? Oder trog der Schein doch? War sein Leben vielleicht gar nicht so perfekt, wie es nach außen wirkte? Fragen über Fragen, die in meinem Schädel Karussell fuhren.

      Wenn wir uns unterhielten, kam es vor, dass sich sein Blick in der Ferne verlor und er minutenlang einfach nur vor sich hinstarrte. Wenn er so dasaß, in seine eigene Welt versunken, in die niemand sonst Zugang hatte, kam in mir ein Gefühl mütterlicher Fürsorge auf. Es tat mir leid, ihn so hilflos und traurig zu sehen.

      Wenn ich nach seinen Gedanken fragte, winkte er resigniert ab und meinte, das könnte ich nicht verstehen, dann wurde das Thema gewechselt. Doch ich spürte, wie einsam und vom Leben überfordert er sich manchmal fühlte. Wenn ich nur irgendetwas für ihn hätte tun können! Es gab Momente, da musste ich mich regelrecht zusammenreißen, um nicht loszuheulen, wollte ich doch nur noch eines: ihm dabei helfen, glücklich zu werden. Wahrscheinlich hatte ich in diesem Stadium bereits buchstäblich den Verstand verloren!

      Es mochte sich anmaßend, wenn nicht gar größenwahnsinnig anhören, zumal ich kein Psychologe war, doch er sollte wissen, dass ich ihm beistand, dass es jemandem gab, dem er etwas bedeutete – ja, dass es mich gab.

      Natürlich wusste ich, dass mich Marks Befindlichkeiten überhaupt nichts angingen. So versuchte ich, mich davon zu lösen, indem ich mir sagte: „Vielleicht braucht er einfach Urlaub, Zeit mit Frau und Kind.“ Aber diese Idee befriedigte mich nicht wirklich, denn der Familienurlaub stand bereits an.

      Meine Begeisterung diesbezüglich stieg ins Unermessliche (ein Witz!). Ich konnte mir schon gar nicht mehr vorstellen, ihn zwei Wochen nicht zu sehen. Allein der Gedanke daran ängstigte mich, zumal er die zwei Wochen mit einer anderen Frau verbrachte.

      In den schillerndsten Farben malte ich mir aus, wie glücklich die Familie miteinander die Ferien verbringen würde. „Noch ein Brötchen, Schatz?“

      „Ach, nein danke, Liebling, sonst werde ich noch zu dick.“

      „Aber Prinzessin, du bist doch gertenschlank, sieh dir nur mal deine tollen Beine an!“ Helga würde beschämt zu Boden blicken und Ramonas Kopf tätscheln, die zu ihren Füßen mit ihrem neuen Game Boy spielte.

      „Na gut, dann gib mir noch einen von den leckeren Schoko-Donuts!“ Genussvoll biss sie daraufhin hinein, leckte sich die perfekt geschminkten Lippen und zeigte dabei ihre strahlend weißen Zähne. (Die nächsten hundert Jahre könnte ich mein Gebiss in Perlweiß baden ohne den gewünschten Erfolg.) Dabei blätterte sie in der „Gala“, um zu lesen, wie hervorragend ihr Auftritt auf der FASHION WEEK MÜNCHEN SUMMER beim Publikum angekommen ist.

      „Warte, bleib so, Schätzchen, ich werde ein Foto von dir machen, du bist einfach umwerfend!“ Und so weiter und so fort, mein Magen rebellierte bereits, und meine Augen füllten sich, wie bei jedem Kitschfilm, zuverlässig mit Tränen.

      Je näher seine Reise – Ziel war Dubai – rückte, desto öfter redete Mark davon. Zu meiner Überraschung gefiel ihm der Gedanke gar nicht, denn Helga hatte für sich dort ein Fotoshooting organisiert, ohne ihren Mann vorher zu informieren.

      „Ist doch perfekt, damit haben wir fast die ganzen Kosten des Urlaubs bezahlt!“, so ihre Begründung für den Alleingang.

      Für ihren Mann bedeutete das konkret, den Babysitter für die Siebenjährige zu spielen, sich im Hintergrund zu halten und dabei zuzusehen, wie Fotografen und andere wichtige Leute um die Gunst seiner Gattin buhlten, was ihn wenig erheiterte. Er wusste genau, wie das lief: „Noch ein Drink, Sweetheart?“ Oder besser noch: „Hier Honey, du musst diesen Cocktail probieren!“ Allein daran zu denken machte ihn sauer.

      Aber es gab noch einen Nebenkriegsschauplatz, weshalb sich seine Begeisterung so in Grenzen hielt, denn nachdem Mark seine erste Schüchternheit überwunden hatte, sprach er das Unsagbare aus: „Ich werde dich bestimmt vermissen!“ Und ich glaubte, mein Schwein pfeift! Menschenskind!

      Ich überlegte lange und gründlich, bevor ich eine Antwort gab, doch es half alles nichts. Ihm konnte ich nichts vormachen. Mit einem Nicken signalisierte ich Verstehen, während meine Worte offenlegten, dass es mir genauso ging. Es stand mir sowieso ins Gesicht geschrieben, warum also noch lügen?

      Es war die Wahrheit. Am meisten fürchtete ich mich davor, dass Mark mich vergessen könnte und sich bei seiner Rückkehr alles verändert hatte. Für mich stand nämlich fest: Er würde eine schöne Zeit mit Helga haben, Fotoshooting hin oder her, und damit würde es keinen Platz mehr für mich geben. Ein Urlaub bot ausreichend Gelegenheit, sich mit dem Partner auseinanderzusetzen, sich gegebenenfalls wieder anzunähern, Liegengebliebenes aufzuarbeiten, Beziehungsgespräche zu führen und viel Sex zu haben.

      Von Tag zu Tag wurde mir klarer, und ich fragte mich ernsthaft, warum ich Schlaumeier das bisher so außer Acht lassen konnte, dass die zwei niemals eine Reise geplant hätten, wenn die Ehe vor dem Aus stünde. Mark war verheiratet, war es die ganze Zeit gewesen – und das seit vielen Jahren! Um genau zu sein, seit über einem Jahrzehnt! Wieso investierte ich emotional so viel in ihn? Was sollte das bringen? Weil ich ihn als Mensch mochte? Weil er so ein lieber Kerl war? Ach was!

      SANCHOS

      Aufgewachsen bin ich mit dem folgenden Leitspruch meiner Mutter: „Liebe ist vergänglich, aber einen Freund hast du lebenslänglich. Als dein Vater damals ausgezogen ist, hätte ich da die Renate nicht gehabt ...“ Renate war eine ihrer besten Freundinnen.

      Kein Wunder, dass mich ihre Sichtweise von Freundschaft geprägt hat, man hat mich darauf konditioniert. Und wahrscheinlich war diese Sicht auch gar nicht so verkehrt. Jedenfalls bedeuteten Männer für mich lange Zeit nicht besonders viel, während meine Freunde immer auf mich zählen konnten.

      Nehmen wir zum Beispiel die Pleite mit Claudius. Da haben wir die typische Geschichte: Man lernt sich kennen, beide sind Single, jeder auf der Suche nach Zärtlichkeit, aber völlig inkompatibel zueinander. Ich habe ihn gesehen, ihn probiert und tags darauf bereits wieder vergessen.

      Hierauf Bezug nehmend mein Tipp: Hände weg von Männern, die Tarot legen! Und bloß weil man sich dringend jemandem zum Kuscheln einbildet, ist das noch lange kein Grund, sich einen Typen zu angeln, der auf einer Skala von eins bis zehn nur eine Drei minus erreicht, da wäre es in manchen Fällen durchaus besser, sich ein Haustier anzuschaffen.

      Freundschaft hatte für mich einen Stellenwert, der den einer Partnerschaft in manchen Bereichen demnach tatsächlich übertraf. Es bedeutete, sich hundertprozentig aufeinander verlassen zu können, tolerant miteinander umzugehen, sich gegenseitig zu helfen, wo immer es nötig war, und keine Angst haben zu müssen, den anderen zu verlieren. Sich zu treffen, wenn man Lust und Laune hatte, und stundenlang am Telefon zu quatschen.

      Ich war vierundzwanzig, zwar würde es nicht mehr allzu lange dauern, bis man mich zu Ü-30-Partys einlud, und ein ernstzunehmender Kandidat für eine längerfristige Verbindung war nicht in Sicht, aber damit kam ich klar. Und weil Mark sowieso außer Frage stand, da ich definitiv keinen Bock darauf hatte, mir weiterhin meine Finger an einem verheirateten Typen zu verbrennen, zog ich es vor, mich mehr auf meine Freunde zu konzentrieren.

      All diese Überlegungen mögen den Hintergrund dafür abgegeben haben, dass sich in mir eine neue Idee gedanklich manifestierte, denn eine Perspektive bot sich mir Mark betreffend: Wir konnten Freunde sein! Gegen eine platonisch freundschaftliche Beziehung ohne Sex gab es schließlich nichts einzuwenden. Und es wäre nach meiner Hymne auf die Freundschaft