Norma Rank

Schlampe, Opfer, Schwein.


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jemand unsanft in den Rücken boxte.

      Vorausschauend hatte ich mir für diesen Abend Gesellschaft eingeladen: Meine beste Freundin Viola, ihr Freund Sebastian sowie Martina und Frieda, ein lesbisches Pärchen, gehörten zum offiziell ernannten Begleitschutz. Ich drehte mich um, und da standen sie alle! Ich war dermaßen froh darüber, dass ich ihnen um den Hals fiel, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. In dieser Runde ging es mir gleich ein wenig besser, ganz nach dem Motto: Zusammen ist man weniger allein! Angenehm war auch, dass sich der Saal immer mehr füllte und ich mich dadurch etwas geschützter fühlte, nicht so wie auf dem Präsentierteller. Selbst die Bühne wirkte nicht mehr so bombastisch und überdimensional.

      Ehe ich mich versah, wurde die Raumbeleuchtung heruntergeschraubt, und die Band fing – nachdem sie sich alle positioniert hatten – an zu spielen. Gefesselt ließ ich mich von der Musik mitreißen. Auch wenn der Grund-Beat dem Rock 'n' Roll entsprang, so wäre diese Beschreibung nicht ausreichend. Einflüsse von Boogie, Countryrock, Swing, Blues und Rockabilly vermischten sich zu einer einzigartigen Musikrichtung, die mit nichts zu vergleichen war. Hypnotisiert starrte ich nach vorn.

      Uwe, der schmächtige Blonde an der Gitarre, griff in die Saiten wie seinerzeit Jimmy Hendrix (auch wenn es nicht ganz so klang), und Sanchos sang dazu mit rauchiger Stimme, die einem Johnny Cash nicht unähnlich war „Light my fire“.

      Das also sollte mein zukünftiger Lover sein! Nicht schlecht! Und von der Optik her sicher eine Augenweide. Gut gebaut, schlank, attraktiv, aber eben nicht Mark! Ich sah ihn an und spürte gar nichts, nur die Snare hallte unbarmherzig in meinem Magen wider! Miguel, der ganz links am Saxophon stand, zwinkerte mir zu, doch auch das registrierte ich kaum. Ich starrte auf Mark, wie er die Drumsticks schwang, und schaffte es nicht, meinen Blick von diesem wieder loszueisen. Seine Bühnenpräsenz raubte mir förmlich den Atem.

      Nur wer ihn näher kannte, hätte die Freude in seinen blitzenden Augen erahnen können, wenn sein Blick durch die Menge schweifte und an mir haften blieb wie zähflüssiger Honig. Statt Brille trug Mark Kontaktlinsen, was ihn noch einen Tick unwiderstehlicher machte, wenn das überhaupt möglich war. Jeden Song, den er einzählte, jede Bewegung, jeder Trommelwirbel war perfekt einstudiert, und dennoch schien sein Schlagzeug geradezu mit ihm zu verschmelzen, sodass sie zusammen einen Sound ablieferten, wie ich das niemals für möglich gehalten hätte. Auch das Publikum reagierte auf Mark und schrie bei jedem Solo begeistert auf, spürte sein Charisma, machte aus seiner Person das Herzstück der Band. Etwas Mystisches umgab ihn, als wäre er nicht von dieser Welt. Sein Talent und sein überragendes Äußeres in Kombination mit diesem ausdrucksstarken Instrument machten ihn für mich regelrecht zu einem Heiligen.

      Ein Song jagte den nächsten, und ich genoss Marks Anblick ebenso wie die Musik in vollen Zügen. Die Menge tobte, und viele tanzten zu dem abwechslungsreichen Programm. Die „Cultures“ präsentierten sowohl schnelle fetzige als auch durch und durch romantische Nummern aus ihrem weiten Repertoire, bei denen mir angenehme Schauer über den Rücken liefen.

      „Ich kenne diesen Mann“, dachte ich mir immer wieder und fühlte mich glücklich wie schon lange nicht mehr, ständig darum bemüht, nicht umzukippen und in Ohnmacht zu fallen.

      Keine Ahnung warum, allein das Ein- und Ausatmen überforderte mich ja fast schon, aber ich war groteskerweise einfach stolz auf Mark. Die Leute jubelten begeistert, und die Stimmung entsprach einem wahren Live-Erlebnis. Erst in der Pause fand ich meine Stimme wieder und drehte mich zu meinen Freunden um. „Ist er nicht wunderbar?“, fragte ich mädchenmäßig.

      „Na ja, vielleicht solltest du ihn erst einmal kennen lernen, bevor du die Glocken läuten hörst?“, kam es vorsichtig von deren Seite zurück, was ich jetzt wiederum überhaupt nicht kapierte. Nach einer geraumen Weile jedoch fiel der Groschen: Sie meinten Sanchos! Sie waren natürlich informiert! Den hatte ich doch prompt total vergessen. Voll ertappt! Bei aller Mühe, ich konnte mich kaum an ihn erinnern. Gab es einen Sänger? Aber da ich sowieso eine Verabredung in der Garderobe hatte, war ja noch nicht aller Tage Abend.

      Ohne mich um Aufklärung zu scheren oder gar das Missverständnis geradezurücken, suchte ich nach den richtigen Worten, um mich davonzustehlen – ich wurde schließlich erwartet. Aber man durchschaute mich. Als ein einstimmiges „Los, geh schon“ aus der Runde meiner Lieben kam, wäre ich fast auf die Knie gefallen, um mich für die guten Nerven und das Verständnis zu bedanken. Es ist wirklich und wahrhaftig ein Geschenk, wenn man solche Freunde hat!

      Ich lief also los in Richtung Umkleideraum. Dort angekommen, hätte mich der Mut fast verlassen. Was in solchen Fällen hilfreich ist: nicht nachdenken, anklopfen und rein. Gesagt, getan! Und da stand ich, in einem schmuddeligen Raum, in dem der Rauch stand und sich mit dem Geruch von verschwitzten Musikern mischte.

      Von Glanz und Gloria weit entfernt, kippten sich dort Typen mit nackten Oberkörpern das Bier nur so in den Rachen und qualmten, was das Zeug hielt. Techniker und andere wichtige Leute – Frauen waren keine dabei – blickten mir neugierig entgegen und schienen abzuschätzen, was sich unter meinen Klamotten befand. Wahrscheinlich spricht das jetzt nicht unbedingt für mich, aber ich fühlte mich von Anfang an wohl dort.

      Mark kam mir, verschwitzt wie er war, entgegen, stellte mich als Arbeitskollegin vor und bot mir etwas zu trinken an.

      Wenngleich seine Betonung bei dem Wort „Kollegin“ unmissverständlich klang, blieb trotzdem niemandem verborgen, wie sehr er sich freute, mich zu sehen. Da hätte man schon blind sein müssen! Das führte automatisch dazu, dass die anderen mir gegenüber sofort mit einer enormen Höflichkeit reagierten, mir einen Sitzplatz frei machten und das weitere Geschehen mit Interesse beobachteten.

      Ich setzte mich auf eine gammelige Couch mit unzähligen Brandlöchern und bemühte mich um Gelassenheit. Da Mark und Miguel, die einzigen mir bekannten Gesichter, mich sofort ins Gespräch miteinbezogen, kam ich gar nicht erst dazu, mich fremd zu fühlen.

      Sanchos, der sich zwar unter den Anwesenden befand, mich aber keines Blickes würdigte, zeigte sich teilnahmslos. Das machte ihn zwar nicht zu einem Sympathieträger, bot mir aber die Gelegenheit, ihn neugierig zu beäugen. Aus der Nähe betrachtet musste ich sagen: Schlecht sah er nicht aus. Vom Hocker riss mich sein Anblick keinesfalls, aber man konnte durchaus von „gutaussehend“ reden.

      Die Tatsache, dass er Miguels Bruder war, verblüffte mich ein wenig, denn die Unterschiede hätten kaum größer sein können. Ob sie den gleichen Vater hatten? Auffallend war nicht nur seine altmodische Brille, sondern auch die Tatsache, dass er einen äußerst flachen Hintern hatte. Nicht rund, nicht griffig, einfach nur flach! Und da ich Männer schon immer gut verstehen konnte, die das Sitzfleisch einer Frau zum ausschlaggebenden Kriterium werden ließen, galt Sanchos damit nun leider als durchgefallen. Die Liebe auf den ersten Blick hatte – ganz klar – gerade einen anderen Termin. Das merkte ich sowohl an mir selbst als auch an der Tatsache, dass Sanchos gerade den Raum verlassen hatte. Anscheinend war dieser gleichermaßen mäßig interessiert.

      Zugegeben: Ich fühlte mich ein klein wenig gekränkt bei der Tatsache, dass es Männer gab, die mir widerstehen konnten und meinem Charme nicht sofort erlagen. Aber wer wollte schon Sanchos? Mark hingegen überging die Situation gänzlich und reagierte achselzuckend, als ich ihm „Das war wohl nichts!“ ins Ohr flüsterte. Man konnte nicht gerade behaupten, dass er sonderlich traurig darüber zu sein schien, aber was hatte ich erwartet? Wir saßen noch eine Weile beisammen und unterhielten uns über alles Mögliche, bis Mark auf die Uhr sah und erschrocken über den Verzug das Signal zum Aufbruch gab.

      Wir verabschiedeten uns, und ich begab mich mit einem „Viel Spaß“ an alle wieder zurück in den Saal zu meinen Freunden. Diesen stand die Neugierde förmlich ins Gesicht geschrieben, aber das konnte ich ihnen kaum verdenken. Um sie nicht am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen, gab ich einen kurzen Lagebericht.

      „Mann, ihr hättet die Couch sehen müssen, die war vielleicht dreckig, sage ich euch, so was habt ihr noch nicht erlebt.“ Sollten sie ruhig ein wenig zappeln.

      „Mensch Norma, wen interessiert eine verdammte Couch? Was ist nun mit … Wie hieß er noch gleich? Sanchos?“ Violas sonst doch eher ruhige Art glich nun mehr einer Zehnjährigen, die verzweifelt nach ihrer