Ted McRied

Drei Wünsche


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das anstellt – soweit solltest du mich kennen.«

      »Nun, um die Mittel geht's gar nicht, sondern eher um die …« Er verstummt erneut.

      »Jetzt sag schon! Du weißt genau, wie ich dieses Herumeiern hasse!« Sie setzt den Weg ins Bad fort und überprüft ihr Make-up im Spiegel. Vorsichtig entfernt sie die schwarzen Schatten des verwischten Kajalstifts unter ihren Augen.

      »Ein Freund hat sie mir empfohlen und … ehrlich gesagt, habe ich mich im ersten Moment gefragt, ob er den Verstand verloren hat.« Auch wenn eine dicke Wand ihn von Olivia trennt, kann Ben sich gut vorstellen, wie sie in diesem Moment ungeduldig mit den Fingernägeln auf den Waschtisch trommelt.

      »Madame Devaux ist eine Art Wunderheilerin«, fährt er fort. »Ich weiß, das hört sich abgedreht an, aber mir fällt keine bessere Beschreibung ein. Gegen genügend Kleingeld erfüllt sie auch ungewöhnlichere Wünsche. Drei, um genau zu sein. Den ersten habe ich schon verbraten. Es war zwar nur eine Kleinigkeit, die meiner Beförderung im Weg gestanden hat, aber nachdem ich bei ihr gewesen bin, hat sich das Blatt sofort zu meinen Gunsten gewendet.«

      Olivias Augen richten sich gen Badezimmerdecke. Was für ein alberner Blödsinn! Madame Devaux! Diese verfluchten Franzosen verfolgen sie heute auf Schritt und Tritt. Sie kehrt in den Schlafraum zurück. »Im Ernst? Du glaubst an so einen Quatsch?«

      »Es hat funktioniert. Vor dir steht ein frischgebackener Seniorpartner.« Ben zieht Olivia zu sich aufs Bett, senkt den Kopf und bedeckt die Innenseite ihrer Schenkel mit feuchten Küssen.

      »Lass das!« Lachend rückt sie ein Stück von ihm ab. »Wir sind schon viel zu lange hier. Ich muss zurück ins Büro.« Sie steht auf. »Was hast du mit den zwei restlichen Wünschen vor?«

      »Sorry, darf ich nicht sagen.« Entschuldigend zuckt er mit den Schultern und zwinkert ihr zu. »Das ist wie mit den ausgefallenen Wimpern. Verrätst du den Wunsch, geht er nicht in Erfüllung.«

      »Komm schon, das ist doch ein Aberglaube. Was meinst du, wie viele Wimpern ich in meinem Leben schon verloren habe. Und meine Wünsche sind nie in Erfüllung gegangen, obwohl ich nicht darüber gesprochen habe.«

      »Mag sein. Aber die Alte ist in ihrer Ansage ziemlich klar gewesen. Ich will lieber nichts riskieren – es läuft gerade so gut. Wenn alles glattgeht, hast du auch was davon. Mein dritter Wunsch betrifft nämlich uns beide.«

      Olivia seufzt. »Also, mein Wunsch wäre erst mal was Essbares, nachdem unser Lunch deiner Wollust zum Opfer gefallen ist.«

      Ben grinst. »Nicht nur meiner. Ganz abgeneigt hast du auch nicht gewirkt.«

      »Was du nicht sagst.« Olivia schnalzt mit der Zunge. »Treffen wir uns morgen?«

      »Was ist mit deinem Freund? Wie hieß er noch gleich?«

      Es dauert einen Tick zu lang, bis Olivia der Name ihres erfundenen Partners wieder eingefallen ist. »Sein Name ist Scott«, antwortet sie schließlich. »Und er muss davon genauso wenig wissen wie deine Frau.«

      »Stimmt. Leider bin ich morgen den ganzen Tag im Meeting. Wie wär's mit übermorgen? Länger halte ich es ohne dich sowieso nicht aus.« Er versucht nach ihr zu greifen, doch Olivia weicht geschickt aus.

      »Dann bis Freitag. Gleiche Uhrzeit, gleicher Ort.« Sie haucht ihm einen Kuss entgegen und wendet sich zum Gehen.

      »Warte«, ruft Ben. Er öffnet die Schublade des Nachttischs und kramt ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber hervor. »Hier ist ihre Adresse, falls du es dir anders überlegst. Geh hin und hör's dir an. Was hast du zu verlieren? Übrigens hat sie mir extra gesagt, ich soll sie an eine Person meines Vertrauens weiterempfehlen. Also …« Er breitet die Arme aus wie ein Pfarrer, der bereit ist, seine Schäfchen in Empfang zu nehmen. »Wenn du damit nicht gemeint bist, wer dann?«

      Olivia wirft einen flüchtigen Blick auf den Zettel und lässt ihn mit einem Nicken in ihrer Handtasche verschwinden. Erst einmal abwarten, was der Nachmittag bringt. Schließlich hat sie bisher alle heiklen Situation ohne fremde Hilfestellung in den Griff bekommen.

      4

      Die antike Uhr auf dem Kaminsims schlägt neunmal, als der Schlüssel sich im Türschloss dreht. Lucy schreckt hoch. Er ist da! Schnell klappt sie das Buch zusammen und schiebt es unters Sofa. Ihr Mann mag es nicht, wenn sie liest. Für ihn ist das Abtauchen in einen Roman die größte Zeitverschwendung der Menschheitsgeschichte. Er meint, sie solle sich mit ihrem eigenen Leben auseinandersetzen und nicht mit fiktiven Figuren aus einer anderen Welt. Aber ist Realitätsflucht nicht manchmal der einzige Weg, das Dasein erträglich zu machen? Für ihn haben seine ehelichen Bedürfnisse oberste Priorität, dicht gefolgt von der Haushaltsführung und der Kinderversorgung. Aus seiner Sicht eine perfekte Familienfassade, die jedoch seit Monaten starke Risse aufweist – tiefe Schrammen, die sich unwiderruflich in Lucys Herz gegraben haben. Alltägliche Aufgaben werden zu unlösbaren Herausforderungen und drücken schwer aufs Gemüt. Selbst der tägliche Spaziergang mit ihren Kindern im nahegelegenen St. James's Park hat seine Leichtigkeit längst verloren.

      Für einen letzten Check läuft sie ins Esszimmer hinüber. Alles sieht aus, wie es sollte: Bens Teller steht ordentlich an seinem Platz, umrahmt von einer weißen Stoffserviette und dem Silberbesteck seiner Großmutter. Das bauchige Rotweinglas und die entkorkte Flasche stehen ebenfalls bereit. Fehlt nur noch der Gemüseeintopf, dessen Duft aus der Küche strömt und in Lucys Magen ein leises Rumoren auslöst. Jeden Tag kommt er später nach Hause, jeden Tag verschiebt das Essen sich ein Stück weiter nach hinten. Böse ist Lucy darüber nicht, denn jede Minute ohne ihn ist ein Gewinn.

      Im Flur hängt Ben seine Strickjacke an einen der Garderobenhaken. Draußen ist es trotz der Abendstunde immer noch unsäglich warm, die zusätzliche Kleidung hätte er sich sparen können. Als er den Arm hebt, umschmeichelt ein Hauch von Olivias Parfüm seine Nase. Er schaudert – was für eine Frau! Wie hat er es nur so lange ohne sie aushalten können? Ohne die Schmerzen, die ihre Nägel auf seiner Haut hinterlassen, wenn sie ihn in die Kissen presst und sich nimmt, was sie will. Er schließt die Augen und lässt ihre gemeinsame Zeit im Hotelzimmer Revue passieren, bis die klappernden Töpfe nebenan ihn zurück zu Lucy bringen, seiner Ehefrau. Diese Tatsache verschafft schlagartig Ernüchterung. In keinster Weise reicht sie an Olivias Qualitäten heran. Ben seufzt. Eine Teilschuld daran hat er sich selbst zuzuschreiben, schließlich ist er es gewesen, der sie überredet hat, ihren Job an den Nagel zu hängen. Und die letzten Reste ihres selbstbestimmten Lebens haben die Kinder auf dem Gewissen. Einerseits hat er dadurch jeglichen Respekt vor ihr verloren, andererseits erregt ihn die entstandene Abhängigkeit und schickt umgehend ein wohlbekanntes Kribbeln durch seine Leistengegend. Ein Grinsen huscht über sein Gesicht, während das Gefühl von Macht sich wie ein unsichtbarer Schleier über ihm ausbreitet. Lucy wird nicht nein sagen, egal was er von ihr verlangt. Ob sein Vater früher die gleichen Empfindungen gehabt hat, als er sich an ihm verging? Als er in seinem Hobbyraum Dinge mit ihm getan hat, über die niemand auch nur ungestraft nachdenken dürfte? Nie hätte er damals für möglich gehalten, dass er ihn eines Tages verstehen würde.

      Ben knöpft sein Hemd auf, um es zu entsorgen. In der Wäsche würde Olivias Duft seine Affäre auf der Stelle auffliegen lassen. Man kann Lucy vieles absprechen, aber feine Antennen für seine Fehltritte, die hat sie definitiv. Ben zögert. Was wäre, wenn er es einfach anbehält? Wenn er ihr den Geruch der fremden Frau aufzwingt, beobachtet, wie ihre Verzweiflung wächst, während die Erkenntnis, dass sie ihm hilflos ausgeliefert ist, ihre Seele Stück für Stück sterben lässt. Langsam schließt er die Hemdknöpfe wieder und schlendert pfeifend ins Esszimmer hinüber. Da steht sie am Herd, weicht seinem Blick aus und hat keine Ahnung, was ihr heute noch bevorsteht.

      Ben setzt sich an seinen Platz und betrachtet die zerstampfte Kartoffel-Möhren-Masse. Dann schiebt er den Teller mitsamt der Tischdecke von sich, wobei das gefüllte Weinglas gefährlich ins Wanken gerät. »Was soll das?«, herrscht er seine Frau an.

      »Das … das hast du doch immer gemocht«, stammelt Lucy. Instinktiv weicht sie einen Schritt zurück.

      »Nicht mitten im Sommer«, presst Ben zwischen zusammengebissenen Zähnen